BERLIN Detlef Deal
Wenn Staatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinhäuer, 39, rühriger Aufklärer der Berliner Korruptionsaffäre, Umschau unter den Prozeßbeteiligten hält, kommt er sich gelegentlich »wie bei Miami Vice« vor.
Kriminalexotik wie in der amerikanischen Fernsehserie färbt in der Tat auch den Schmierfilz ein. Die Strafverfolger haben kräftig dazu beigetragen: Fast wie beim »plea bargaining«, dem Kuhhandel um Schuld und Sühne vor US-Gerichten, wird auch in den Berliner Verfahren ums Strafmaß gefeilscht.
Geständnisfreude wird mit Haftverschonung belohnt, die Belastung von Mitverdächtigen aus Politik, Verwaltung und Unterwelt verspricht nachsichtige Urteile. So wurde dem früheren Baustadtrat Wolfgang Antes, der jede Korruption monatelang leugnete und erst kurz vor Prozeßende gestand, glatt die Hälfte seiner Delikte geschenkt (SPIEGEL 51/1986).
Richterlicher Milde erfreute sich auch der Wuppertaler Kaufmann Otto Putsch:
Er hatte versucht, im Antes-Bezirk Charlottenburg für unbekannte Auftraggeber das Erbbaurecht auf 2000 stadteigene Wohnungen zu ergattern. Putsch kam mit zwei Jahren Haft davon, als er gestand, Antes habe für amtliche Forderung des geplanten Geschäfts fünf Millionen Mark Schmiergeld gefordert.
Dem Makler Jörg-Helmut Oldenburg kam das Emgeständnis zustatten, er habe Antes 120000 Mark für amtspflichtwidrige Leistungen überbracht - Höchststrafe für Bestechung: fünf Jahre, Oldenburg-Urteil: 21 Monate auf Bewährung. Die Bau-Interessenten Heinz-Werner Raffael und Christoph Schmidt-Salzmann kassierten ebenfalls nur Bewährungsstrafen, als sie nach anfänglichem Leugnen am Ende zugaben, sie hätten den Christdemokraten Antes bestochen.
Wer dagegen mit der Justiz nicht ins Geschäft kommt, wird hart angepackt und darf anders als Geständige, mit Haftverschonung nicht rechnen. Otto Schwanz zum Beispiel, Bewerber für Schankkonzessionen und Bordellier außer Diensten, schweigt seit 13 Monaten standhaft. Folge: Er muß voraussichtlich bis zu seinem Urteil in U-Haft brummen. So ergeht es auch dem Ex-Staatssekretär beim Finanzsenator, Günter Schackow: Er will nicht zugeben, drei Millionen Mark Schmiergeld gefordert zu haben, wie der mittlerweile geständnisfrohe Banlöwe Bernd Bertram behauptet.
Die Berliner Kungelei ist in der deutschen Justiz nicht neu. So kam der Bankier Hans-Hermann Münchmeyer, voriges Jahr in Frankfurt wegen Betrugs bei einer Milliardenpleite vor Gericht, mit einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung davon. Strafe und Geständnis waren zuvor in vertraulichen Gesprächen der Prozeßbeteiligten ausgehandelt worden - nicht anders als im Hanauer Untreue-Prozeß gegen Firmen-Jongleur Horst-Dieter Esch. Im Standesblatt »Strafverteidiger« beschrieb ein Fachmann namens »Detlef Deal« ganz offen, wie Staatsanwälte, Richter und Anwälte um solche Möglichkeiten des inoffiziellen »strafprozessualen Vergleichs« feilschen.
So systematisch wie jetzt in Berlin ist die Taktik aus Drohung und Verlockung allerdings hierzulande noch nirgends eingesetzt worden - eine »Kronzeugen-Regelung« ohne gesetzliche Grundlage, wie ein Verteidiger zürnt. Anwälte gaben zu Protokoll, was ihnen einer der Antes-Richter am Rande des Verfahrens über die Marschroute mitgeteilt habe: »Zunächst werden wir gegen die geständigen Angeklagten verhandeln, die erhalten dann ihre Konventionalstrafe, und im Anschluß daran wird gegen die übrigen Angeklagten verhandelt.«
Die Orientierung am Vorbild amerikanischer Mafia-Verfolger brachte Erfolg. Der Justiz gelang es, das Berliner Kartell des Schweigens aufzubrechen. Nach und nach wurden über 300 Büros und Wohnungen durchsucht, 6000 Leitz-Ordner beschlagnahmt. Rigide ging Berlins Justiz bis an die Grenzen der Strafprozeßordnung. So lavierten Staatsanwälte das Hauptverfahren trickreich in die Zuständigkeit der als drakonisch bekannten Nibelungenkammer« des Richters Hagen Hillebrand. Die Geständnisse zermürbter Delinquenten machten auch die Prozeßstrategie von Antes zunichte, die erst mal auf eisernes Abstreiten gegründet war. Der Ex-Baustadtrat mußte, von allen Seiten belastet, seinerseits mit der Justiz kooperieren, um der Höchststrafe von zehn Jahren Haft zu entgehen.
Einer der »unentschuldbaren Fehler«, die Antes in seinem schriftlichen Teilgeständnis auf sich nahm, war für die Strafverfolger von besonderem Interesse: das Eingeständnis, vom Berliner Bauunternehmer Kurt Franke mit 150000 Mark bestochen worden zu sein.
Diese Summe war säuberlich in Frankes detaillierter Schmiergeldkladde verzeichnet, der Baulöwe selbst hatte sie danach im Verhör bestätigt. Später jedoch widerrief der 71 Jahre alte, schwerkranke Unternehmer sämtliche Aussagen: Fätkinhäuers Vernehmer hätten sie ihm abgepreßt, er habe sich »gefoltert« und »in Todesangst« gefühlt. Dieser Rückzieher bedrohte den Fortgang der Verfahren gegen andere Politiker und Beamte, die als Schmiergeldempfänger auf Frankes Liste standen. Erst Antes half den Strafverfolgern mit seiner Bestätigung weiter.
In dem zwischen Anklage und Verteidigung ausgehandelten Geständnis »stand nur drin, was drinstehen mußte«, sagt Antes. Dafür aber ersparten ihm die Staatsanwälte mehrere schon anhängige Bestechungsverfahren. Belangt wurde er nur wegen der 300000 Mark Schmiergeld, die er selbst eingeräumt hat. Alles übrige, etwa weitere 400000 Mark an Antes, die sich allein aus den Angaben von Mitbeschuldigten addieren, interessiert keinen Staatsanwalt mehr.
Dafür sind Frankes Notizen jetzt wieder als Beweismittel brauchbar - zunächst wohl schon diese Woche bei der Urteilsfindung gegen den ehemaligen CDU-Baustadtrat Jörg Herrmann. Er steht laut Anklage mit 50000 Mark in Frankes Bakschisch-Kladde, verweigerte aber ein Geständnis, obwohl ihm dafür eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt worden sei.
Auch dem CDU-Bürgermeister des Bezirks Tiergarten, Martin Quell, steht die Konfrontation mit der Franke-Liste bevor. Das kann der Berliner Unionsspitze nicht behagen. In Quells Bezirk sind einige CDU-Prominente beheimatet,
die Franke laut Kladde ebenfalls bedacht hat: so der damalige Oppositionschef und heutige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (75000 Mark) und der Bundestagsabgeordnete Peter Kittelmann (145000 Mark).
Diepgen weigert sich bisher, den Parteifreund Quell vom Bürgermeisteramt zu dispensieren, Begründung: Schließlich gehe es »nur um Vorteilsannahme« (Geldstrafe oder Haft immerhin bis zu zwei Jahren). Unbeirrt bleibt er bei seiner Version von der »Verstrickung einzelner«. Die Berliner Sonderkommission Lietzenburger Straße ("Soko Lietze") aber hat erst 40 Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Mehr als doppelt so viele harren der Aufklärung.
Auf der Verdächtigen-Liste taucht neben all den Politikern, Baugrößen, Beamten und Halbweltfiguren neuerdings sogar ein evangelischer Pfarrer auf. Fahnder entdeckten, daß der Neuköllner Pastor Bernhard »Billy« Butzke zur Pflasterung auf Kirchvorhof und Friedhof »in exorbitantem Übermaß« Gehwegplatten geordert hatte. Die überzählige Ware im Wert von 150000 Mark hätte, spottete ein Beamter, »noch für mehrere Friedhöfe ausgereicht«.
Den Verdacht der Untreue nährte insbesondere eine Entdeckung: Der Gottesmann fährt Jaguar. Seinem Anwalt Reymar von Wedel versicherte der England-Fan Butzke, er habe den Wagen »belegbar in bar« bezahlt. Vorbesitzer: der Bremer Gehwegplatten-Lieferant.