Deutlich weniger Gift im Blut
Anfang der siebziger Jahre jagte eine Untersuchung New Yorks Politikern einen heftigen Schreck ein: In Manhattans 45ster Straße hatten Techniker einen Bleigehalt von 7,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft gemessen. Amerikas Metropole war damit die bleihaltigste Stadt der USA.
Es dauerte fünf Jahre, bis die Politiker den Widerstand der Autoindustrie überwunden hatten: Seit 1975 beschränkt in den USA der Clean Air Act den Bleigehalt des Benzins auf 0,5 Gramm pro Gallone (3,8 Liter).
Die Milliarden Dollar, die Benzinhersteller für Raffinerie-Umbauten, Autofabriken für die Entwicklung von Motorzusatzgeräten und Verbraucher für das teurere bleifreie Benzin ausgeben, haben sich gelohnt. Kaum ein zweites amerikanisches Umweltschutzgesetz war so erfolgreich wie die Verordnung, bleifreies Benzin zu fahren.
»Wir haben das Blei aus dem Benzin genommen und damit auch aus unserem Körper«, konstatierte unlängst Vernon N. Houk, Direktor der medizinischen Umweltschutzbehörde. Die Ärzte registrierten einen deutlichen Rückgang des Bleigehalts im Blut, als dessen Hauptquelle das in der Atemluft enthaltene Blei feststeht.
Obwohl das Gesetz schon acht Jahre gilt, sind erst 56 Prozent aller US-Autos mit Katalysatoren ausgerüstet und dürfen nur mit bleifreiem Benzin gefahren werden. Knapp die Hälfte der US-Autos fährt mithin noch nicht bleifrei. Entweder sind es ältere Modelle, die vor 1975 zugelassen wurden, oder die Autos sind mit Dieselmotoren bestückt.
Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA überwacht, ob die bleifrei ausgerüsteten Autos auch tatsächlich bleifrei tanken. Fortlaufend überprüfen EPA-Beamte die 150 000 Tankstellen im Lande, damit die Tankstellenpächter an den bleifreien Zapfsäulen nicht billigeres Bleibenzin verkaufen.
EPA-Beamte sind auch oft dabei, wenn Stadtpolizisten oder die Highway Patrol Straßensperren errichten, um nach Autodieben oder betrunkenen Fahrern zu fahnden. Während die Polizisten Versicherungspapiere und Führerscheine überprüfen, reiben die Umweltschutzbeauftragten mit einem Spezialpapier Auspuffrohre oder Tankstutzen aus.
Verfärbt sich das Papier bei diesem lackmusähnlichen Test, ist dies ein Anzeichen für den Verbrauch von bleihaltigem Benzin. Der Nachweis trägt den Autofahrern freilich höchstens eine Ermahnung ein. Ein Gesetz, das den Autobesitzern das Tanken von bleifreiem Benzin vorschreibt, gibt es auch in den Vereinigten Staaten nicht.
Die Folge: Der Preisunterschied zwischen bleifreiem und bleihaltigem Benzin, der in einigen Regionen der USA umgerechnet vier Pfennig pro Liter ausmacht, verleitet die Autofahrer dazu, den Treibstoff zu wechseln.
Vom sogenannten fuel switching lassen sich viele US-Autofahrer auch dadurch nicht abhalten, daß die dicke bleihaltige Zapfpistole nicht in den kleinen, bleifreien Tankstutzen paßt. Der kalifornische Benzinmarkt-Experte Daniel Lundberg schätzt, daß mittlerweile jeder fünfte Autofahrer an Selbsttankstationen mit Hilfe eines Plastiktrichters, der den Querschnittunterschied zwischen den Einfüllstutzen überbrückt, bleihaltig statt bleifrei tankt.
Lundbergs Schätzung wird von einer bislang unveröffentlichten EPA-Studie gestützt. Letztes Jahr hatte eine Untersuchung von 3000 Autos in US-Großstädten ergeben, daß 16,7 Prozent der Motoren, die eigentlich bleifrei gefahren werden müßten, mit bleihaltigem Benzin betrieben wurden. Nach etwa drei Tankfüllungen mit Blei-Benzin ist der Katalysator unbrauchbar: er ist dann derart vergiftet, daß er die Schadstoffe im Abgas nicht mehr unschädlich machen kann.
Manche tanken bleihaltigen Sprit, ohne es zu wissen. So hat die EPA in den ersten Monaten dieses Jahres sechs Benzingroßhändler in den Stadtbezirken von Chicago und St. Louis namhaft gemacht, die schnelle Dollars verdienen wollten und bleihaltiges Benzin als bleifreien Treibstoff anlieferten. Die Tankstellenbesitzer hatten offenbar keine Kenntnis davon.
Auf derlei gesetzwidrige Lieferpraxis steht eine Geldstrafe von jeweils 10 000 Dollar. Mit gleich hohem Bußgeld muß ein Tankstellenbesitzer rechnen, der wissentlich bleihaltiges Benzin in Autotanks füllt oder füllen läßt, die dafür nicht vorgesehen sind.
Bei der Überführung von Tankstellenbesitzern und Benzinlieferanten hilft der EPA häufig »ein Tip von der Konkurrenz-Station gegenüber«, wie ein Beamter sagt.
Der hohe Anteil der Selbstbediener unter den Falschtankern hat bei der EPA zu der Überlegung geführt, möglicherweise die Self-Service-Tankstellen - sie setzen 70 Prozent der gesamten US-Spritmenge ab - landesweit verbieten zu lassen. Schon heute ist die Benzin-Selbstbedienung in den Bundesstaaten New Jersey und Oregon illegal.
Für derart rauhe Maßnahmen scheint jedoch das Umweltbewußtsein der Amerikaner nicht genug entwickelt. Immerhin haben bisher erst 15 US-Bundesstaaten die vom Clean Air Act vorgeschriebenen Inspektionsstationen eingerichtet, von denen die Autoabgase in regelmäßigem Abstand getestet werden.
Häufig sind solche Prüfungen in diesen Staaten aber auch noch auf jene Autos beschränkt, die im Umkreis einer Großstadt registriert sind. Wer auf dem Lande wohnt, darf den Dreck ungehindert in die Luft blasen.
Überdies hat nur etwa jeder zweite der 50 amerikanischen Bundesstaaten eine Art TÜV gesetzlich verankert. Ein Autobesitzer aus Montana etwa darf seinen Wagen ohne jede Überprüfung fahren, bis er zusammenbricht. Es werden weder Abgaswerte gemessen noch Bremsen geprüft.
In der Bundesrepublik, wo der TÜV jahrzehntelange Kontrollerfahrung besitzt, wäre die unabdingbare Katalysator-Überprüfung sicherlich kein Organisationsproblem.
In den USA will die EPA die säumigen Bundesstaaten nun veranlassen, bis spätestens 1987 überall Inspektionsstationen einzurichten. Die Behörde plant, eine Broschüre über die Vorteile von bleifreiem Benzin neu aufzulegen und unter die Autofahrer zu bringen.
Weitere Aktionen scheiterten bislang daran, daß die Reagan-Regierung, der bei der Rüstung nichts zu teuer ist, den Etat der EPA drastisch zusammengestrichen hat.