Mauerfall und DDR So ahnungslos war der BND
Der Bundesnachrichtendienst gibt geheime Dokumente zum Mauerfall frei. Sie sollen den Dienst anlässlich des Jahrestags in hellem Glanz erstrahlen lassen. In Wirklichkeit meldete der BND ziemlich viel Unsinn.
Es ist ein PR-Schachzug pünktlich zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat eine Aktenedition mit 96 bislang geheimen Dokumenten aus den Jahren 1989/90 veröffentlicht. Und damit der Leser auch versteht, was der Dienst ihm damit sagen möchte, findet sich im Vorwort der Satz: "Die Dokumente zeigen, dass man in Pullach über die grundsätzlichen Entwicklungslinien und Ereignisse frühzeitig informiert war". Nur bei den Schlussfolgerungen sei man "nicht immer kohärent" gewesen.
Der BND "frühzeitig informiert" über die Revolution in der DDR, den Sturz des SED-Regimes, den Fall der Mauer?
Schön wär's.
Wie ahnungslos er war, zeigt eine Auswahl aus Meldungen des Dienstes an das Kanzleramt, die der BND nicht in seine Edition aufgenommen hat:
- 8. September 1989: Ein "großer Teil der Bevölkerung" der DDR begegne dem SED-Regime "loyal bzw. resignativ" oder akzeptiere es zumindest. Falsch.
- 14. September 1989: DDR-Chef Honecker sei nach einem "unbestätigten Hinweis" am Vortag verstorben, die Beerdigung für den 24. September angesetzt, und es seien bereits "verschiedene Religionsgemeinschaften eingeladen worden". Auch falsch. Honecker lebte noch fast fünf Jahre lang.
- 10. November 1989: Die Maueröffnung in der Nacht zuvor sei "als bisher radikalster Schritt" von Honeckers Nachfolger Egon Krenz zu werten.
Ganz falsch. Krenz und die SED hatten mit dem Fall der Mauer nichts zu tun. Die Auswahl der Dokumente und das wohlwollende Urteil im Vorwort hat Bodo Hechelhammer zu verantworten, ein ausgebildeter Mediävist, der einige Jahre als Spion für den BND arbeitete und inzwischen als dessen oberster Historiker amtiert. Hechelhammer leitet beim Geheimdienst die Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" und hat damit einen einmaligen Posten in der deutschen Behördenlandschaft. Nur der Bundesnachrichtendienst unterhält eine Einheit, die sich um die Geschichte des eigenen Hauses kümmert.
Peinlichkeiten der BND-Berichterstattung
Wie problematisch eine solche Konstruktion sein kann, zeigt die Edition, die mit wissenschaftlichem Anstrich daherkommt, doch vor allem Unterlagen enthält, die den Dienst gut aussehen lassen. Ein Fall von Geschichtsklitterung.
Da finden sich dann die (zutreffenden) Hinweise des Dienstes, wonach das deutsch-deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl in der DDR ausgeprägt sei, was damals manche westlichen Beobachter bezweifelten. Oder die (ebenfalls zutreffende) Voraussage, Kreml-Chef Michail Gorbatschow werde die sowjetischen Truppen in der DDR nicht eingreifen lassen.
Die vielen Peinlichkeiten in der BND-Berichterstattung klammert der Dienst hingegen weitgehend aus: absurde Voraussagen über Personalentwicklungen im Politbüro, dass die Späher etwa die Bedeutung der Opposition lange unterschätzten, die fehlerhafte Rekonstruktion der dramatischen Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober, als die Herrschaft der alten SED-Garde zerbrach, oder der Ereignisse am 9. November 1989. Bezeichnenderweise enthält die Aktenedition zum Mauerfall kein einziges Dokument, das sich mit der Öffnung der Grenze an jenem Donnerstagabend beschäftigt.
Dabei kann der BND auch anders. 2009 hat er auf Antrag des SPIEGEL schon einmal Unterlagen freigegeben. Die Papiere - es handelte sich um Tausende Dokumente - liegen im Bundesarchiv in Koblenz. Die Freigabe war eine Sensation: Bis heute hat kein Geheimdienst derart viele Dokumente zu 1989/90 zugänglich gemacht wie damals der BND.
Aus ihnen geht hervor, wie ambivalent die Bilanz des Dienstes ausfällt. Er war sehr gut informiert über die Nationale Volksarmee der DDR, ziemlich gut über die Entwicklung an der SED-Basis - und so gut wie gar nicht über Vorgänge im Herzen der Macht: in Politbüro und Zentralkomitee.
Die Koblenzer Akten entlarven den jetzt herausgegebenen Band noch in anderer Hinsicht als Mogelpackung: Vieles von dem, was als neu verkauft wird, geht schon aus den Koblenzer Beständen hervor. Er habe, sagt Hechelhammer, jene Dokumente ausgewählt, die er "interessant fand". Keineswegs habe er den Eindruck verbreiten wollen, dass der Dienst 1989/90 "immer und in allen Fällen richtig lag".
Und so enthält er den Lesern auch die schönste Ente vor. Am 7. November 1989 meldete der BND ans Kanzleramt, der inzwischen gestürzte Honecker sei in den Westen geflohen und habe sich zwecks ärztlicher Behandlung in die Schweiz begeben. Tatsächlich saß Honecker in Wandlitz und grollte über seinen Sturz.
9. November, 22.45 Uhr, RTL