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HOLLAND-FIRMEN Deutsch gemauert

aus DER SPIEGEL 21/1962

In Bad Homburg beginnt in diesem Monat eine holländische Firma mit holländischen Maurern sowie Baugerät und Material aus ihrer Heimat eine Wohnsiedlung von 60 Häusern zu errichten. Deutsch sind an dem Projekt nur der Baugrund und das Geld.

Wenige Kilometer südlicher, in der Wohnstadt Oberlinden bei Langen, wird die Baufirma noch in diesem Jahr den ersten Spatenstich für eine Siedlung von 22 Häusern tun. Elf weitere Holland-Siedlungen sind im Hessenland geplant.

Das Homburger Bauvorhaben wird von hessischen Siedlungsbau-Genossenschaften durchgeführt. Das Oberlinder Projekt betreut die Nassauische Heimstätte GmbH, deren Direktor Paul Müller schon durch die Finanzierung von Fertigbau-Wohnungen bemüht ist, den Baupreissteigerungen beizukommen. Ähnliche Hoffnungen setzt Müller auf die Holländer: »Wir wollen durch ihre Hinzuziehung den Wettbewerb auf dem deutschen Baumarkt verstärken. Dadurch werden wir mittelbar auf die hohen Baupreise in Deutschland Einfluß ausüben.«

Holländische Baufirmen haben den ergiebigen Baumarkt Westdeutschland entdeckt, seit ihre Regierung durch strenge Direktiven das Bauwesen im eigenen Lande kurzhält. Im Jahre 1956 hatte Den Haag die sogenannte Bestedingsbeperking zur Einschränkung aller Ausgaben verkündet, eine Aktion, durch die Bürger und Behörden zur Sparsamkeit angehalten werden sollten. Als nach Beendigung der Spar-Aktion der holländische Baumarkt schnell Erhitzungserscheinungen zeigte, tat Den Haag das, was sich in Bonn bisher niemand zu tun getraut hat: Man erließ einen Baustopp.

Alle Wohnungsbauten mit einer Bausumme von mehr als 10 000 Gulden und alle gewerblichen Projekte von mehr als 50 000 Gulden bedürfen seitdem einer staatlichen Sondergenehmigung.

Holländische Firmen luden deshalb ihre überschüssige Kapazität auf den benachbarten westdeutschen Markt ab, wo die heimische Branche seit Jahren die Nachfrage nicht ordnungsgemäß bewältigen kann.

Die deutschen Bauherren rissen sich bald um die Baukolonnen aus dem Nachbarland, da sie billiger arbeiteten als die deutschen. In Holland bekommt ein Bauarbeiter nur etwa 60 Prozent des Lohnes, den sein deutscher Kollege bezieht. Der hohe Lohnanteil bei deutschen Wohnprojekten - etwa 45 Prozent der Bausumme sind Löhne - ermöglichte es den Holländern, im sozialen Wohnungsbau einen Kubikmeter umbauten Raums für 50 Mark zu erstellen. Deutsche Firmen veranschlagten 70 Mark.

Allerdings regten sich in Westdeutschland sehr bald Gegenkräfte. Verärgert über die billige Konkurrenz, machten ortsansässige Bauunternehmen die Behörden darauf aufmerksam, daß ihren fremden Berufskollegen sämtlich ein wichtiges Requisit, der Meisterbrief, fehle und sie deswegen nicht in die Handwerksrolle aufgenommen werden könnten. Ohne Eintragung in die Rolle wiederum ist es in Westdeutschland Handwerkern verwehrt, ein Geschäft zu führen.

Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht statuierte denn auch erwartungsgemäß ein Exempel. Es traf den holländischen Straßenpflasterer Johannes Antonius van Uum aus Zeddam in Gelderland, der in der Grenzstadt Emmerich eine Filiale eröffnet hatte und sich um Aufträge für Straßenpflasterung bewarb.

Vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht trug van Uum vor, er pflastere seit 26 Jahren Straßen und führe seit 1953 das Geschäft seines Vaters. Mit zahlreichen Referenzen könne er nachweisen, daß er auch ohne deutsche Meisterprüfung ein Fachmann sei und ein Pflastergeschäft leiten könne.

Die Verwaltungsrichter belehrten ihn: Es »genügt nicht, daß (er) die ihm übertragenen Arbeiten ordnungsgemäß ausgeführt« habe. Er müsse vielmehr nachweisen, »daß er... annähernd dieselben Kenntnisse und Fertigkeiten« besitze wie ein deutscher Pflastermeister. Dieser Nachweis aber sei nur durch eine Meisterprüfung zu erbringen.

War damit amtlich klargestellt, daß in deutschen Gauen nur deutsch gepflastert und gemauert werden darf, so stellten die Gewerkschaften heraus, daß ähnliches auch für den Lohn zu gelten habe. Nach mehrfacher Intervention des DGB müssen zum Beispiel einem holländischen Betonfacharbeiter, dem in seiner Heimat ein Stundenlohn von 2,20 Mark zusteht, jetzt die in der Bundesrepublik üblichen 3,30 Mark je Arbeitsstunde gezahlt werden.

Den Heimstätten-Direktor Müller machte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie jüngst sogar darauf aufmerksam, daß sein holländischer Bauunternehmer nicht nur den Maurern die höheren deutschen Löhne zu zahlen habe, er müsse darüber hinaus auch Beiträge an die Gemeinschaftskasse der Unternehmer und der Gewerkschaft entrichten, aus der organisierten Bauarbeitern ein Zuschuß für den Lebensabend gewährt wird. Es störte den Verband nicht, daß die nur vorübergehend in Deutschland arbeitenden Holländer kaum jemals in den Genuß dieser Vergünstigung kommen werden.

Auf diese Weise wird es den holländischen Bauleuten immer schwerer gemacht, bei Ausschreibungen niedriger zu kalkulieren als ihre deutschen Mitbewerber. Trotzdem aber erteilen manche Bauherren ihnen den Zuschlag, weil sie sich davon eine qualitativ bessere Bauausführung versprechen, als sie in der Hitze des westdeutschen Konjunkturgefechts üblich geworden ist. So begründet der Homburger Oberbürgermeister Karl Horn die Vergabe seines Bauvorhabens an die Holländer: »Sie bauen zwar nicht billiger, aber solider und ansprechender, und vor allem bieten sie zu Festpreisen an.«

Während sich bei manchen deutschen Baufirmen die sogenannte Preisgleitklausel eingebürgert hat-- jede Erhöhung der Löhne und Materialpreise während der Fertigstellung wird auf die Auftragssumme aufgeschlagen -, halten sich die Holländer an ihr einmal abgegebenes Angebot. Im Endeffekt werden ihre Bauten oft schon dadurch preiswerter.

So wollen sie in Bad Homburg ein Einfamilienhaus mit 95 Quadratmeter Wohnfläche zum Festpreis von 54 000 Mark errichten. Für den etwas kleineren Bungalow verlangen sie 50 000 Mark (hinzu kommen die Grundstücks- und Erschließungskosten von 20 Mark, je Quadratmeter und die Kosten für die Heizung).

Inzwischen hat die Deutsch-Niederländische Handelskammer in Düsseldorf auch einige Auswege aus der »ekelhaften Handwerksordnung« entdeckt, auf denen die Holländer mit inzwischen rund 16 000 Bauarbeitern dennoch zum Zuge kommen:

- Holländische Bauarbeiter bilden Kolonnen, die sich bei westdeutschen Unternehmern als Akkordgruppen verdingen;

- holländische Handwerker, wie zum Beispiel der Venloer J. Wolters, fahren ihre Arbeiter täglich oder wöchentlich über die Grenze auf die deutschen Baustellen und holen sie zumFeierabend oder am Wochenende wieder ab;

- holländische Baugesellschaften gründen in Deutschland eigene Unternehmen, denen ein westdeutscher Fachmann als Geschäftsführer vorsteht; so rief beispielsweise die holländische Firma Jongen NV in Köln die Jongen GmbH ins Leben, die von dem deutschen Geschäftsführer Weigel geleitet wird.

Holländische Großbaufirmen können überdies die Meisterbrief-Hürde kraft ihrer industriellen Größe überspringen. Im Gegensatz zu den kleineren und mittleren Handwerksbetrieben brauchen sie sich nicht in die Handwerksrolle eintragen zu lassen, sondern melden sich zur Eintragung ins Handelsregister an. Auf diese Weise kam die holländische Baufirma in Bad Homburg zu dem Bauauftrag über 60 Häuser.

Mehrere der holländischen Baufirmen wollen in Zukunft ihre Arbeit in einem Gemeinschaftsunternehmen zusammenfassen. Gegenwärtig untersuchen Vertreter von zwölf Firmen, wo in Nordrhein-Westfalen sie sich mit einer GmbH, an der alle zwölf Firmen Gesellschafter werden wollen, niederlassen können.

Heimstätten-Chef Müller hält die Betätigung der Niederländer auf dem überhitzten westdeutschen Baumarkt besonders wegen der »unmittelbaren psychologischen Wirkung auf die deutschen Unternehmer« für nützlich. Auch Homburgs Oberbürgermeister konstatiert bereits einen heilsamen Einfluß.

Berichtet Horn: »Deutsche Baufirmen wollen nunmehr schon bei uns zu den gleichen (Festpreis-)Bedingungen arbeiten wie die Holländer.«

Heimstätten-Direktor Müller

Niederländer importiert

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