UNGARN KIRCHE Des Königs rechte Hand
Ungarns Bischöfe sind dem Papst besonders treu ergeben und so gefallen sie besonders der kommunistischen Partei.
Am zweiten Samstag im April, am Tag des Heiligen Leo, stimmte die ungarische Bischofskonferenz einmütig für den Zölibat »in der alten, von den Kirchenvätern schon immer festgesetzten und praktizierten Form«. Schriftlich stellte sich auch Bischof Badalik hinter Papst Paul VI.: Er steht seit zehn Jahren unter Hausarrest.
Die Stellungnahme Kardinal Joszef Mindszentys, des Primas von Ungarn, zur Ehelosigkeit blieb unbekannt: Seit 1956 lebt er im dritten Stock der amerikanischen Botschaft am Budapester Freiheits-Platz als Gefangener seiner eigenen Hartnäckigkeit. Aber durch seinen Beichtvater hält der Oberhirte Kontakte zum Episkopat. Und stets trat er gegen Reformen ein.
Die oberste Kontrollbehörde des Staats über die Kirche, das »Amt für Kirchenwesen«, duldet die Beziehungen des Kirchenfürsten zum ungarischen Episkopat -- weil die ungarischen Bischöfe sich kompromißlos für die konservative Linie des Papstes, die versteinerten Traditionen der Kirche, die alte Form der Liturgie, gegen Geburtenkontrolle und Mitspracherecht der niederen Geistlichkeit einsetzen.
Chef des »Amtes für Kirchenwesen« ist ein Donauschwabe, Joszef Prantner, 59, einst Maurer, illegaler Kommunist und Parteisekretär des Komi-
* Mit Msgr. Casaroli 1964 in Budapest bei Abschluß eines Kirchenabkommens.
tats Tolna in Südungarn. Er erkannte Anfang 1969 die Chance einer Koexistenz zwischen dem kommunistischen Staat und der katholischen Kirche.
Parteimann Prantner wußte, wie populär eine Kirche werden kann, wenn der Staat sie verfolgt -- und schränkte nie Verfolgung ein. Er bremste die atheistische Propaganda der Partei, ließ den Hausarrest des Bischofs Badalik mildern, setzte gefangene Priester frei und bemühte sich sogar, für sie eine Pfarre zu finden.
Die Staatszuschüsse für die katholische Kirche wurden 1969 um 35 Prozent erhöht, die Gehälter der niederen Geistlichkeit um acht Prozent verbessert. Für verarmte Pfarrgemeinden der ungarischen Tiefebene standen überraschend neue Meßgewänder und Kirchenfahnen zur Verfügung. Kolonnen von Facharbeitern restaurierten den Erzbischöflichen Palast von Kalocsa, die Matthias-Krönungskirche im Burgviertel von Budapest, die romanische Kirche in Felsöörs am Plattensee (Ungarns älteste Kirche), den Dom von Fünfkirchen und die Benediktiner-Abtei von Pannonhalma.
Prantners Plan stimmte: Die Kirchen in den größeren Städten Ungarns waren 1969 schlechter besucht als jemals seit 1949 (als die Partei ihren ersten großen Angriff gegen die damals mächtige katholische Kirche Ungarns gestartet hatte). Die Zahl der Schüler, die sich freiwillig zum Religionsunterricht melden, nimmt ab: Im Schuljahr 1968/69 waren es noch 17 Prozent aller Schulpflichtigen, im Schuljahr 1969/70 sind es nur elf Prozent.
Was der stalinistische Staat in den 50er Jahren mit Polizeiterror nicht hatte erreichen können, scheint jetzt das »Amt für Kirchenwesen« durch Unterstützung und Toleranz zu erreichen. Eine Kirche, die -- nicht mehr bedrängt vom Staat, sondern als würdevoller Partner anerkannt -- sich einstimmig gegen die Moderne stemmt und das Veraltete predigt, verliert in wachsendem Maß ihre Anhänger, vor allem die Jugend -- ohne alle Propaganda der Gegner der Religion.
Mehr als um den Verlust ihrer Resonanz sorgen sich die ungarischen Bischöfe um die Restauration alter Rechte. Im »Amt für Kirchenwesen«, wird gegenwärtig über die Zulassung des ungarischen Pauliner-Ordens verhandelt, einer im 13. Jahrhundert gegründeten »Eremitengemeinschaft der weißen Mönche«. Der Orden war 1950 vom ungarischen Sicherheitsdienst AVH zerschlagen worden.
Das Stammkloster der Pauliner am Fuß des Budapester Gellért-Berges -- zeitweilig Ballettschule -- hat die Geheimpolizei Mitte März freigegeben. Am 20. August 1970 werden die ungarischen Bischöfe den 1000. Geburtstag des Heiligen Stephan, des ersten Königs von Ungarn, Begründers des ungarischen Staates und der ungarischen Kirche, feierlich begehen:
Nach 20jähriger Unterbrechung schreiten sie wieder an der Spitze der Prozession auf der Burg Buda mit der einbalsamierten rechten Hand des heiligen Königs.