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Artikel 44 / 56

Briefe

DEUTSCHER PATRIOT
aus DER SPIEGEL 10/1964

DEUTSCHER PATRIOT

Zu Rudolf Augsteins bewegendem Artikel über Carl v. Ossietzky, der bis auf unwesentliche Exkurse auf meinem Buch »Ossietzky - Ein deutscher Patriot« (Kindler-Verlag München) basierte, erlaube ich mir nur drei Bemerkungen zu machen: Dank, Einverständnis und Anerkennung für die berechtigte Abbürstung »der Kokett-Schreiber«, dieser Ahnungslosen, Nichtwisser, die im Gegensatz zu Rudolf Augstein immer noch nicht gelernt haben, wie intensiv Ossietzky das tragische Schicksal des Weimarer Staates durchlitten hat. In der Tat: Ossietzky war ein wahrer deutscher Patriot.

Die Begegnung Ossietzkys mit Göring ist zu jener Zeit (1936) von Freunden drinnen den Freunden draußen berichtet worden. Gedruckt wurde diese Episode im Rahmen der Sonderveröffentlichung des in New York erschienenen »Foreign Language Feature« vom 23. November 1946 unter der Überschrift »Sein Leben«. Verfasserin war Hilde Walter.

Meine Biographie, wie dies aus dem interessanten und erschöpfenden Artikel Rudolf Augsteins hervorgeht, stellt Ossietzky den Mann chronologisch in die Zeit. Lediglich der Prolog, Ossietzkys Gang ins Gefängnis am 10. Mai 1932, ist die Ausnahme. Das Buch erzählt die Geschichte Ossietzkys in der »Republik unterm Beil«.

New York

KURT R. GROSSMANN

... teile ich Ihnen hierzu mit, daß ich zufällig der einzigen Besprechung beigewohnt habe, welche zwischen Hermann Göring und Carl von Ossietzky kurz vor der Freilassung des letzten stattfand.

Hierüber habe ich bald nach dem Kriegsende - also zeitnäher als heute - die folgende Aufzeichnung gemacht: »Bevor der frühere Herausgeber der 'Weltbühne' Carl von Ossietzky auf Görings Befehl freigelassen wurde, ließ Göring ihn zu sich bringen. Er fragte ihn, ob er seine früheren Auffassungen inzwischen geändert hätte. Von Ossietzky verneinte dies und vertrat offen und tapfer seinen antinationalsozialistischen Standpunkt. Göring nahm ihm dies keineswegs übel, sondern begann mit ihm zu diskutieren. Diese Diskussion zog sich längere Zeit hin und war sehr lebhaft. Göring schloß schließlich die Diskussion mit der toleranten Erklärung, daß offenbar keiner von beiden in der Lage sei, den anderen zu überzeugen. An der Freilassung von Ossietzkys änderte dieses politische Bekenntnis nichts.«

Es ist also nicht richtig, daß Göring die Ablehnung des Nobelpreises verlangt und diese Ablehnung als Bedingung für die Freilassung bezeichnet hätte.

Mülheim (Ruhr)

DR. WERNER BEST*

In seinem Aufsatz bezweifelt Herr Augstein, daß Göring selbst Ossietzky stundenlang mit Worten zugesetzt hätte, den Friedensnobelpreis abzulehnen und dafür »noch heute abend als freier Mann« nach Hause zu gehen. Herr Augstein hätte für diese Schilderung Grossmanns gern einen Beleg. Mit einem Beleg in dieser Sache kann auch ich leider nicht aufwarten. Sollte aber, um Augsteins berechtigtem Zweifel etwas vom Stachel zu nehmen, mit meinem Zeugnis gedient sein, dann möchte ich gern folgendes sagen:

Ich war von Juni bis Oktober 1933 im Zuchthaus Sonnenburg, Ostflügel, Station V, Zellennachbar von Ossietzky. Die Zellen waren tagsüber offen, und wir hatten (auch außerhalb der Freizeit auf dem Hofe) Gelegenheit zu oft stundenlangen Unterhaltungen in der Zelle. Zweimal ist man damals an Ossietzky herangetreten mit dem Versprechen, ihm die Freiheit zu geben, wenn er gewisse Voraussetzungen erfülle. Im September 1933 war es Herr Kube, Gauleiter der Kurmark. Kube, der sehr jovial tat (dem ehemaligen Parlaments-Kollegen, dem kommunistischen Landtagsabgeordneten Willi Kasper, überreichte er eine Kiste guter Zigarren, die dieser auch annahm, was ihm die Genossen sehr übel vermerkten), behauptete, im Auftrage Görings zu sprechen. Ich war Zeuge der Unterhaltung, wenn man diese einseitige Angelegenheit so nennen konnte, denn Ossietzky schwieg die ganze Zeit über. Kube sagte; Göring verlange nichts weiter, als daß Ossietzky dem Pazifismus abschwöre und ein Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat ablege; und zwar in Form einer schriftlichen Erklärung.

Er, Kube, verbürge sich mit seinem Ehrenwort als Nationalsozialist, daß wenn Ossietzky dem entspreche, er spätestens in drei Tagen ein freier Mann sei und hingehen könne, wohin er wolle. Ossietzkys beharrliches Schweigen quittierte Herr Kube mit verständnislosem Kopfschütteln.

Das zweite Mal war es in den Tagen der sogenannten »Göringschen Weihnachtsamnestie«, als man an Ossietzky mit dem gleichen Anerbieten herantrat. Der Beauftragte war einer der Herren von der Gestapo, dessen Name mir entfallen ist. Seine Mission endete genauso erfolglos wie die des Herrn Kube. Ossietzky würdigte ihn nicht mal einer Antwort.

Ich selbst wurde - irrtümlicherweise, wie sich später herausstellte - mit einem kleinen Schub Nachzügler am 23. Dezember entlassen. Vorm Abmarsch zum Bahnhof lief ich noch einmal mit einem Päckchen Zigaretten zu ihm. Ich redete noch einmal auf ihn ein, wies darauf hin, daß alle, die wir entlassen würden, eine Art Bekenntnis zum Nationalsozialismus durch unsere Unterschrift bekräftigt hätten, daß kommunistische Reichstagsabgeordnete wie der Rechtsanwalt Obuch, Albert Kaiser und andere ohne Bedenken unterschrieben hätten...

Ossietzkys einzige Antwort war: »Ich kann das nicht.«

Berlin

FRANZ JACK

Sie haben Carl von Ossietzky eine Würdigung gewidmet, die Dank und Anerkennung verdient. Aber was haben sein Schicksal und sein Wirken vermocht?

Wiesbaden DR. BERTHOLD RODEWALD

Da haben Sie nun die Bedeutung des Herrn von Ossietzky mit all Ihrem stilistischen Schliff geschildert und erläutert. Und es war wahrhaftig wieder einmal ein Genuß, Ihrer Diktion zu folgen, und mich für mein Teil reut die Zeit nicht. Und doch sind Sie an einer klaren und eindeutigen Antwort- die ohne Zwang möglich gewesen ware - vorbeigegangen. Daran nämlich, daß es dem zitierten Herrn von Ossietzky (und zahlreichen anderen auch) seinerzeit bestens gelungen ist, insbesondere den Intellektuellen (und denen, die sich dafür hielten) die demokratische Staatsform im allgemeinen und die Weimarer Republik im besonderen gründlich zu vermiesen.

Lörrach (Bad.-Württ.)

DR. W. BURDE

Was wäre wohl aus der Weimarer Nationalversammlung geworden, wenn Ebert deren Schutz nicht nationalgesinnten Soldaten, sondern »deutschen Patrioten«, Pazifisten à la Ossietzky, anvertraut hätte? Welch geistiger Hochmut liegt in Ossietzkys Auffassung, er und seine Clique von Intellektuellen hätten das Recht, einen Staat, den sie verneinen, zu verraten!

Brockhöfe (Nieders.)

DR. OTTO SCHMIDT

Ossietzky hat die Zeit treffend analysiert, aber offenbar kein Gefühl für politisch praktikable Lösungen gehabt. Die fanatische Kompromißlosigkeit, der er sich scheint hingegeben zu haben und die man fälschlicherweise immer wieder bei Ossietzky (und anderen seines Typs) als Plus ansieht, ist die Quelle des Übels.

Damit bezweifle ich nicht, daß er »wie kein anderer repräsentativ das Schicksal des Weimarer Staates erlitten und geteilt« hat und daß er »ein deutscher Patriot« war. Guter Wille und richtige Einsicht aber vermögen die Wirkungen falschen Handelns nicht aufzuheben, und vornehmlich nach ihrem Handeln sollte man politische Persönlichkeiten werten.

München

WIELAND BRANDT

Daß man Ossietzky den Nobelpreis verliehen hatte, war eher eine moralische Ohrfeige für Hitler als eine Ehrung Ossietzkys. Daß man Ossietzky in der Weimarer Zeit nicht unmöglich gemacht hat, mag daran gelegen haben, daß man bewußt das Chaos haben wollte, sowohl von links bis ganz rechts, und für Hitler war es ein gewonnenes Spiel.

Rheydt

GUSTAV GAIDETZKA

Mit Ihrem Aufsatz über Carl von Ossietzky fügen Sie den tragenden Schlußstein in den Bogen einer großen Tradition deutscher politischer Publizistik. Siegfried Jacobsohns »Weltbühne« läßt sich nicht wiedererwecken. Aber der SPIEGEL Rudolf Augsteins führt ihre Aufgabe heute mit staatspolitischem Verantwortungsgefühl, mit Gewissenhaftigkeit und sprachbildender Kraft weiter. Als Mitarbeiter der alten »Weltbühne« sage ich Ihnen das mit dem Ausdruck hoher Achtung und herzlicher Verbundenheit.

Hamburg

ERHARD EVERS

* Ehemals stellvertretender Chef der Gestapo später Reichsbevollmächtigter für Dänemark

Großmann

Ossietzky

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