Jan Fleischhauer

Revolutionäre Von '68 lernen heißt siegen lernen

Lust an der Provokation, kreativer Protest: Die wahren Erben der Achtundsechziger kommen heute von rechts. Das sehen sogar Bewegungsveteranen wie Rainer Langhans so.
68er-Proteste

68er-Proteste

Foto: ASSOCIATED PRESS

Ein Bekannter von mir hatte den Auftrag, für ein Wochenmagazin einen Text über die 68er zu schreiben. Der Chefredakteur war von dem vorgelegten Artikel sehr angetan. Er hatte keine Einwände, es gab lediglich eine Bitte: "Ich sehe immer nur Männer", sagte er, "wir müssen mehr Frauen zeigen."

Seitdem denkt mein Bekannter darüber nach, was er tun kann. Es gibt zwei Frauen, die 1968 herausragen: Die eine ist Gretchen Dutschke, die Frau von Rudi Dutschke, die andere das ehemalige Fotomodell Uschi Obermaier. Damit lässt sich die Sache leider nicht retten. Gretchen Dutschke war fürs Kaffeeholen zuständig, wenn Rudi ins Reden kam, und Obermaier hat sich nur am Rande für Politik interessiert. Alles, was von ihr in Erinnerung ist, sind die Nacktfotos aus der Kommune 1 und die Kurzaffäre mit Rainer Langhans. "Über die Einleitung bin ich nie hinausgekommen", sagte sie später einmal zu ihrer Marx-Lektüre. "Buchstaben sind mir zu unattraktiv."

1968 war eine Männerveranstaltung, daran können auch alle anschließenden Umdeutungsversuche nichts ändern. Die Frauenbewegung ist gegen die Achtundsechziger entstanden, nicht mit ihnen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit es vertretbar ist, das Jubiläum heute noch groß zu feiern. Als Horst Seehofer neulich für ein Foto der neuen Führungsriege im Innenministerium ausschließlich Männer präsentierte, war das Echo gewaltig. Dieses Risiko mag kein verantwortungsbewusster Chefredakteur eingehen.

Es ist interessant zu sehen, dass 1968 auch 50 Jahre später geeignet ist, die Gemüter zu erhitzen. Ich war die Woche bei "Hart aber fair". Es ging um die Frage, welche Spuren die 68er hinterlassen haben. Meine Sitznachbarin Dorothee Bär von der CSU hielt es kaum auf dem Stuhl, so sehr konnte sie sich über die Verheerungen empören, die sie den Achtundsechzigern anlastet.

Was sagt man der Generation nicht alles nach: Die Drogen, der Kindermangel, der Bildungsnotstand, die Pornos, der Leistungsverfall - für alles trägt sie die Verantwortung, wenn man den Kritikern glaubt. Wahrscheinlich sind sie auch schuld an Talkshows wie "Hart aber fair", wenn man etwas länger darüber nachdenkt.

Auf Seite der Bewegungsteilnehmer korrespondieren die Vorwürfe mit einer langen Liste an Leistungen, für die wir Nachgeborenen ihnen immer dankbar sein müssen. Fragt man 68er, dann hat erst mit ihnen die Demokratie in Deutschland begonnen. Das berühmte Bewegungsjahr fungiert in dieser Geschichtsschreibung als ein zweites Herrenchiemsee, auf dem die eigentliche Verfassung des Landes verabschiedet wurde.

Das ist ebenfalls großer Mumpitz. Die Adenauer-Republik, mit denen die Studenten angeblich aufräumten, war längst erledigt, als sie das elterliche Nest verließen. Der neue aufstrebende Mann hieß Willy Brandt, nicht Kiesinger. Tatsächlich haben die 68er auch nicht für, sondern gegen den Sozialdemokraten demonstriert, mit dem der liberale Zeitgeist in Deutschland Einzug hielt, eine Wahrheit, an die sie äußerst ungern erinnert werden, wie ich bei "Hart aber fair" feststellen konnte.

Ich bin das 68er-Bashing dennoch leid. Erstens ist es immer unfair, auf Menschen einzuprügeln, die längst das Rentenalter erreicht haben und sich schon altersbedingt nicht mehr so recht zu wehren wissen. Außerdem wäre ich natürlich selbst bei den Achtundsechzigern gewesen, wenn ich damals im richtigen Alter gewesen wäre. Sie hatten die bessere Musik, die bessere Stimmung und die besseren Mädels hatten sie auch.

Was bei der Abrechnung gern übersehen wird, ist, dass die 68er nicht als Herrschaftsbewegung begonnen haben, sondern als Protestbewegung. Die Medien waren in den Sechzigerjahren noch nicht mehrheitlich links dominiert, das kam erst später. Wer sich auf die Straße stellte, musste damit rechnen, einen Polizeiknüppel über den Kopf zu bekommen. Deeskalation war als Konzept unbekannt. Mit dem Engagement ging eine Provokationslust und Unerschrockenheit einher, die mir immer imponiert hat. Heute reicht ein schlechter Witz, und alle sitzen auf dem Sofa und nehmen übel.

Die Provokationslust hat die Seiten gewechselt

Der wunderbare Hilmar Klute hat neulich in der "Süddeutschen Zeitung" über die Fassungslosigkeit als Volkskrankheit geschrieben. Schon bei den nichtigsten Anlässen sind alle aus dem Häuschen und fallen von einer Ohnmacht in die andere. Ein Foto, auf dem nur Männer zu sehen sind, reicht inzwischen aus, um ein wahres Festival der Fassungslosigkeit zu veranstalten, wie Klute zu Recht anmerkt. Kann man sich vorstellen, dass einem Fritz Teufel oder Rainer Langhans vor Empörung der Joint aus der Hand gefallen wäre, weil jemand ein verbotenes Wort sagt oder mit einem als unpassend empfundenen Foto den Komment verletzt?

Die Pointe der Geschichte ist, dass die Provokationslust die Seiten gewechselt hat. Was die 68er an Widerspruchsgeist und Aktionsreichtum großgemacht hat, findet man heute rechts der Mitte, nicht mehr links. Deshalb ist der Mojo jetzt auch dort, was man auf der Linken mit einiger Fassungslosigkeit quittiert.

Ich habe nach der Sendung am Montag länger mit Rainer Langhans zusammengestanden, der als Vertreter der Erlebnisgeneration eingeladen war. Zu meiner Überraschung konnte er sich sofort mit dem Gedanken anfreunden, dass die neuen Rechten die Erben der Studentenbewegung von damals seien. Diese Leute wollten genau das, was die 68er auch wollten, nämlich mit dem bürgerlichen System aufräumen, sagte er auf meine Frage nach Parallelen. Der ehemalige Revolutionär erkennt das Revolutionäre, wenn es sich zeigt, daran ändert auch das Gras nichts, das er in seinem Leben geraucht hat.

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