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SLOWENIEN Deutsche vom Balkan

Das kleine Land am Südrand der Alpen übernimmt die EU-Präsidentschaft. Doch Europas Musterschüler steht unter Druck: Die Preise explodieren, Journalisten klagen über staatliche Zensur.
Von Marion Kraske
aus DER SPIEGEL 1/2008

Draußen ist es bitterkalt. Aber drinnen, im »Zvezda«, im Zentrum Ljubljanas, gibt das Partyvolk Gas. Frauen in hochhackigen Lederstiefeln und Männer mit Designerbrillen prosten sich zu, Sektgläser klirren. Mitten im Gewühl eine quirlige Frau mit leuchtenden Augen, die ihre rotblonden Locken zu einem Zopf zusammengebunden hat: Ursa Sefman Sojer feiert die Eröffnung ihres neuesten Cafés. Alles ist supermodern, hellbraune Lederbänke, dunkelgebeizte Stühle, schicke Leuchter. Zvezda heißt zu Deutsch der Stern.

Sefman ist 34, sie trägt ein enges schwarzes Wollkleid, dazu Sandalen im Gepardenlook, den Ausschnitt ziert eine Brosche mit dem Konterfei von Marilyn Monroe. Vor acht Jahren hat sie mit ihrem ersten Café den Schritt in die Selbständigkeit gewagt, weil sie »so gerne backt«, wie sie sagt, ihre Spezialität sind Obst- und Schokoladentorten. Sie gab ihren Job in der PR-Branche auf und arbeitete anfangs bis zu 20 Stunden täglich. Abends, wenn die Gäste weg waren, brachte sie noch die Tischdecken zu ihrer Mutter, die wusch sie für den nächsten Tag. Dann fiel sie todmüde ins Bett.

»Wir haben alles selbst gemacht«, sagt Ursa Sefman, »aber es hat sich gelohnt, das Geschäft brummt.« Zvezda Nummer eins ist inzwischen ein beliebter Treffpunkt in der slowenischen Hauptstadt, die zweifache Mutter erzielt 800 000 Euro Umsatz pro Jahr. Und nun also Zvezda Nummer zwei.

Slowenien kennt viele solcher Erfolgsgeschichten. Die von Igor Akrapovic zum Beispiel, der knapp 35 Kilometer von Ljubljana entfernt Auspuffanlagen für Motorräder fertigt und es damit zu einem der führenden Unternehmen im Bereich des Rennsports gebracht hat - weltweit. Oder die der Firma Elan, die im Grenzgebiet zwischen Slowenien und Österreich Ski und Snowboards fertigt und vor einigen Jahren jenen Carver erfand, mit dem heute Skibegeisterte zwischen Aspen und St. Moritz die Pisten herabjagen.

Wohl keines der ehemals kommunistischen Länder, die im Mai 2004 der EU beigetreten sind, ist so dynamisch, so zielstrebig wie der Zwei-Millionen-Einwohner-Staat am südöstlichen Zipfel der Alpen. Wirtschaftlich geht es dem Land, das kleiner als Sachsen-Anhalt ist, so gut wie nie zuvor: Sechs Prozent Wachstum meldete die EU-Kommission für 2007. Auch die 500 kleinen und mittleren Betriebe im Land, die sogenannten Gazellas, leisten einen wichtigen Beitrag, sie exportieren Wein, Autoteile, Lederwaren. Und die Slowenen investieren, vor allem auf dem

Balkan - in Bosnien zählen sie inzwischen zu den größten Kapitalanlegern.

Zu Titos Zeiten war die damals nördlichste Republik bereits das wirtschaftliche Zugpferd des jugoslawischen Vielvölkerreichs. Mit dem Geld, das Slowenien in den Länderfinanzausgleich zahlte, wurden die darbenden Republiken im Süden gestützt. Von den Balkankriegen blieb es weitgehend verschont; lediglich unmittelbar nach Ausrufung der Unabhängigkeit 1991 lieferten sich jugoslawische Einheiten mit der slowenischen Armee zehn Tage lang kleinere Gefechte.

Mittlerweile besitzt das Land einen höheren Lebensstandard als Portugal und liegt bereits dicht hinter Griechenland - die »Deutschen vom Balkan« werden die Slowenen wegen ihrer Emsigkeit genannt. Auch der Euro ist schon eingeführt. Kein Wunder, dass Slowenien im Januar als erstes der neuen EU-Mitglieder die Ratspräsidentschaft der Union übernimmt.

Touristen, die mit dem Auto von Österreich kommend das erste Mal die Grenze passieren, sind meist überrascht: Die Häuschen sind hell und freundlich getüncht, die Balkone mit Geranien umrandet, weiter südlich, an der Adria, blühen Tourismusorte wie Piran und Portoroz. Keine Spur vom Ostmuff, den es noch in anderen postsozialistischen Ländern gibt.

Ljubljana, das einstige Laibach, in dem jahrhundertelang die Habsburger regierten, ist bis heute ein Kleinod stolzer k. u. k. Architektur. Übersetzt heißt Ljubljana die Geliebte, die Stadt wirkt friedlich und jung. Mehr als 50 000 Studenten tummeln sich am Fuße der Burg, die einst auch als Gefängnis diente. Ljubljana gibt sich mediterran, selbst in diesen Wintertagen sitzen die Hauptstädter im Freien, um ihren Kaffee zu nehmen.

Doch das Bild täuscht, die Leichtigkeit, die das Leben der Slowenen bislang bestimmte, ist dahin. Mit dem Euro kam Anfang des Jahres auch der Frust: Die Preise in den Supermärkten kletterten seither steil nach oben. Allein Lebensmittel haben sich um 20 Prozent verteuert.

»Es ist verdammt hart, über die Runden zu kommen«, schimpft Ingrid Dorner, eine 21-Jährige mit himbeerrot gefärbten Haaren und Nickelbrille. Sie stammt eigentlich aus Maribor, in Ljubljana studiert sie Psychologie. Mit ihrem Nebenjob in einem Restaurant verdiene sie im Monat knapp 800 Euro, 300 müsse sie allein schon für ihre kleine Wohnung bezahlen: »Das Geld rinnt nur so aus den Fingern.«

Ende November brach sich der Unmut erstmals Bahn, rund 70 000 Menschen gingen in Ljubljana auf die Straße - eine gewaltige Demonstration für dieses kleine Land. Gewerkschaften, Studenten und Rentner protestierten gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und forderten mehr soziale Gerechtigkeit. Es war die bislang größte Kundgebung seit Proklamation der Unabhängigkeit.

Tatsächlich hat Sloweniens Inflationsrate mit 5,7 Prozent besorgniserregende Höhen erreicht - in keinem Land der Eurozone ist die Geldentwertung derart hoch. EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia sah sich Anfang November genötigt, das sonst so mustergültige Slowenien öffentlich zu ermahnen: Mehr als drei Prozent Inflation seien »ein schlechtes Signal« für die nächsten Euro-Aspiranten.

Auch sonst ist die Lage der Mitte-rechts-Regierung von Premier Janesz Jansa zu Beginn der EU-Ratspräsidentschaft nicht gerade rosig. Bei der kürzlichen Präsidentschaftswahl siegte Linkspolitiker Danilo Türk, ein erfahrener Diplomat, der sechs Jahre lang die rechte Hand von Uno-Chef Kofi Annan war. Lojze Peterle, Favorit der Regierung, landete abgeschlagen auf Platz zwei. »Der Wahlausgang ist ein Denkzettel für Jansas Kabinett«, sagt der Wiener Balkanexperte Vedran Dzihic: »Das Bild des ewigen Musterschülers wird korrigiert.«

Dass Jansa daraufhin Ende November die Vertrauensfrage stellte, war eher ein demonstrativer Akt, erwartungsgemäß stimmte die Mehrheit des Parlaments für ihn. Innenpolitisch kämpft der Premier gleichwohl noch an einer anderen Front. 571 Journalisten brachten jüngst eine Petition auf den Weg, in der sie eine massive Einschränkung der Medienfreiheit und politischen Druck von Seiten der Regierung beklagen. Einen entsprechenden Brief hatten sie im Herbst an zahlreiche Zeitungen und Presseagenturen in ganz Europa verschickt.

Während der Regierungschef von einer inszenierten Kampagne der Opposition spricht und den aufmüpfigen Journalisten Landesverrat vorwirft, halten viele den Protest für berechtigt. Auch Blaz Zgaga.

Der 34-Jährige ist derzeit der Robin Hood der slowenischen Medienlandschaft, er ist einer der beiden Initiatoren der Petition. Zgaga sitzt mit dicker Wollmütze und wattierter Jacke vor seinem Stammlokal im Zentrum Ljubljanas. Er erzählt, wie er in der Zeitung »Vecer« jahrelang über die Aktivitäten der Geheimdienste und deren Skandale schrieb. Doch im vergangenen Jahr seien regierungskritische Passagen immer wieder aus seinen Texten entfernt worden, schließlich wurde er mit anderen, weniger heiklen Themen betraut. Investigativer Journalismus sei für ihn fast nicht mehr möglich, sagt er: »Man hat mich kaltgestellt.«

Kein Einzelfall, urteilt Brankica Petkovic, die für das slowenische Peace Institute die Medienlandschaft beobachtet. Immer wieder seien in jüngerer Zeit kritische Journalisten degradiert, unliebsame Artikel unterdrückt oder leitende Redakteure von Print und Hörfunk durch Sympathisanten der Regierung ausgetauscht worden: »Die Art, wie Druck auf die Presse ausgeübt wird, ist sehr subtil.«

Staatlich kontrollierte Firmen wie Telekom und Mobitel hätten ihre Anzeigen in den letzten zwei Jahren ohne Begründung storniert, berichtet der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins »Mladina«, Grega Repovz. Allein im vergangenen Jahr verbuchte sein Blatt einen Verlust von mehreren hunderttausend Euro - es sei wohl für seine kritische Berichterstattung abgestraft worden, so Repovz, der auch Vorsitzender der slowenischen Journalistenvereinigung ist: »So massiv waren die Interventionen nie.«

Kritiker halten Janez Jansa, 49, für das eigentliche Problem. Der frühere Journalist, der sich in den achtziger Jahren in der kommunistischen Jugend engagierte und nach der Wende zum autoritär agierenden Konservativen wurde, habe nur ein einziges Ziel, meint die angesehene slowenische Philosophin Spomenka Hribar: »alles dem Staat unterzuordnen«. Viele Slowenen erhofften sich deswegen von der EU-Ratspräsidentschaft vor allem eines: einen Schub für »mehr Demokratie«. MARION KRASKE

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