150 Euro Betreuungsgeld Stoiber verkündet Erziehungsprämie - SPD vergrätzt
Berlin - Es war CSU-Chef Edmund Stoiber, der noch in der Nacht mit einer konkreten Zahl an die Öffentlichkeit ging. Nach dem Koalitionsgipfel im Kanzleramt stand er an der Seite seines SPD-Kollegen Kurt Beck und verkündete: 150 Euro Betreuungsgeld soll es für Eltern geben, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Genauer: 150 Euro pro Monat und pro Kind im zweiten oder dritten Lebensjahr - und das alles ab dem Jahr 2013.
Doch schon Stunden später sieht das Bild plötzlich ganz anders aus. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die zum Gipfel nicht geladen war, verkündet in der ARD, es werde ein Betreuungsgeld in noch ungeklärter Höhe geben. 150 Euro? Fehlanzeige.
Wenig später poltert dann SPD-Fraktionschef Peter Struck in einem Hintergrundgespräch in der Bremer Landesvertretung in Berlin: Das sogenannte Betreuungsgeld für selbst erziehende Eltern sei keineswegs beschlossene Sache. Die Pläne ab 2013 stünden unter einem "gesetzgeberischen Vorbehalt" und könnten nur umgesetzt werden, wenn es "keine ernsthaften Hindernisse" gebe. Einen monatlichen Geldbetrag zu nennen, sei außerdem "völlig verfrüht": Darüber könne angesichts der unklaren Folgen für den Bundeshaushalt erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden werden, wetterte Struck.
Wut über Heim-und-Herd-Prämie
Es ist ein typischer Kompromiss der Großkoalitionäre - voller Fragezeichen. Die SPD hat sich mit ihrer Forderung durchgesetzt, dass ab 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren geltend gemacht werden kann. Im Gegenzug soll das Betreuungsgeld geprüft werden. Doch die finanziellen Folgen des Kompromisses sind am Morgen danach im Familienministerium und selbst bei Haushaltspolitikern unklar.
Es war Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, der vor knapp einem Monat mitten in der Debatte um den Krippenausbau mit dem Vorschlag von 150 Euro an die Öffentlichkeit ging. Kurze Zeit später folgte Erwin Huber, Stoibers potentieller Nachfolger als CSU-Chef, mit 300 Euro. Teile der SPD und auch viele weibliche Abgeordnete der Union schäumten - sie sehen im Betreuungsgeld eine Art Heim-und-Herd-Prämie für Mütter, um junge Frauen vor dem Wiedereinstieg in den Beruf abzuhalten.
Auch prominente Unions-Politiker sind skeptisch. Ministerin von der Leyen zweifelte kürzlich an der Idee. Und am Dienstag erklärt sie am Rande einer Veranstaltung in Bad Pyrmont: Sowohl der Rechtsanspruch als auch das Betreuungsgeld sei "in weiser Absicht" auf 2013 gesetzt worden, wenn ein "Fundament an Kinderbetreuung" geschaffen worden sei. Dann bestehe die Wahlfreiheit, ob Eltern nach dem Elterngeld in den Beruf zurückkehren wollten oder eine gewisse Zeit zu Hause bleiben wollten. Im Klartext: die CDU-Ministerin sieht den Koalitionsgipfel weiterhin als ihren Erfolg, hat er sich doch an erster Stelle für den Ausbau der Krippenplätze entschieden und alles andere in die Zukunft verlegt.
In der jüngeren Vergangenheit hatte das Betreuungsgeld ohnehin in der Union für interessante Fronten gesorgt. Am schärfsten wandte sich jüngst ein CDU-Politiker gegen das Betreuungsgeld, von dem es niemand so recht erwartet hatte: Roland Koch. "Ich warne alle Beteiligten davor, finanziell draufzusatteln", sagte der hessische Ministerpräsident und CDU-Vizechef.
Mixa sprach vielen in der Union insgeheim aus der Seele
Die Idee zum Betreuungsgeld kommt nicht von ungefähr. Unions-Politiker brachten sie auf, als von der Leyen mit ihrem Plan von 750.000 Krippenplätzen bis 2013 durchstartete. Zwar wird auch dann 2013 nur jedes dritte Kind zwischen eins und drei in einer Kita sein - doch schon dieser Modernisierungsschub ist vielen in der Union suspekt. Nicht aus Prinzip - auch Stoiber und Co wissen, dass die Union beim Krippenausbau nachholen muss -, sondern aus wahlstrategischen Überlegungen.
Sie fürchten, jene Wähler zu verlieren, die ihre Kinder zu Hause betreuen - vor allem die Bevölkerung auf dem Land. Dort holt die Union noch immer ihre Mehrheiten, nicht in den Großstädten, die zu SPD und Grünen neigen.
Diese Sicht der Geschichte trugen Politiker der Union zuletzt immer wieder vor, allen voran jene aus der CSU. Von der Leyen musste sich wiederholt den Vorwurf anhören, mit ihrem Krippenausbau-Plan einseitig die Gewichte in der Union zu verschieben. Der Augsburger Bischof Walter Mixa formulierte die Kritik an der Ministerin am polemischsten - sprach aber vielen Unions-Politikern insgeheim aus der Seele.
Andere wie Althaus, die das Kinderbetreuungsprogramm der DDR noch kennen, argumentieren im Sinne liberaler Staatsskeptiker. "Die Entscheidung, ob ein Kind zu Hause oder in der Kita betreut wird, ist Sache der Eltern - da muss sich der Staat raushalten", sagte der Thüringer. "Mit einem Betreuungsgeld und einem ausreichenden Krippenangebot würde man die Voraussetzung für echte Wahlfreiheit schaffen."
Die Idee kommt aus Skandinavien
Vorbilder der Betreuungsgeld-Befürworter sind Schweden, Norwegen und Finnland. In Norwegen stehen Eltern 404 Euro im Monat zu, bis zum dritten Lebensjahr ihres Kindes - wenn sie keinen Krippenplatz beanspruchen.
Auch in Thüringen zum Beispiel wird schon ein Landeserziehungsgeld ausgezahlt - im dritten Lebensjahr. Wenn die Eltern trotzdem eine Kita in Anspruch nehmen, wird das Erziehungsgeld mit deren Gebühren verrechnet.
Dass sich die CSU mit der Idee des Betreuungsgelds so weit durchgesetzt hat, ist einmal mehr bemerkenswert - und passt ins Bild des modernen Konservativen, das Stoiber vor Augen hat. Noch am Montag hatte der CSU-Chef in München auf die Bremen-Wahl hingewiesen und seine Partei ermahnt, die eigenen Überzeugungen nicht in der Großen Koalition zu vernachlässigen. Sonst würden die Ränder gestärkt.
Aufmerksam untersuchte die Union das Bremer Ergebnis im Hinblick auf das Wahlverhalten der Frauen: Nur 25 Prozent hatten ihr Kreuz für die CDU gemacht. Trotz des neuen Images, das von der Leyen der Bundespartei im Eiltempo zu verordnen versucht.
Kurzfristig werde sich von der Leyens Öffnung nicht auszahlen, hatte Althaus am Montag gesagt - was nur verständlich sei, werde doch der Union bei Themen wie Wirtschaft und Innere Sicherheit mehr Kompetenz zugesprochen. Dass sich neue Themen in neuen Wählerschichten ummünzen, "das braucht längere Zeit".