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24/7: Kinderbetreuung rund um die Uhr

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24-Stunden-Kita Wenn Mama zur Nachtschicht muss

Einen Kita-Platz zu finden, ist schwer. Doch richtig kompliziert wird es für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten - und das werden immer mehr. Wohin mit den Kindern morgens um fünf oder abends um zehn? In die 24-Stunden-Kita. Die wenigen, die es gibt, können sich vor Anfragen kaum retten.

Hamburg - Carlotta hat ihren kleinen Koffer schon abgestellt. Er ist rosa und steht neben ihrem Bett. Ihr eigenes rotes Kopfkissen hat sie auch mitgebracht, weil das nach zu Hause riecht. Die Dreijährige wird die kommende Nacht in der Kita verbringen - wie immer, wenn Mama und Papa Nachtdienst haben. Beide arbeiten nämlich im Krankenhaus.

Carlotta geht in die Kita Nidulus in Schwerin auf dem Gelände der Helios-Kliniken. Ob Tag, Nacht oder Wochenende: Wenn ihre Eltern arbeiten, kommt sie hierher - zur Not ginge das selbst an Weihnachten. Die Kita wurde vor zweieinhalb Jahren mit einem 24-Stunden-Konzept eröffnet. Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr betreuen die zwölf Erzieher 58 Kinder im Alter von drei Monaten bis zur Einschulung. "Alle unsere Eltern arbeiten im Schichtdienst", erklärt Grit Brinkmann, 41, Leiterin der Kita. "Ärzte, Feuerwehr, Polizei, Krankenschwestern. Wir prüfen jeden Einzelfall genau."

Die Kita kann sich vor Anfragen kaum retten, berichtet Brinkmann. Nicht nur von Eltern, sondern auch von Profis aus anderen Städten. Das Interesse am Konzept von Nidulus ist enorm. "Wir bekommen so viele Nachfragen, dass wir jeden Tag jemanden durch unsere Räume führen könnten. Aber das machen wir nicht - die Kinder haben Vorrang."

Auch in anderen Städten, wie etwa Hamburg, gibt es bereits 24-Stunden-Kitas. Aber insgesamt ist das Angebot noch schmal und die Warteliste meist lang.

Mehr Nachtarbeit, mehr Wochenendarbeit

Denn die Zahl der Familien, die auf exotische Kinder-Betreuungszeiten angewiesen sind, steigt. Einer aktuellen Umfrage des DGB zufolge arbeiten inzwischen 68 Prozent der Beschäftigten regelmäßig oder ab und zu am Wochenende. Das entspricht einer Zunahme um zwei Drittel in den vergangenen 20 Jahren. Und auch die Nachtarbeit nimmt zu: Laut Statistischem Bundesamt arbeitet fast jeder zehnte Berufstätige regelmäßig oder ständig nachts.

Neben den klassischen Schichtdienstbereichen wie Krankenhaus oder Polizei haben sich auch in anderen Berufen die Arbeitszeiten ausgedehnt. "Der Trend geht in Richtung individualisierte Arbeitszeit", sagt der Frankfurter Sozialforscher Harald Seehausen. Im Einzelhandel etwa, wo der Supermarkt um die Ecke sogar samstags bis 22 Uhr geöffnet hat. "Kita-Öffnungszeiten von 8 bis 16 Uhr? Das geht heute eigentlich gar nicht mehr." Seehausen prognostiziert einen steigenden Bedarf an 24-Stunden-Angeboten. "Als Folge der Globalisierung werden wir vor allem im Dienstleistungsbereich noch ausgedehntere Arbeitszeiten bis hin zum Rund-um-die-Uhr-Einsatz sehen."

Tagesmutter Yvonne Hopp aus Ratzeburg hat sich bereits darauf eingestellt - sie bietet aus eigener Erfahrung lange Betreuungszeiten an. Die 33-Jährige hat früher als Krankenschwester gearbeitet. Als sie ihr erstes Kind bekam, hatte sie große Schwierigkeiten, jemanden zu finden, der um 5.30 Uhr ihren Sohn nahm, damit sie pünktlich um 6 Uhr zur Frühschicht in der Klinik war. Deshalb nimmt sie nun selber ab 5.30 Uhr Kinder auf und bietet ihre Dienste bis abends 19 Uhr an - in Ausnahmefällen sogar über Nacht. Die Zeiten werden nicht jeden Tag voll genutzt, aber auf eine 60-Stunden-Woche kommt sie locker, sagt Hopp.

Ungeborene Kinder auf der Warteliste

Tagesmutter Hopp betreut in ihrem Einfamilienhaus neun Kinder, wovon höchstens fünf gleichzeitig da sein dürfen. Das Esszimmer ist zum Spielzimmer geworden - mit bunter Fühlwand, Kinderstühlchen und Ausgang zum Garten. Die Plätze bei ihr sind so begehrt, dass manche Mütter sich schon auf die Warteliste setzen lassen, wenn sie schwanger sind. "Bei der kleinen Klara war das auch so", sagt Hopp. Jetzt ist das Mädchen ein Jahr alt und versucht gerade mit großem Krafteinsatz, sich auf das Rutscheauto hochzuziehen.

Vor allem in Westdeutschland hapert es mit dem Kita-Ausbau, obwohl jedes Kind ab Sommer 2013 vom ersten Geburtstag an Anspruch auf einen Krippenplatz hat. Und es hapert mit den Öffnungszeiten. Den Erkenntnissen des Deutschen Jugendinstituts zufolge öffnen in den alten Bundesländern mehr als die Hälfte aller Einrichtungen (58 Prozent) erst um 7.30 Uhr oder noch später. Abends sieht es nicht besser aus: 43 Prozent schließen bis spätestens 16 Uhr, weitere 43 Prozent bis spätestens 17 Uhr. In Ostdeutschland ist die Lage besonders morgens deutlich entspannter.

In der Schweriner Kita Nidulus übernachten im Schnitt an 28 Tagen pro Monat Kinder - manchmal nur eins, meist eher eine Handvoll. Von den zwölf Erziehern arbeiten drei vorrangig in der Nacht. So haben die Kinder immer vertraute Personen um sich. Wenn Kinder am Wochenende da sind, haben sie dafür an anderen Tagen unter der Woche gemeinsam mit ihren Eltern frei. Die Kleinen verbringen also insgesamt nicht mehr Zeit in der Kita als andere - lediglich zu anderen Zeiten.

Für die arbeitenden Eltern entfällt mit dem 24-Stunden-Angebot das ständige Organisieren der Betreuung, das Betteln bei Oma, Opa, Freunden, ob sie einspringen können. Diesen Service lässt sich Nidulus mit 383,47 Euro für einen Krippenplatz bezahlen - etwa hundert Euro mehr, als für einen vergleichbaren Platz in einer anderen Kita des Anbieters anfallen.

Sozialforscher Seehausen sieht Kitas mit ausgedehnten Betreuungszeiten auch als wichtigen Standortvorteil. "Die Kommunen stehen da im Wettbewerb. Die Leute ziehen doch an einen Ort, von dem sie wissen, dass ihre Kinder dort gut untergebracht sind."

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