480-Milliarden-Programm Regierungsparteien feiern ihren Banken-Kraftakt

Erleichterung und Stolz in Berlin: Mit Riesenmehrheiten haben Bundestag und Bundesrat das 480-Milliarden-Eilgesetz zum Schutz der Banken durchgepeitscht. Jetzt wird spekuliert, wann das erste Geldhaus um Staatshilfe bittet - schon am Wochenende, glauben viele, könnte es soweit sein.

Berlin - Gerade hatten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags ihre Stimmzettel in die Urnen geworfen, da sorgte Bundestagspräsident Norbert Lammert für Heiterkeit. "Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszahlung zu beginnen", sagte der CDU-Politiker.

Minister Steinmeier, Kanzlerin Merkel: "Es ist auf uns angekommen"

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Foto: REUTERS

"Auszählung" hatte er gemeint, doch der Versprecher traf die Stimmung fast noch besser. Seit Tagen geht es in Berlin nur noch um Geld, um viel Geld. Die ganze Woche stand im Zeichen des 480 Milliarden Euro schweren Rettungspakets für den Finanzmarkt: Innerhalb von fünf Tagen wurde es durch Kabinett, Parlament und Bundesrat gebracht. Am Freitag wird noch ausgezählt, ab Montag dann kann ausgezahlt werden.

Noch hat sich nach Angaben der Bundesregierung keine Bank gemeldet, die Geld aus dem neuen Finanzmarktstabilisierungsfonds haben will. Doch theoretisch können die Bittsteller nun kommen. Der Bundestag gab am Freitag grünes Licht für das Milliardenpaket - mit 476 Ja-Stimmen bei 99 Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Danach winkte auch der Bundesrat das Gesetz durch. Schon am Freitagmittag setzte Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift unter das Werk - der Schlusspunkt einer Woche, wie sie keiner der Beteiligten bisher erlebt hatte.

Erleichterung und Stolz waren den Handelnden anzumerken. Von einem "beispiellosen Kraftakt" sprach SPD-Fraktionschef Peter Struck bei der abschließenden Debatte im Bundestag. "Es ist auf uns in dieser Woche angekommen, und wir sind dem auch gerecht geworden", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder zufrieden.

Erst am Donnerstagabend waren die letzten Hindernisse beseitigt worden: Im Kanzleramt einigten sich Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer auf die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern. Den Ländern wurde Mitsprache bei der Gewährung der Mittel eingeräumt, und die Haftung der Länder wurde bei dem Festbetrag von 7,7 Milliarden Euro gedeckelt.

Nach der Bund-Länder-Einigung feilte der Haushaltsausschuss am endgültigen Gesetzestext. Bis nachts um halb drei habe man zusammengesessen, erzählte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, im Bundestagsplenum.

Auch Westerwelle gibt sich staatstragend

Auch die oppositionelle FDP rang sich schließlich zu einem Ja durch. FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle verwies darauf, dass man noch wichtige Änderungen am Gesetzentwurf habe durchsetzen können – wie etwa ein neues Gremium, das die Verwendung der Fondsgelder überwachen soll. Dieser neunköpfige Unterausschuss des Haushaltsausschusses hat das Recht, jederzeit vom Finanzministerium informiert zu werden und besitzt laut Schneider auch ein Vetorecht. So heißt es in der entsprechenden Gesetzespassage, dass bei der Abwicklung und Auflösung des Rettungsfonds der Bundesrat und der Ausschuss einer entsprechenden Rechtsverordnung der Bundesregierung zustimmen muss.

In der FDP-Fraktion hatte es gewichtige Stimmen für eine Enthaltung gegeben. Am Ende siegte aber das Argument, dass man nicht gemeinsam mit Linken und Grünen eine Front der Verweigerer bilden wollte. Stattdessen gab sich Westerwelle im Bundestag staatstragend. "Es ist ein Paket, das Deutschland dient und nicht einigen wenigen", sagte der FDP-Chef. Alle Abgeordneten seien verpflichtet, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden". Deshalb stimme die FDP zu. Grünen und Linken warf er vor, ihrer Verantwortung nicht gerecht zu werden.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und Linksfraktionschef Gregor Gysi entgegneten, sie könnten der Regierung nicht so viel Geld anvertrauen - jedenfalls nicht ohne weitere Kontrollen. "Dieses Paket ist ein 500-Milliarden-Euro-Blankoscheck", sagte Künast. Das Gesetz sei mit Hilfe der Bankmanager geschrieben worden und atme daher den Geist: "Gib mir das Geld und misch dich nicht ein." Ein neuer Ausschuss reiche als Kontrolle nicht aus. Vielmehr habe die Regierung vor den Bankern kapituliert: "Sie sitzen mit weißen Fahnen hier im Plenum."

Bundesrat stimmt geschlossen zu

Künasts Rede war der schrillste Beitrag des Tages, was SPD-Politiker Schneider zu der Bemerkung veranlasste, sie sei "sehr engagiert, aber bar jeder Sachkenntnis" gewesen. Die wirksame Kontrolle, die Künast angemahnt habe, sei im Gesetzentwurf verankert. Er zeigte sich enttäuscht über das grüne Nein, das "nicht zu verantworten" sei.

Auch im Bundesrat war man zufrieden. Alle 16 Länder stimmten dem Rettungsgesetz zu. Am Tag zuvor waren die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zusammengekommen. Am Ende einigte man sich darauf, dass die Länder sich mit 35 Prozent am Rettungsplan beteiligen, die Summe der Bürgschaften aber auf 7,7 Milliarden Euro gedeckelt wird. Rheinland-Pfalz Ministerpräsident Kurt Beck spricht von einer "richtigen Entscheidung". Es wäre "irreal" gewesen, die Länder ohne Begrenzung nach oben mit einzubeziehen.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch hält an diesem Tag die wohl nachdenklichste Rede. Er lobt das Tempo von nur sieben Tagen, in denen das Gesetz erarbeitet und verabschiedet wurde. Er spricht vom Vertrauen, "gelegentlich auch verzweifeltem Vertrauen, dass die Menschen uns entgegenbringen". Und er warnt, nicht alles, was die Menschen mit Sorge betrachteten, werde "am nächsten Tag verschwinden, nur weil es dieses Gesetz gibt". Koch spricht auch im Zusammenhang mit dem Gesetz von der "schärfsten ökonomischen Waffe" seit Bestehen der Bundesrepublik. Er habe manchmal den Eindruck, den Beteiligten würde erst in einigen Wochen klar, was es eigentlich bedeute.

Koch lobte auch die zeitliche Begrenzung bis zum Jahresende 2009. Es könne nicht angehen, dass der Staat dauerhaft "faktisch die Unternehmerschaft der Finanzindustrie" der größten Exportnation der Welt übernehme. Und er blickt in die Zukunft: Ihm gebe es augenblicklich "zu viel Selbstsicherheit", wenn immer wieder auf das Drei-Säulen-Modell der deutschen Bankwirtschaft - Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen sowie Landesbanken - hingewiesen werde. Das Sparbuch sei zwar derzeit in der Krise ein sicheres Geschäft, doch werde in 20 Jahren die Lage anders sein. Die Tendenz gehe zu weltweit agierenden Banken.

Selbstkritisch ging Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin mit der Rolle der Politik ins Gericht. "Wir haben es doch alle nicht so genau gewusst, wir haben uns auf die Experten verlassen", so der SPD-Politiker. Sarrazin sprach gar von einem "Ermächtigungsgesetz" für den Bundesfinanzminister von "ungeahnter Tiefe und Breite".

Sarrazin nutzte seinen Auftritt, um an die Bankenkrise in Berlin 2001 und an deren Folgen zu erinnern. Damals hatte der rot-rote Senat für die angeschlagene Bankgesellschaft Berlin eine Bürgschaft von 21,6 Milliarden Euro in den Berliner Landeshaushalt eingestellt. Damals hätten viele gemeint, der Staat könne keine Banken führen und erklärt: "Das ist das Allerdümmste". Mittlerweile sind die landeseigenen Anteile der Landesbank Berlin (LBB), wie das Institut jetzt heißt, an einen Sparkassenverband verkauft worden und machte erstmals wieder operativen Gewinn. Es sehe so aus, "als würden wir mit einem blauen Augen davonkommen", so Sarazzin.

Die Initiative liegt bei den Banken. Wer meldet sich zuerst?

Auf den Fluren des Bundesrats wurde am Freitag spekuliert, wann die erste Bank freiwillig beim Staat um Hilfe bittet. Schon dieses Wochenende? Im Unterschied zu den USA und Großbritannien, wo die Regierung etliche Banken in die Staatsobhut gezwungen hat, basiert der deutsche Plan auf Freiwilligkeit. Die Initiative liegt also bei den Banken.

Finanzminister Steinbrück hätte kein Problem damit, wenn sich keine Bank melden würde. Er hatte stets betont, ihm wäre es am liebsten, wenn der Fonds gar nicht in Anspruch genommen würde. Die gewünschte Wirkung sei allein schon durch die Ankündigung des Fonds erzielt worden: Die Finanzmärkte beruhigten sich, und der Zahlungsverkehr zwischen den Banken normalisierte sich wieder.

Das aber sieht Hessens Ministerpräsident Koch anders. Die Meldungen über die erste Bank, die sich beim Staat melde, werde mit Sicherheit groß in den Medien behandelt werden. So sei das nun einmal. Aber, so fügt Koch hinzu, "es ist möglicherweise der Klügste, der der Erste ist".

Manche Ministerpräsidenten haben zu Hause mit den Problemen eigener Landesbanken zu tun. Bei den Gesprächen der Länder untereinander am Vortag habe es gegenseitiges Misstrauen gegeben, vor allem auf Seiten der unionsregierten Länder, in denen es die meisten Landesbanken mit noch nicht abschätzbaren Risiken gebe, so ein CDU-Ministerpräsident auf den Fluren. Das habe die Einigung nicht gerade erleichtert.

Den Humor hatte sich einer auf jeden Fall bewahrt.

Der derzeitige Bundesratspräsident Peter Müller (CDU) wünschte nach der Abstimmung auf jeden Fall ein "schönes, möglichst persönlich finanzstarkes Wochenende".

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