Des Präsidenten Baguette
Weit ist der Weg zum besten Brot der Stadt, wer aus dem Zentrum kommt, muss oft die Metro-Linien wechseln, und unterirdisch lässt sich ahnen, wie sich Paris droben verändert. Je nördlicher die Reise geht, desto bunter wird das französische Volk in den überfüllten Zügen.
Pakistaner, Inder drängen herein, Maghrebiner, Schwarzafrikaner, Asiaten, und endlich, an der Porte de la Chapelle, sind nicht mehr viele weiße Europäer unterwegs.
Die Stadt stößt hart an ihre Vorstädte, jenseits des Autobahnrings beginnt die Banlieue, knapp diesseits backt Anis Bouabsa im 18. Arrondissement das beste Baguette von Paris. Der Abreißkalender in seiner schwülwarmen Backstube ist auf dem 12. Februar stehengeblieben: Es war der Tag, als Bouabsa, ein Sohn tunesischer Einwanderer, am frühen Abend den Anruf erhielt, dass er, von den ehrenwerten Mitgliedern der ehrenwerten Jury, zum besten Bäcker des Jahres 2008 gekürt worden sei.
Bouabsa ist ein junger, jungenhafter Sieger, er hantiert vor seinen Öfen mit großen Lagen Stangenweißbrot, schlitzt Streifen in die Teiglaibe, schiebt sie ins Innere mit schnellen Griffen, die Backzeit bestimmt er nach Gefühl. Um zu verstehen, was Bouabsa widerfuhr, muss man sich vorstellen, in Deutschland würde ein Türke zum besten Münchner Weißwurst-Metzger gekürt. Oder ein Portugiese würde im Spreewald zum Gurkenkönig ausgerufen. Es ist eine schöne, unverhoffte Sensation.
Aus Bouabsas Backstube geht ein großes Fenster auf die kleine Straße benannt nach Tristan Tzara, einem der Gründerväter des Dadaismus, eingewandert einst aus Rumänien. Schulkinder aller Hautfarben drücken ihre Gesichter an die Scheibe und schauen dem Bäcker verträumt bei der Arbeit zu.
Bouabsa winkt, er lacht hinaus. Manchmal steckt er seinen Bewunderern Chouquettes zu, Windbeutel, bestreut mit dickem Hagelzucker.
Sein Laden ist eine süße Insel inmitten des herben Neubauviertels, dessen größte Sehenswürdigkeit die wuchtige, feindliche Polizeistation ist.
Um 3 Uhr in der Nacht beginnt für Bouabsa die Arbeit, um 5.30 Uhr öffnet die Bäckerei und bleibt dann 15 Stunden lang offen, bis 20.30 Uhr.
Es ist, als wollte der junge Bäcker die Slogans des ewigen Wahlkämpfers Nicolas Sarkozy vorleben. Mit seiner Frau ist er »das Frankreich, das früh aufsteht und arbeitet bis spät in die Nacht«, und er folgt auch fröhlich der präsidialen Devise des »travailler plus pour gagner plus« - mehr arbeiten, um mehr zu verdienen.
»Aber«, sagt Bouabsa, »das haben wir hier eigentlich schon gemacht, lange bevor Sarkozy auf die Idee kam.«
Dem Präsidenten mit den ungarischen Wurzeln und seiner italienischen Frau wird der Bäcker mit den tunesischen Eltern nun sehr nahekommen. Als bester Baguette-Bäcker hat er das Recht und die Ehre, den Elysée-Palast ein Jahr lang exklusiv zu beliefern.
Es geht um nicht viel, ein paar Brötchen zum Frühstück, vielleicht 20 Baguettes pro Tag, sagt Bouabsa, aber dann lacht er doch hektisch auf bei dem Gedanken, dass bald Carla Bruni in seine schönen Brote beißen wird. »Nicht schlecht«, sagt Bouabsa, »das ist wirklich nicht schlecht.«
Sein Vater kam 1971 aus Tunesien, er arbeitete als Barmann und Kellner in den großen Cafés an den Grands Boulevards, später holte er seine Frau aus der Heimat nach. Sie schenkten Frankreich drei Söhne und eine Tochter, und Anis, der Bäcker, legt Wert darauf, dass die Geschichte seiner Familie kein irgendwie trauriges, tragisches Flüchtlingsschicksal ist. »Mein Vater hatte in Wahrheit einfach Lust auf ein anderes Leben«, sagt er, »er ist nach Paris gegangen, weil er wollte, nicht weil er musste. So was gibt's.«
Auch Anis Bouabsa musste nicht Bäcker werden. Er wollte es, unbedingt, schon als Kind. Als er das erste Mal eine Backstube betrat, sagt er, wusste er sofort, dass er sein Lebensziel gefunden hatte. Mit 15 ging er in die Lehre, mit jetzt 28 ist er schon ein frühvollendeter Meister. Bestes Baguette 2008. Er hat es weit gebracht.
Im Wettbewerb um den in Frankreich ruhmreichen Titel des »besten Handwerkers« wurde er 2004 zum jüngsten Sieger aller Zeiten im Fach »boulangerie« gekürt.
Sechs verschiedene Brote musste er bei der Prüfung damals backen, musste Wiener Gebäck fertigen, Brioches, dazu eine »pièce de fantaisie« zum Thema Kino. Seither darf er die Jacke mit dem blau-weiß-roten Kragenspiegel tragen, Zeichen der Mitgliedschaft in einem sehr exklusiven, sehr französischen Zirkel.
Dass er danach die Baguette-Krone wollte, war nur folgerichtig.
2006 kam sein Brot unter 156 eingereichten Proben auf Platz sieben, letztes Jahr folgte schon Platz drei, dieses Jahr schlug er endlich alle anderen 142 Konkurrenten aus dem Feld, auch die ganz feinen, alteingesessenen, franko-französischen aus den sündteuren Quartiers.
Nicht schlecht.
Bouabsa schneidet eine dampfende Stange auf, der Länge nach, er spreizt die Hälften, er zeigt seine Kunst. Er kann über Teigporen und Krustigkeit reden wie andere über Mozart-Sonaten, und wer in sein Brot beißt, lernt, dass kleine Glücksmomente käuflich sind.
»Und, Chef? Schmeckt's?«, fragt Bouabsa. Es ist eine rhetorische Frage. Er kennt die Antwort längst. ULLRICH FICHTNER