20 Jahre nach der Wende Studie offenbart weltweite Unzufriedenheit mit Kapitalismus

Die Ergebnisse sind verheerend: 20 Jahre nach dem Fall der Mauer sind die meisten Menschen mit dem Kapitalismus unzufrieden, ergab eine britische Studie, die in 27 Ländern durchgeführt wurde. Die beste Meinung über die freie Marktwirtschaft haben demnach Menschen in den USA und in Pakistan.
Häuserwand in Bayern: "Der Fall der Mauer war nicht der überwältigende Sieg für die freie Marktwirtschaft"

Häuserwand in Bayern: "Der Fall der Mauer war nicht der überwältigende Sieg für die freie Marktwirtschaft"

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London - 20 Jahre nach dem Mauerfall und dem Niedergang des Kommunismus herrscht weltweit große Unzufriedenheit mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem: Laut einer am Montag veröffentlichten Studie im Auftrag der britischen BBC waren nur 11 Prozent der Befragten in 27 Ländern der Ansicht, dass der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form gut funktioniert. 23 Prozent halten die freie Marktwirtschaft laut Studie für sehr fehlerhaft - in Frankreich kamen sogar 43 Prozent der Befragten zu diesem Urteil, in Mexiko 38 Prozent und in Brasilien 35 Prozent. Lediglich in den USA (25 Prozent) und Pakistan (21 Prozent) war mehr als jeder Fünfte mit der aktuellen Wirtschaftsordnung zufrieden.

Unter dem Eindruck der schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren glauben 51 Prozent der Befragten, dass die Märkte stärker reguliert werden müssen - nur in der Türkei wollen die Menschen laut Studie weniger Regulierung. Im Schnitt 23 Prozent der weltweit Befragten meinen, dass eine vollkommen neue Wirtschaftsordnung geschaffen werden müsse.

"Es scheint, dass der Fall der Berliner Mauer nicht der überwältigende Sieg für die freie Marktwirtschaft gewesen ist, für den er damals gehalten wurde", sagte Doug Miller, Chef des Umfrageinstituts GlobeScan, das gemeinsam mit der Universität von Maryland rund 29.000 Menschen befragte. "Einige Elemente des Sozialismus, etwa die gleiche Verteilung des Wohlstands durch die Regierung, sprechen viele Leute auf der Welt weiter an", sagte Steven Kull von der Universität von Maryland.

  • In 15 der 27 untersuchten Länder spricht sich laut der Umfrage eine Mehrheit für eine stärkere direkte Kontrolle von Unternehmen durch den Staat aus. Mehrheiten in 22 Ländern wollen demnach, dass die Regierungen den Wohlstand gleichmäßiger verteilen.

  • Den Zusammenbruch der Sowjetunion begrüßten in der Rückschau 54 Prozent der Befragten in allen Ländern. Dagegen halten im Schnitt 22 Prozent den Untergang der kommunistischen Supermacht für eine schlechte Sache, 24 Prozent gaben keine Antwort. Die positive Meinung zum Ende der Sowjetunion ist in Europa sehr ausgeprägt: 79 Prozent der Deutschen, 76 Prozent der Briten und 74 Prozent der Franzosen sind auch im Nachhinein noch froh über den Zusammenbruch. In Ägypten hingegen beurteilen fast 70 Prozent der Ende der Sowjetunion negativ.

Merkel: "Einheit noch nicht vollendet"

Bundeskanzlerin Angela Merkel rief zum 20. Jahrestag des Mauerfalls zu weiteren Bemühungen für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West auf. "Die deutsche Einheit ist noch nicht vollendet", sagte Merkel im ARD-"Morgenmagazin". Es gebe noch etliches zu tun und dafür werde auch der Solidaritätszuschlag weiter benötigt, erklärte die Regierungschefin.

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Chronik: Der Tag, an dem die Mauer fiel

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Auf die Frage, ob das Versprechen "blühender Landschaften" in den neuen Bundesländern durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl erfüllt worden sei, antwortete Merkel: "Ja natürlich haben wir viele blühende Landschaften." So sei in besonders belasteten Regionen wie Bitterfeld die Verschmutzung durch die Industrie verringert worden. Auch seien die damaligen Unterschiede in der durchschnittlichen Lebenserwartung "heute fast ausgeglichen". Dennoch sei "bei der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch etliches zu tun". So sei die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern etwa doppelt so hoch wie im Westen. Bei der Angleichung müsse man an den "strukturellen Unterschieden zwischen Ost und West" ansetzen. Merkel sagte, sie sei zum Zeitpunkt des Mauerfalls am 9. November 1989 in der Sauna gewesen. Nachdem sie von den Ereignissen gehört habe, sei sie anschließend in Richtung Grenzübergang Bornholmer Straße gegangen. "Man war sprachlos und glücklich", sagte Merkel.

Clinton: "Mauern des 21. Jahrhunderts zu Fall bringen"

Am Sonntag hatte Merkel das deutsch-deutsche Museum Villa Schöningen an der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam eröffnet, die zu Zeiten des Kalten Krieges dreimal Schauplatz für den Austausch von Ost- und West-Agenten war. "Die Brücke trennte, sie einte, sie ist ein Symbol deutsch-deutscher Geschichte", sagte die Kanzlerin.

Hillary Clinton und Guido Westerwelle bekamen am Sonntagabend in Berlin vom Atlantic Council "Freiheitspreise" überreicht, stellvertretend für das amerikanische und das deutsche Volk. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erhielt einen Preis für die Bewohner der ehemals geteilten Stadt, weitere gingen an das polnische, tschechische und slowakische Volk sowie an die Nato-Truppen. Der Atlantic Council hat sich die Förderung der Beziehungen zwischen Europa und den USA zum Ziel gesetzt.

US-Außenministerin Clinton würdigte den Fall der Mauer als eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Sie hätte "die Landschaft eines Kontinents verändert", sagte sie bei ihrem ersten Deutschland-Besuch als Ministerin am Sonntagabend in Berlin. Die deutsche Hauptstadt sei heute die Verkörperung dessen, "was wir gemeinsam erreicht haben". Dies sei aber nicht innerhalb von Tagen erreicht worden, sondern vielmehr ein Kraftakt von vielen Jahren gewesen. Letztlich hätten sich am 9. November 1989 die Hoffnung und die Gebete von Millionen von Menschen erfüllt.

Clinton rief dazu auf, auch die "Mauern des 21. Jahrhunderts" zu Fall zu bringen und nannte als größte internationale Herausforderungen den Kampf gegen den Terrorismus, gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen und gegen den Klimawandel.

Westerwelle weinte beim Mauerfall

Guido Westerwelle erinnert sich noch gut an seine damaligen Emotionen. Er musste beim Mauerfall weinen. Er habe im Fernsehen verfolgt, wie ein Stück Weltgeschichte geschrieben worden sei, sagte der Bundesaußenminister in der ARD-Sendung "Beckmann", die am Montagabend ausgestrahlt werden sollte. "Als die Mauer fiel und eingerissen wurde, war ich wirklich völlig begeistert, gerührt und einfach richtig glücklich in dem Augenblick." Westerwelle betonte, dass die Mauer "von mutigen Männern und Frauen aus der damaligen DDR mit Freiheitsliebe und Freiheitswillen eingedrückt" worden sei.

"Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber es gibt drei Momente in meinem Leben, wo ich wirklich am Fernsehen Weltgeschichte verfolgt habe und geweint habe", sagte der Minister. Neben dem Mauerfall habe er bei der Ansprache des früheren Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) auf dem Balkon der Prager Botschaft und angesichts der Bilder während des Putsches gegen den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow geweint.

anr/AP/ddp/AFP
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