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Artikel 37 / 80

DES KÖNIGS ONKEL SCHMUGGELT WAFFEN

aus DER SPIEGEL 45/1966

Es ist das bestgehütete aller Geheimnisse des geheimnisvollen Mittleren Ostens.

In Beirut wußte nur ein einziger meiner Freunde etwas davon. In Amman, der Hauptstadt Jordaniens, müssen zwar mehrere Leute eingeweiht sein, aber niemand wagte, ein Wort zu sagen. Sogar Jordanier in den höchsten Stellungen gaben die Wahrheit nur in winzigen Häppchen preis.

Das Geheimnis: Scherif Nasser ben Dschamil, der Lieblingsonkel des jungen Königs Hussein von Jordanien und nach ihm mächtigster Mann in diesem armen, großenteils unfruchtbaren, politisch und strategisch aber um so wichtigeren arabischen Königreich, wurde geschnappt, als er eine riesige Sendung Handfeuerwaffen nach Jordanien schmuggelte. Es waren Waffen, wie sie Waffenhändler gewöhnlich mit großem Profit an waffenhungrige arabische Putschisten verkaufen, die sie vor einem Aufstand dann an den Mob verteilen.

Scherif Nasser ist gleichwohl noch immer stellvertretender Oberbefehlshaber der Armee, er ist noch immer der erste in dem engen Kreis, der Hussein berät, und noch immer der reichste Mann in Jordanien, Besitzer von größeren und luxuriöseren Palästen als der König selbst. Außerdem ist er noch immer Kopf einer internationalen Rauschgiftbande und verfügt über eine eigene, gut organisierte Gruppe von Agenten.

Der junge König ist gegenüber dem »kleinen Fehltritt« seines Onkels nachsichtig. Das empfand ich während ei er Audienz, die er mir in seinem Basman -Palast hoch über der lärmenden und geschäftigen Hauptstadt Amman gewährte.

Ein Adjutant des Königs führte mich durch die Palast-Halle - vorbei an Tscherkessen-Leibwächtern mit langen, schwarzen, kosakenähnlichen Pluderhosen und hohen Schaftstiefeln - in einen Warteraum. Eine halbe Stunde später würde ich in das Arbeitszimmer des Königs geleitet. Wir waren allein.

Der kleine König, 30 Jahre alt und 1,67 Meter hoch, trug einen hellgrauen Tropenanzug. Er sah ein wenig bedrückt aus, aber seine Haut schien mir rauher, wetterfester zu sein als bei unserem letzten Zusammentreffen vor neun Jahren. Er war reifer geworden - nunmehr ein Mann. Nach einigen aufwärmenden Fragen schnitt ich das Thema Waffenschmuggel an:

Bis dahin hatte der König freundlich gelächelt. Jetzt aber verfinsterte sich sein Gesicht. Sogar das leuchtende Grau seines Anzugs schien sich zu verdunkeln. Offensichtlich hatte ich die heißeste aller heißen Kartoffeln aufgepickt.

»Es ist immer mein Bestreben gewesen, Korruption auszustampfen, wo sie auch auftreten mag, sogar wenn die höchsten Leute- des Landes betroffen sind. Ich habe die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Der Vorfall ist abgeschlossen, und mehr werde ich darüber nicht sagen«, antwortete der Monarch auf meine Fragen.

Die Weigerung Husseins war verständlich, aber für mich auch ein Indiz, daß der Fall noch keineswegs abgeschlossen ist. Scherif Nasser, jüngster Bruder von Husseins Mutter, ist nur acht Jahre älter als der König (obwohl seine Beleibtheit und seine verwüsteten Züge ihn älter erscheinen lassen). Er war immer ein treuer Freund und Verbündeter Husseins, der Scherifs weltmännische Haltung und seine Lebenserfahrung bewunderte.

Als im Frühjahr 1957 Offiziere der jordanischen Streitkräfte, von Ägyptens Nasser geködert, gegen Hussein rebellierten, hatte das von Scherif Nasser geführte Panzerregiment das Blatt gewendet und für Hussein den Sieg erfochten.

Scherif Nassers Findigkeit konnte auch ein unglückseliges Mißgeschick vertuschen. Im Oktober 1957 hatte der übermütige Hussein bei einer Party, zu der Taufik Tabah, einer von Scherifs millionenschweren Geschäftsfreunden, geladen hatte, versehentlich den örtlichen Postbeamten erschossen, einen alten Hoflakaien, der für seinen königlichen Herrn die Rolle des Trottels und Hofnarren spielte. Scherif verstand es, einen Mann der königlichen Leibwache zu überreden, die Schuld für die Schießerei auf sich zu nehmen.

Dennoch muß mit der Zeit die Tatsache, daß Scherif der Anführer eines großen Unternehmens war, das Haschisch vom Libanon und von Syrien zum Verkauf nach Ägypten schmuggelte, dem jungen Monarchen so viel Kopfschmerzen verursacht haben, als hätte er selber seines Onkels Schmuggelware geraucht. In den letzten Wochen lief sogar das Gerücht um, Scherif lasse das Haschisch durch Jordanien in Lastwagen des jordanischen Heeres verfrachten, die ihm als stellvertretendem Oberbefehlshaber zur Verfügung stehen. Mit den Haschisch-Gewinnen helfe er die Armee des Königs zu finanzieren.

So verständlich mir Husseins Weigerung war, Einzelheiten der Waffenschmuggel-Affäre zu erörtern, so sehr

bedauerte ich sie, vor allem, weil - wie ich von einem so zuverlässigen Gewährsmann wie General Radi Abdallah, Jordaniens Sicherheitschef, erfuhr - König Hussein selber die Operation gegen die Schmuggler geführt und die entsprechenden Befehle gegeben hatte.

Die Affäre platzte im Juni dieses Jahres. Als Scherif Nasser sich 14 Tage lang in London aufhielt - angeblich um seinen Sohn in einem Internat anzumelden -, traf im jordanischen Hafen Akaba am Roten Meer eine für ihn bestimmte große Sendung wohlassortierter Handfeuerwaffen und Munition ein. Es waren Waffen belgischer, westdeutscher und spanischer Fabrikation, darunter Gewehre, Revolver und Maschinenpistolen, alles in allem über 50 000 Stück. Jordanische Zollbeamte fingen die Sendung ab und informierten den Hof.

Daraufhin flog König Hussein sofort nach Akaba, beschlagnahmte die Waffen und gab Befehl, sie in den Waffenlagern der Streitkräfte zu verwahren. Als Scherif Nasser aus London zurückkehrte, erwähnte er die Waffen mit keinem Wort. Auch der König schwieg. Das Thema war tabu.

Kaum war der König jedoch bald darauf zu einem Staatsbesuch nach Großbritannien abgeflogen - mit seiner englischen Frau, Prinzessin Muna, die in Ipswich Telephonistin und in Amman Rundfunk-Assistentin gewesen war -, da wurde Scherif Nasser wieder aktiv.

Er machte sich sein Amt als stellvertretender Oberbefehlshaber des Heeres zunutze, ließ die Waffen aus den Waffenlagern holen und sie den Leuten zukommen, denen er sie versprochen hatte.

Insgesamt sieben oder acht seiner Geschäftspartner teilten untereinander die Waffen, deren Einfuhr jordanischen Privatleuten seit Anfang des Jahres durch ein Gesetz verboten ist, das Waffen-Preise auf dem jordanischen Markt auf das Fünf- bis Zehnfache der europäischen Preise schnellen ließ.

In London erfuhr König Hussein, daß sein Onkel die Waffen verteilte und daß ein Agent Scherif Nassers versuchte, mit britischen Waffenhändlern wegen neuer Lieferungen aus britischen Quellen Verbindung aufzunehmen.

Daraufhin befahl der König seinem Sicherheitschef in Amman, General Radi Abdallah, telegraphisch, den Agenten bei der Rückkehr nach Amman zu verhaften, sobald er das Flugzeug verlasse. Meines Wissens ist dieser Mann, ein gewisser Dschinh, noch immer in Haft.

Nach seiner Rückkehr nahm der König die Sache dann selbst in die Hand. Er befahl der Königlichen Garde, die Häuser von Scherifs Geschäftspartnern zu besetzen und die dort gelagerten Waffen zu beschlagnahmen.

In einem der Berichte, die ich erhielt, heißt es, der König selber habe die Truppen bei den Razzien geführt, begleitet von Premierminister Wasfi el-Tell. Unter anderem wurden die Häuser der Kaufleute Daud Abd el-Hadi, Naim Kal Adschir und Abd el-Hamid Barakat durchsucht. Eine andere Abteilung - sie soll von dem jungen Kronprinzen Hassan geführt worden sein, der jetzt wieder am, Christ Church College in Oxford orientalische Sprachen studiert - unternahm einen Handstreich auf Scherif Nassers Landgut in Schuneh im Jordantal.

Dort züchtet Scherif Nasser auf einem Gelände von 300 Hektar Araber-Pferde (damals standen 57 in den Ställen).

Die Königliche Garde brach Scherifs Scheunen auf und entdeckte zahlreiche Waffen. Als ich jetzt Scherif Nassers Gut besuchte, um mir selbst ein Bild zu machen, fand ich dort, wo man in die Scheunen eingedrungen war, im Beton rund um die schweren Eisentore noch vielsagende Löcher.

Nach dem Handstreich auf sein Landgut flog Scherif Nasser nach England, um seinen Sohn ins Internat zu bringen. Am 20. September kam er zurück, fünf Tage vor seiner Hochzeit mit Hind Manko, der Tochter des millionenschweren Kaufmanns Ibrahim Manko.

König Hussein wohnte der Hochzeitsfeier bei - es war Nassers dritte, Hinds erste Heirat -, als sei nichts Unerfreuliches geschehen, und verabschiedete das glückliche Paar auf dem Flugplatz, als es nach London, der ersten Station seiner Hochzeitsreise, abflog.

Daß sich Scherif Nasser in den Waffenschmuggel verstrickte, ist Wasser auf die Mühlen der royalistischen Hussein-Kritiker, jener reaktionären Kreise, denen der Kurs des modernen Monarchen nicht paßt.

Sie beklagen, daß der junge König in seiner Umgebung eine Bande von Schurken und Verrätern dulde, die bereit seien, ihn und das ganze Land zu verkaufen, wenn der richtige Augenblick gekommen und der Preis hoch genug sei. Sie weisen auf die vielen ehemaligen Offiziere hin, die an den verschiedenen Verschwörungen gegen Hussein in den Jahren 1957 und 1958 teilgenommen hatten und dann nach Syrien und Ägypten geflohen waren, jetzt aber wieder in Jordanien sind und sogar Schlüsselstellungen in der Verwaltung bekleiden, insbesondere im Sicherheitsdienst.

An der Spitze des Sicherheitsdienstes steht mein alter Freund General Radi Abdallah, den ich vor zehn Jahren als einen lustigen und äußerst tüchtigen Major im Hauptquartier der Arabischen Legion kennengelernt habe. 1958, zur Zeit des Staatsstreichs im Irak, war er König Husseins erster Adjutant. Damals geriet er in Verdacht, der Anführer eines geplanten Aufstands gegen Hussein zu sein, der gleichzeitig mit der Revolte gegen dessen Vetter König Feisal im Irak ausgelöst werden sollte; König Feisal, dessen Onkel Prinz Abd el-Ilah und Premierminister Nuri es-Said wurden alle auf barbarische Weise ermordet.

Radi wurde zunächst verhaftet, dann im Wüsten-Konzentrationslager El Jaffer festgehalten und später in Amman unter Hausarrest gestellt.

Als er noch unter Hausarrest stand, schickten ihm die Syrer einen Scheck über 50 000 Pfund mit der Aufforderung, den König zu beseitigen. Radi Abdallah meldete die versuchte Bestechung sofort. Daraufhin wurde er rehabilitiert und wieder in Dienst gestellt, zunächst als Militärattaché in Bonn, dann in London. Als Wasfi el-Tell, einer seiner alten Freunde, Premierminister wurde, rief er Radi nach Amman zurück und ernannte ihn - mit dem Rang eines Generals - zum Sicherheitschef.

Auch außerhalb des Sicherheitsdienstes haben prominente Mitglieder der antiroyalistischen- Fronde bedeutende Posten bekommen. Ibrahim Habbasha zum Beispiel, der nach dem Staatsstreich von 1958 im Irak von Radio Bagdad aus eine Verleumdungskampagne gegen König Hussein und seine Regierung führte und später als kommunistischer Mitläufer nach Belgrad emigrierte, ist heute wieder im Lande und Direktor der Hedschas-Bahn; er hat den Rang eines Staatssekretärs.

Als langjähriger Bewunderer des klugen und charakterstarken jungen Königs und als aufrichtiger Freund Jordaniens hoffe ich, daß das Vertrauen des Königs zu den heimgekehrten und bekehrten Ex-Putschisten belohnt wird und daß sich alle Befürchtungen der alten Staatsmänner über die Absichten des »bösen Onkels« und seiner Freunde als grundlos erweisen.

Anderenfalls wäre es schade. Denn die Fortschritte, die Jordanien auf dem Gebiet der Verteidigung und der wirt-, schaftlichen Entwicklung gemacht hat, zeigen, daß der König und seine jungen Leute Bemerkenswertes leisten.

Dies ist die These der konservativen Königs-Kritiker über Waffen- und Haschisch-Schmuggel des »bösen Onkels": Der Scherif habe nicht nur noch reicher werden wollen, sondern sei das willenlose Opfer anderer, die einen zweiten antiroyalistischen Coup inszenieren möchten, um ein republikanisches Jordanien mit Ägypten und Syrien zu vereinen.

Premierminister Wasfi el-Tell vertritt dagegen die Meinung, der Waffenschmuggel habe »rein kommerzielle« Hintergründe. Schließlich erfuhr ich von einer dritten Erklärung, die mir keineswegs abwegig erscheint. Sie allein würde begreiflich machen, warum Hussein gegenüber der unloyalen Herausforderung seines Onkels so überraschend nachsichtig ist.

Es heißt, die Waffen würden nicht nur deshalb ins Land geschmuggelt, damit man sie zu Wucherpreisen an Araber verkaufen kann. Die Waffen seien vielmehr nach Jordanien gebracht worden, damit man sie in ein anderes Land weiterschicken könne - vielleicht, um die Royalisten im Jemen zu bewaffnien, wahrscheinlicher jedoch, um einen haschemitischen Aufstand im Irak vorzubereiten.

Vor nicht allzu langer Zeit hat Scherif Nasser gegenüber Freunden in Beirut ganz offen von der Notwendigkeit einer solchen Aktion gesprochen. Die Beschlagnahme der Waffen dürfte solchen abenteuerlichen Plänen jedoch zumindest für den Augenblick den Boden entzogen haben.

Ich hätte gern Scherif Nasser ebenso befragt wie seinen Neffen, den König. Leider befindet sich Scherif Nasser noch auf der Hochzeitsreise. Und wie alle königlichen Hochzeitsreisenden hält er den Ort, an den er mit seiner jungen Frau gereist ist, geheim - geheimer als alle seine Schmuggelaffären.

Jordaniens Hussein, Ehefrau: Mit Haschisch das Heer finanziert?

Hussein-Onkel Nasser

Mehr Luxus als der König

Sefton Delmer
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