Abrechnung mit Schröder und Müntefering SPD-Linke sagen Basta zur Basta-Politik

Wohin steuert die SPD? Prominente Parteilinke haben sich getroffen, um die Schröder-Müntefering-Ära aufzuarbeiten - jetzt fordern sie für den bevorstehenden Parteitag einen Bruch mit dem "neoliberalen Mainstream". Auch die designierte neue Parteispitze um Sigmar Gabriel distanziert sich von den Vorgängern.
Müntefering, designierter Nachfolger Gabriel: "Zum Erfolg verdammt"

Müntefering, designierter Nachfolger Gabriel: "Zum Erfolg verdammt"

Foto: THOMAS PETER/ REUTERS

Kassel - Sechs Wochen nach der verlorenen Bundestagswahl beginnt in der SPD das Hauen und Stechen. Namhafte Vertreter der Parteilinken haben sich am Sonntag in Kassel getroffen, um mit der bisherigen Führungsspitze abzurechnen. "Die Basta-Politik der SPD-Führung wird in der ganzen Partei beanstandet", sagte der Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner. "Da werden ganz oben einsame Entschlüsse gefasst, und der Rest wird nach dem Motto 'Friss oder stirb' dahinter gebracht. Das ist kein demokratisches Verfahren."

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer stimmte ein: "Es gibt einen großen Diskussionsbedarf darüber, wie es weitergehen kann. Die SPD ist momentan nicht intakt. Es geht darum, dass die SPD wieder zu einer Identität findet." Der ehemalige Sozialexperte der Partei, Rudolf Dressler, sieht die Zukunft düster: "Der Kern der SPD war mal die Glaubwürdigkeit. Die hat sie jetzt verloren. Es wird Jahre dauern, dieses Vertrauen bei den Wählern zurückzugewinnen." Die neue Führung, die in Dresden inthronisiert werden soll, sei zum "Erfolg verdammt", "sonst geht die SPD unter".

An der Veranstaltung nahmen rund 300 Sozialdemokraten teil. Vor wenigen Tagen hatten die Organisatoren die Zahl der angemeldeten Teilnehmer noch mit rund 80 angegeben. Der Veranstalter des Treffens, der frühere Juso-Bundesvizechef Stephan Grüger, hatte vorher eine Abrechnung mit der SPD-Politik veröffentlicht. Mit einem Mitstreiter schrieb er in einem elfseitigen Thesenpapier, die SPD habe "erbärmliche Glaubwürdigkeits- und Kompetenzwerte". Inzwischen sei sie in ihrer Substanz als Volkspartei bedroht. Radikale Erneuerung in der Opposition sei überlebenswichtig.

In der Einladung zu der Versammlung hieß es, die SPD müsse eine "schonungslos offene Aussprache nach dem historischen Debakel der Bundestagswahl" führen. Ein Thesenpapier zur Konferenz geht hart mit dem politischen Kurs der Partei seit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder ins Gericht. Die "Anpassung an den neoliberalen Mainstream" sei "krachend gescheitert", heißt es darin. Die Kritik richtet sich auch gegen Ex-Parteichef Franz Müntefering.

Zu der nicht öffentlichen Konferenz im Kasseler Kulturbahnhof hatten Parteilinke aufgerufen, darunter Schreiner sowie SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer. Bei dem Treffen sollte unter anderem auch die frühere hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti sprechen - öffentlich sagte sie nur, sie wolle sich "nicht äußern, weil das ein parteiinternes Treffen ist".

Gabriel fordert intensive Debatte in der Partei

Die Zusammenkunft ist auch deshalb brisant, weil in wenigen Tagen der Bundesparteitag der SPD in Dresden stattfindet. Selbst die neue SPD-Spitze geht mittlerweile auf Distanz zum bisherigen Parteikurs und ihren Führungsfiguren. Der designierte Parteichef Sigmar Gabriel kritisierte am Wochenende, die Wähler hätten kein klares Bild mehr davon, wofür die SPD stehe. Die SPD dürfe sich zwar nicht von allen Beschlüssen der Agenda 2010 verabschieden. Man dürfe aber auch nicht sagen, "es war alles richtig, was wir gemacht haben, die Leute waren nur zu dumm, es zu verstehen".

"Wenn eine Partei in alle Richtungen verliert, dann hat sie eines nicht: ein klares Profil", sagte Gabriel am Sonntagabend vor Hunderten SPD-Mitgliedern im Münchner Hofbräukeller. Und dabei schreie "die Zeit geradezu nach sozialdemokratischen Antworten", sagte er mit Blick auf die aktuelle Wirtschaftskrise. Gabriel forderte eine breite und intensive Debatte über das desaströse SPD-Bundestagswahlergebnis. Dabei wolle er aber "mit dem Finger nicht auf andere zeigen". Denn auch er selbst sei mitverantwortlich "für alles, was wir getan haben". Wenn man Wahlen verliere, dann sei man gut beraten, "nicht so zu tun, als gibt es Schuldige und Unschuldige".

"Die Glaubwürdigkeit hat gelitten"

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit propagierte am Wochenende einen Linksschwenk. Die SPD müsse sich um die Rückkehr von Mitgliedern der Linkspartei bemühen. In der "Bild am Sonntag" forderte er eine Änderung des Parteiprogramms. "Unsere Themen - wie Mindestlohn oder Schwerpunkt Bildung - sind richtig. Aber die Glaubwürdigkeit hat gelitten, und daraus müssen Lehren gezogen werden, auch programmatisch", sagte er der "Bild am Sonntag".

Die künftige Generalsekretärin Andrea Nahles bemängelte im SPIEGEL, in den Augen der Wähler habe die SPD ihr Herz verloren. "In den vergangenen Jahren hat es bei uns eine Art Kündigungskultur gegeben. Wenn einem an der Spitze etwas nicht gepasst hat, hat er eben gekündigt oder damit gedroht." Damit müsse Schluss sein. "Als Vorsitzender muss man gewinnen wollen, aber auch mal verlieren können."

Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz, der stellvertretender Vorsitzender werden soll, sagte: "Es reicht sicher nicht, wenn wir uns jetzt einmal schütteln und dann weitermachen wie bisher." Er wolle eine Analyse von elf Jahren SPD-Regierungsbeteiligung.

wal/ddp/Reuters/dpa
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