1. Mai Randalierer attackieren Berlins Polizeipräsidenten - Schwere Krawalle in Hamburg

Linksautonome zünden Autos an, verwunden Polizisten. Rechtsradikale beschimpfen Hamburgs Senat als "schwule Regierung", prügeln auf einen Kameramann ein: In Hamburg kam es am 1. Mai zu den heftigsten Krawallen seit Jahren. In Berlin musste sich der Polizeipräsident vor Randalierern in Sicherheit bringen.

Ausnahmezustand am 1. Mai im Hamburger Ortsteil Barmbek: Linksautonome und Neonazis randalieren, in jeder Straße, die sie durchziehen, hinterlassen sie eine Spur der Verwüstung. Dutzende Müllcontainer brennen lichterloh, mehrere Autos stehen in Flammen. Kanonenschläge knallen, Steine fliegen, Rauchbomben verrußen die Luft.

Bereits gegen 11 Uhr morgens stinkt es im Viertel nach verbranntem Gummi. Unbekannte haben einen Reifenberg angezündet. Flammen schlagen empor, nur 20 Meter von einer Tankstelle entfernt.

Die Hansestadt wurde am 1. Mai Schauplatz der "größten und gewalttätigsten Krawalle, die die Stadt seit langem gesehen hat", sagte später Ralf Meyer, Pressesprecher der Hamburger Polizei, SPIEGEL ONLINE. "Wir schätzen, dass etwa 1100 Rechtsextreme und 7000 Linke sich an den Protesten beteiligt haben." Mehrere tausend Polizisten seien im Einsatz gewesen.

Offenbar waren es immer noch zu wenige, um die feindlichen Lager durchgehend voneinander zu trennen.

Stundenlanger Belagerungszustand

Die Aggression zwischen Rechten und Linken hatte sich über den Tag immer mehr hochgeschaukelt. Ab 12 Uhr mittags stehen sie sich am S-Bahnhof Alte Wöhr in Sichtweite gegenüber - getrennt von Polizeiketten und Wasserwerfern. Stundenlang dauert dieser Belagerungszustand, die Stimmung wird immer aggressiver.

Immer wieder verzögert sich der Start des Neonazi-Aufmarsches. Unbekannte Randalierer legen auf den Gleisen Feuer. Eine S-Bahn, die etwa 300 Rechtsextreme zur Alten Wöhr befördert, kommt zum Stehen. Die Insassen müssen zu Fuß weiter.

In der Zwischenzeit sammeln sich in den umliegenden Straßen immer mehr Linke. Mehrmals versuchen Stoßtrupps, über eine Hauptstraße zu den Rechten durchzubrechen, werden aber jedes Mal von Wasserwerfern zurückgedrängt. Vermummte errichten Barrikaden aus Straßenschildern, werfen Steine. Mindestens ein Polizist und mehrere Demonstranten werden an dieser Stelle verletzt. Kleinere Gruppen versuchen, über umliegende Schrebergärten die Sperren zu umgehen. Polizisten verfolgen sie durch Feldwege und Blumenrabatte. Anwohner protestieren lautstark.

Auch bei den wartenden Neonazis wird die Stimmung immer aggressiver. Ihre Gewalt richtet sich zunächst vor allem gegen Journalisten. Einige Protestler drängen ein Kamerateam des NDR ab, während es ein Interview mit der Neonazigröße Christian Worch führt. Andere Neonazis reißen einen Bauzaun nieder, stürmen auf einen anliegenden Hügel und schlagen dort einen Kameramann brutal zusammen. "15 Rechte prügelten auf mich ein, etwa eine Minute lang. Die Kamera wurde mir weggenommen. Dann kam mir die Polizei zur Hilfe", sagt der Mann SPIEGEL ONLINE.

Wasserwerfer und Polizeikessel

Als der Zug der Rechtsextremen sich schließlich gegen 15.30 Uhr in Gang setzt, entlädt sich die aufgeladene Stimmung vollends. Durch eine Schneise aus Polizisten und Linksautonomen marschieren die Neonazis über die Fuhlsbüttler Landstraße in Richtung S-Bahn-Station Ohlsdorf, Redner beschimpfen den neu gewählten Hamburger Senat als "schwule Regierung", die mit dem "linksradikalen Mob" zusammenarbeitet.

Immer wieder scheren Rechtsextreme aus dem Demonstrationszug aus und greifen umstehende Linke an. Mehrere Vermummte laufen auf eine Kamerafrau zu und stoßen sie zu Boden. Dabei verletzt sie sich leicht. Demonstranten beider Seiten bedrängen Polizisten. Ein Streifenwagen wird umgekippt und in Brand gesteckt.

Gegen 17 Uhr erreicht der Demonstrationszug seinen Endpunkt am S-Bahnhof Ohlsdorf. Der Hamburger NPD-Chef und Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger setzt zur Abschlussrede an, wird aber nach wenigen Sätzen von der Polizei unterbrochen. Die Demo sei abgebrochen, sagt er. Dann stimmt er das Deutschlandlied an.

Die Polizei drängt die beiden Lager in verschiedene Richtungen auseinander: die Rechtsradikalen in die S-Bahn, die Gegendemonstranten die Straße hinunter.

Die vorläufige Bilanz des Nachmittags laut Polizei: Mehr als 50 Personen wurden vorläufig festgenommen, mehr als 200 in Gewahrsam genommen. Zwei Männer wurden einem Haftrichter vorgeführt, sie stehen unter Verdacht, ein Auto angezündet zu haben. Mehr als 20 der rund 2500 eingesetzten Polizisten wurden verletzt. Ein Polizeifahrzeug und sechs Privatautos gingen in Flammen auf.

Am Abend verlagerten sich die Ausschreitungen ins Schanzenviertel: Angehörige der linken Szene bewarfen eine Sparkassenfiliale mit Steinen und errichteten Barrikaden. Eintreffende Polizisten attackierten die Autonomen laut Augenzeugenberichten mit Feuerwerkskörpern und Steinen. Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen die Randalierer vor.

In Berlin muss der Polizeipräsident fliehen

In Berlin war es tagsüber friedlich geblieben. Erst abends kam es auch hier zu Krawallen, nachdem eine Demonstration mit etwa 10.000 Teilnehmern im Stadtteil Kreuzberg zunächst ruhig verlaufen war.

Als sich Polizeipräsident Dieter Glietsch gegen 20.30 Uhr ein Bild von der "Revolutionären 1.-Mai-Demo" in Kreuzberg machen will, bedrängen ihn Linkextreme. Personenschützer brachten den Polizeipräsidenten in Sicherheit und fuhren ihn mit einem Kastenwagen weg. Die Autonomen bewarfen daraufhin das Auto mit Flaschen, Steinen und Stühlen - Polizisten wehrten die Angreifer mit Pfefferspray ab. Kurz darauf flogen auch andernorts Flaschen, Steine und Fahrräder auf Beamte und Einsatzwagen. Die Polizei nahm gezielt Randalierer fest. Die Demonstration in Kreuzberg ist seit Jahren immer wieder Ausgangspunkt von Ausschreitungen.

Auch in Nürnberg, wo 3000 NPD-Gegner auf den Straßen waren, kam es zu Übergriffen. Nach Angaben eines Polizeisprechers warfen die dortigen Demonstranten Steine gegen Polizisten, die Beamten setzten Schlagstöcke ein. Die zumeist schwarz gekleideten Autonomen versuchten am Mittag, eine Polizeikette zu durchbrechen, um den NPD-Aufmarsch zu stoppen. Dabei hätten linke Demonstranten mit Feuerwerkskörpern auf Polizeibeamte geworfen, berichten Beobachter. Die Polizei habe mit Pfefferspray und einem Schlagstockeinsatz geantwortet. Mehrere Demonstranten sollen Platzwunden am Kopf erlitten haben.

"Es gab ein Katz-und-Maus-Spiel", sagte ein Polizeisprecher. Die Lage habe sich aber rasch wieder beruhigt. Beide Gruppierungen waren durch Absperrgitter voneinander getrennt. Die Polizei hatte am Morgen die rund vier Kilometer lange Demo-Strecke der NPD komplett abgeriegelt, um eine Konfrontation rechts- und linksextremer Demonstranten zu verhindern. Die Polizei hatte rund 3000 Kräfte im Einsatz.

Mit Material von AP und dpa, Mitarbeit: Timo Nowack

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren