Empfehlung von Staatsrechtlern Opposition soll gegen Diätenerhöhung klagen

Deutscher Bundestag: "Eine in Gesetz gegossene Verfassungswidrigkeit"
Foto: THOMAS PETER/ ReutersBerlin - Der Zeitpunkt war günstig: Im Schatten vom Fall Edathy, Olympia und der Ukraine-Krise hat der Bundestag die Änderung des Abgeordnetengesetzes beschlossen. Eine Woche nach der ersten Beratung wurde sie an diesem Freitag verabschiedet. Die Gesetzesänderung bedeutet eine deutliche Erhöhung der Abgeordnetendiäten sowie eine leichte Korrektur der Rentenregelung. Doch sie ist verfassungswidrig - das zumindest ist die Einschätzung mehrerer Staatsrechtler.
Konkret richtet sich der Vorwurf gegen eine Ausweitung der Amtszulagen, die in der Gesetzesänderung vorgesehen ist. Demnach werden künftig auch die Vorsitzenden der Ausschüsse im Bundestag zusätzlich zu ihrer Abgeordnetendiät eine Zulage erhalten. Bisher bekamen die nur der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter. "Das ist eine in Gesetz gegossene Verfassungswidrigkeit", kritisiert der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim.
Vorsitzende erhalten rund 1300 Euro mehr im Monat
Von Arnim beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Denn die ist eindeutig gegen die Zulagen und steht damit in diesem Punkt im Widerspruch zur Gesetzesänderung: Im Juli 2000 erklärten die Karlsruher Richter Amtszulagen für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführer und eben Ausschussvorsitzende im Thüringer Landtag für verfassungswidrig. Die Begründung: Die Zulagen unterwanderten die im Grundgesetz festgelegte Gleichheit und Freiheit des Mandats, weil sie Unterschiede zwischen den Abgeordneten erzeugten und das Karrieredenken beförderten.
Zwar betraf dieses Urteil unmittelbar nur den Thüringer Landtag. In späteren Urteilen wies das Bundesverfassungsgericht jedoch auf dessen Allgemeingültigkeit hin - als Maßstab zur Beurteilung von Amtszulagen über Thüringen hinaus. Der Staatsrechtler Hans-Peter Schneider vertrat in dem Prozess in Karlsruhe den Thüringer Landtag. Damals verteidigte er die Zulagen vor Gericht. Heute sagt er über die Änderung des Abgeordnetengesetzes im Bundestag: "Ich gehe davon aus, dass das Gesetz in Karlsruhe keinen Bestand haben wird."
23 ständige Ausschüsse gibt es im Bundestag. Hinzu kommen die Untersuchungsausschüsse und die Enquête-Kommissionen. Die Vorsitzenden all dieser Versammlungen bekommen durch die Gesetzesänderung zusätzlich 15 Prozent der Abgeordnetendiät als Amtszulage, das sind rund 1300 Euro im Monat. Abgeordnete aus allen Fraktionen werden davon profitieren.
Klagen könnte ein Bundestagsabgeordneter
Die Einführung dieser Amtszulage wurde dem Bundestag von einer Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesjustizministers Edzard Schmidt-Jortzig empfohlen. Die Kritik der Staatsrechtler lässt den FDP-Politiker kalt. Schließlich seien die Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht in Stein gemeißelt: "Die Argumentationen aus Karlsruhe werden zum Teil wie ein Gesetz behandelt", wundert er sich - und hofft auf einen Sinneswandel der Richter. Die Vorsitzenden der Ausschüsse müssten für ihre Mehrarbeit entlohnt werden, fordert Schmidt-Jortzig. "Wir sind der Auffassung, dass das verfassungskonform ist", sagt er.
Für "außerordentlich unwahrscheinlich" hingegen hält der Staatsrechtler Schneider, dass das Gericht in Karlsruhe von seiner bisherigen Linie abweicht: "Das Gesetz ist verfassungswidrig."
Darüber entscheiden kann nur das Bundesverfassungsgericht. Doch dafür müsste zunächst überhaupt jemand als Kläger gegen das Gesetz nach Karlsruhe ziehen. Berechtigt dazu wäre theoretisch jedes Mitglied des Bundestags - beliebt macht man sich damit unter den Kollegen aber vermutlich nicht. "Ich appelliere an die Abgeordneten der Opposition, gegen das Gesetz zu klagen", sagt der Staatsrechtler von Arnim. Es muss sich jedoch jemand trauen.