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BUNDESRAT Deubel komm raus

Durch Wahlsiege in den Ländern wollen die Sozialdemokraten im Bundesrat die Mehrheit verändern. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Nach dem schlappen Abschneiden seiner Partei richtete SPD-Chef Willy Brandt »einen besonderen Blick« nach vorn. Noch 1987, verkündete der Spitzengenosse, werde sich zeigen, »ob man auf Deubel komm raus gegen die Sozialdemokraten regieren kann«. Brandt: »Ich will versuchen, das zu verhindern.«

Durch »Veränderung der Gewichte im Bundesrat«, so Brandt, solle der angeschlagenen Kohl-Regierung das Regieren schwergemacht und sozialdemokratischen Positionen zu mehr Geltung verholfen werden. Dazu müßte den Sozialdemokraten ab Mai gelingen, was sie seit anderthalb Jahren nicht mehr geschafft haben: Wahlen zu gewinnen.

Denn die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, wo derzeit die unionsgeführten Länder mit 23 Stimmen gegenüber den SPD-geführten Regierungen (18 Stimmen) dominieren, können nur durch SPD-Siege bei den anstehenden Landtagswahlen verändert werden.

Erst wenn die Sozialdemokraten ihre Bastionen in Hessen und Bremen verteidigen, in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein die dort amtierende CDU-Regierung stürzen und bei vorgezogenen Hamburger Neuwahlen die Regierungsmacht nicht einbüßen, könnte die Länderkammer zum Instrument einer »Gegengewichtspolitik« ("Welt") werden. Dann hätten die Genossen im Bundesrat die Stimmenmehrheit.

Weil die meisten Gesetzesvorhaben der Zustimmung der Länderkammer bedürfen, könnten die Sozialdemokraten dann durch ein Veto ihrer Landesregierungen jene Vorhaben blockieren, für die Kanzler Kohl bei seiner Klientel im Wort steht, etwa die geplante Steuerreform oder die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts.

Bereits im Mai, wenn der Mainzer Landtag neu gewählt wird, kann die Bundesratsmehrheit zugunsten der SPD kippen. Der rheinland-pfälzische CDU-Regierungschef Bernhard Vogel, der 1983 noch die absolute Mehrheit erzielte, hat Probleme. Die Union sackte bei den Bundestagswahlen von 49,6 auf 45,1 Prozent ab, Umfragen signalisieren auch für die Landtagswahlen Verluste. In der Pfalz und an der Mosel, wo die Winzer durch Weinskandale in Existenznot gerieten, drohen der Union herbe Einbußen, könnten freie Wählergemeinschaften zur lästigen Konkurrenz werden.

Vogels SPD-Herausforderer Rudolf Scharping, 39, einem fleißigen Parteistrategen mit dem Charme eines Rechnungsprüfers, mangelt es jedoch an Popularität - ein Manko, das mit gewaltigem Reklameaufwand wettgemacht werden soll. Scharping setzt auf Rot-Grün und wettert gemeinsam mit den Ökopaxen gegen die Militarisierung im Land, gegen US-Atomwaffen im Hunsrück, Giftgaslager in der Pfalz und Munitionsdepots bei Kaiserslautern. Bei einer rechnerischen Mehrheit würde er sich von den Grünen zum Ministerpräsidenten wählen lassen.

Zwar erreichten Sozis und Grüne bei der Bundestagswahl nur 44,5 Prozent (SPD 37, Grüne 7,5). Doch wenn Vogel die anvisierte absolute Mehrheit verfehlt und die Liberalen - wie bereits 1983 - an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern, wird es für die CDU brenzlig. Zwar heimsten die Freidemokraten bei den Bundestagswahlen 9,1 Prozent der Zweitstimmen ein. Doch bei den Erststimmen, dem Härtetest für FDP-Wähler, konnten die Liberalen nur 4,8 Prozent verbuchen. Der FDP-Landesvorsitzende Rainer Brüderle hat deshalb frühzeitig die »Erhaltung der Bundesratsmehrheit« zum Wahlkampfthema gemacht.

Auch in Schleswig-Holstein, wo im September gewählt wird, könnte ein abermaliges Scheitern der FDP (1983: 2,2 Prozent) den CDU-Ministerpräsidenten Uwe Barschel das Kommando kosten. Auch dort erzielten die Liberalen über neun Prozent der Zweitstimmen, aber nur 4,3 Prozent Erststimmen.

Zwar lag die Union bei den Bundestagswahlen trotz großer Verluste (minus 4,5 Prozent) mit 42 Prozent knapp vor den Sozialdemokraten (39,8 Prozent). Doch Oppositionsführer Björn Engholm (SPD) hofiert schon jetzt die Grünen (8 Prozent), deren Einzug in den Landtag sicher scheint. Engholm will sich von den Grünen nicht nur wählen lassen, sondern auch »kooperieren«. Man könne »nicht so tun«, stellt der Herausforderer klar, »als gäbe es diese Gruppe nicht«.

Auch die Genossen müssen einige bevorstehende Wahlen fürchten. Zwar sieht die Bremer SPD im Herbst einem ungefährdeten Sieg entgegen (Bundestagswahl: SPD 46,5, CDU 28,9 Prozent), aber in Hessen und Hamburg wackeln sozialdemokratische Hochburgen.

Mittwoch letzter Woche klappte Hessens SPD-Ministerpräsident Holger Börner am Rednerpult des Landtags zusammen. Den Schwächeanfall, den seine Ärzte diagnostizierten, hatte der offenbar amtsmüde Regierungschef zuvor seiner Landespartei attestiert, die bei der Bundestagswahl knapp drei Prozentpunkte verlor (38,7 Prozent) und zusammen mit dem grünen Koalitionspartner (9,4 Prozent) nur 48,1 Prozent erzielte.

Christ- und Freidemokraten dagegen sicherten sich die Mehrheit (CDU 41,3, FDP 9,1 Prozent) und haben plötzlich Hoffnung, bei den Landtagswahlen im Herbst mit Bundesumweltminister Walter Wallmann an der Spitze das rot-grüne Duo Börner/Fischer abzulösen.

Auch die Hamburger Sozis, die ihre bei der Bürgerschaftswahl 1986 begonnene Talfahrt fortsetzten, könnten Brandts Bundesratspläne zunichte machen. Wenn der SPD-Minderheitssenat scheitert und noch 1987 Neuwahlen fällig werden, schlägt das schwache Abschneiden der Sozialdemokraten bei großstädtischen Wählern (siehe Seite 35) womöglich auf die Ländervertretung durch. Bei Neuwahlen könnten die Hamburger Genossen die Regierungsmacht verlieren - und damit drei Stimmen im Bundesrat.

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