
Wahlen im Saarland: "Klar schaffen wir das"
20-Prozent-Plus Lafontaines Linke drängt in die Saar-Regierung
Da muss er jetzt durch. Hundert schwere Meter von der schwarzen Mercedes-Limousine zum Eingang der Saarbrücker Congresshalle, durch ein Spalier an Kamerateams. Peter Müller hat gerade eine Wahl verloren, in den nächsten Tagen wird es allein auf sein Verhandlungsgeschick ankommen, will er doch noch als Sieger vom Platz gehen.
Von 47,5 auf rund 34 Prozent ist seine CDU abgestürzt, Müller müsste ein bisher nicht gekanntes Bündnis schmieden, bräuchte FDP und Grüne, um doch noch Ministerpräsident an der Saar bleiben zu können. Oder die SPD. Das Ergebnis hat den Mann getroffen. Müller geht einen steifen Gang. Die Sonne brennt ihm ins Gesicht, aber er blinzelt nicht. Seine Frau hält er an der Hand. Was soll jetzt werden? "Machen wir alles drinnen", sagt er. Und presst die Lippen aufeinander.
Zwei Minuten später kommt SPD-Herausforderer Heiko Maas. Locker, lässig, cool präsentiert er sich - trotz mageren 25 Prozent. Seit Monaten hat er auf diesen Augenblick hingearbeitet, jetzt verkörpert er das Bild vom "neuen Mann", das seine Wahlplakate versprochen haben. Er läuft direkt auf die Kameras zu.
Er trägt wieder, was sie an der Saar "sein James-Bond-Outfit" nennen: schwarzer Anzug, der weiße Hemdkragen steht offen, dazu Dreitagebart. Seine Stimmabgabe am Sonntagmorgen hatte der 42-jährige Triathlet als Zieleinlauf inszeniert. Doch der wahre Endspurt auf den Sessel des Ministerpräsidenten hat für Heiko Maas an diesem Abend gerade erst begonnen.
"Sind Sie der neue Ministerpräsident?" - "Nee!"
"Wie es jetzt weitergeht, werden wir morgen in den Gremien beraten", erklärt er. Der saarländische SPD-Chef scheint aus den Fehlern seiner hessischen Genossen gelernt zu haben. Eine Ypsilanti-Siegerpose mit erhobener Faust und Gewinner-Grinsen: Fehlanzeige. Maas lächelt freundlich, aber er ist bemüht, die ersten Hochrechnungen bescheiden zu kommentieren. Er spricht vom "Politikwechsel", aber auf die Frage eines Reporters: "Sind Sie der neue Ministerpräsident?", ruft Maas nur ein "Nee!" zurück und setzt seinen Weg fort.
Klar ist: Weder Maas noch Müller sind die Gewinner an diesem Abend, deshalb ihre Zurückhaltung, ihr vorsichtiges Abwarten. Sieger der Wahl, an der 67,6 Prozent der Stimmberechtigten teilgenommen haben und damit deutlich mehr als 2004, ist Linke-Chef Oskar Lafontaine.
Und Sieger können auf sich warten lassen. Erst kurz vor 20 Uhr lässt sich Lafontaine vor der Congresshalle vorfahren. Mit seiner Ehefrau Christa Müller läuft er am rot-weißen Absperrband entlang und genießt das Blitzlichtgewitter.
Bescheidenheit war noch nie Lafontaines Markenzeichen
"Da freuen wir uns. Wir sind zufrieden", sind die ersten Sätze, die er in die Mikrofone spricht, dazu ein entspanntes Lachen. Auf rund 21 Prozent hat der 65-Jährige seine Partei katapultiert - und damit seinen Genossen die Möglichkeit auf die erste Regierungsbeteiligung im Westen beschert. "Dafür werden wir jetzt alles tun", sagt er und liefert auch gleich eine Erklärung für das gute Abschneiden seiner Partei. "Die Leute wussten ja, mit wem sie es zu tun haben." Typisch Lafontaine. Bescheidenheit war noch nie sein Markenzeichen. Denn von 1985 bis 1998 regierte er selbst als Ministerpräsident im Saarland.
Derweil nennt Peter Müller drinnen in der Halle sein Ergebnis "durchaus schmerzlich", beharrt aber darauf, "trotzdem stärkste Partei" zu sein. Und deshalb werde er Gespräche mit FDP und Grünen führen sowie - "falls gewünscht" - auch mit der SPD. Entsprechende Faxnachrichten seien bereits rausgegangen.
Heißt: Müller setzt auf Jamaika statt auf die Große Koalition. Deren Berliner Variante macht er gar fürs Scheitern an der Saar mitverantwortlich: "Offensichtlich macht die Konstellation auf Bundesebene den großen Parteien Schwierigkeiten in den Ländern." Die FDP hat Müller an seiner Seite, deren Spitzenkandidat Christoph Hartmann sagt, die CDU habe "den Regierungsauftrag", Gesprächen mit den Grünen werde man sich nicht verschließen.
"Eine Wahl zwischen Pest und Cholera"
Also die Grünen. Deren Vorsitzender Hubert Ulrich hatte sich im Vorfeld der Wahl mehrfach für eine Ampel-Koalition ausgesprochen, doch die ist nun nicht einmal rechnerisch möglich. Jamaika oder Rot-Rot-Grün - das sei die "Wahl zwischen Pest und Cholera". Besonders mit Linke-Chef Oskar Lafontaine verbindet Ulrich eine herzliche Abneigung, beide starteten gar Plakatkampagnen gegeneinander. Darauf setzt nun Peter Müller: "Es gab einen Vernichtungsfeldzug der Linken gegen die Grünen, ob das eine taugliche Grundlage für eine Koalition ist?"
Grünen-Chef Hubert Ulrich steht die Zitterpartie um den Einzug in den Landtag ins Gesicht geschrieben. Und jetzt hat er gleich die Last mit der Regierungsbildung auf seinen Schultern: Denn der Mann mit den zerzausten grauen Haaren und dem knittrigen blauen Hemd könnte derjenige sein, der letztlich diese Wahl entscheidet. Er könnte der Königsmacher von der Saar werden.
Seine Partei hat es in den Landtag geschafft, wenn auch knapp, aber noch immer will sich der eigensinnige grüne Kopf nicht auf einen Koalitionspartner festlegen. "Natürlich war das ein Experiment", sagt Ulrich über den Wahlkampf ohne Koalitionsaussage, "vielleicht haben wir dadurch auch den einen oder anderen Wähler verloren, aber letztlich hatten wir doch Erfolg damit". Nur sein Lächeln dazu sieht gequält aus. Er habe sein Wahlziel erreicht, sagt Ulrich: "Denn jetzt können wir offen mit allen Seiten verhandeln."
Zwischen Glückwünschen und Erschöpfung
Die SPD setzt ebenfalls auf die Grünen. "Es ist ein Zustand zwischen Freude und Erschöpfung", versucht Saar-SPD-Generalsekretär Reinhold Jost seine Gemütslage in Worte zu fassen. Er ist zwischen dem Gewusel der Kamerateams mit Händeschütteln beschäftigt. "Glückwunsch!", raunen ihm manche Gratulanten nun zu, es klingt noch ein wenig vorsichtig, zaghaft. Jost lächelt, auch wenn ihm die Erschöpfung anzusehen ist. Rund 25 Prozent sind alles andere als ein Erfolgsergebnis.
"Aber wir dürfen heute Abend einen Politikwechsel feiern", findet Jost. Dafür braucht es die Grünen: "Die wissen schon, wer sie in den letzten Tagen unterstützt hat." Noch am Donnerstagabend hatte Heiko Maas beim SPD-Wahlkampffinale an der Seite von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier der Ökopartei die Hand ausgestreckt: "Die Grünen waren immer ein verlässlicher Partner. Wenn sie den Politikwechsel wollen, dann kriegen sie ihn, aber nur mit uns."
Und vor allem nur mit Lafontaine. Das weiß der Polit-Profi an diesem Abend weidlich zu genießen: "Es freut mich besonders, dass durch mein Engagement die SPD wieder eine Machtperspektive hat."