Abstimmung über Euro-Rettungsschirm Merkels Flucht nach vorn

Kanzlerin Merkel: Bangen um die Mehrheit
Foto: TOBIAS SCHWARZ/ REUTERSBerlin - Mit dem letzten Wort ist das in dieser Krise so eine Sache. Wer sich früh festlegt, muss seine Aussagen schneller revidieren, als ihm lieb ist. Am Montag wird auch Volker Kauder darüber nachgedacht haben. Es ist nämlich nicht lange her, genauer gesagt war es am Donnerstag, da beharrte der Vorsitzende der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU darauf, dass sich allein der Haushaltsausschuss mit den Leitlinien für den Euro-Rettungsschirm EFSF befassen müsse. Die Opposition, die eine Abstimmung des gesamten Bundestags verlangte, wolle nur "politisches Kapital aus der Diskussion schlagen".
Jetzt ist alles anders. Am Montag ist plötzlich auch der Unionsfraktionschef dafür, dass der Bundestag den Beschluss über die Details des EFSF an sich ziehen möge. Am Mittwoch, nach der Regierungserklärung der Kanzlerin, soll das Plenum abstimmen. Es geht dabei vor allem darum, wie die Schlagkraft des EFSF erhöht werden kann - über die Garantiesumme von derzeit 440 Milliarden Euro hinaus.
Mit seinem Sinneswandel überrascht Kauder selbst die eigenen Leute. Noch am Montagmorgen betonte Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier im ARD-"Morgenmagazin", ein Votum des Haushaltsausschusses sei ausreichend. Auch Angela Merkels Regierungssprecher ging am Vormittag davon aus. Zu dieser Zeit sitzt Kauder in einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands und verweist auf die "öffentliche Debatte" über den EFSF, durch welche die Angelegenheit eine "grundsätzliche Bedeutung" bekommen habe. Dem wolle er durch eine Befassung des Plenums Rechnung tragen. CDU-Chefin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert signalisieren ihre Zustimmung.
Wachsendes Unbehagen
Später am Nachmittag versucht Kauder, seinen Schwenk öffentlich zu erklären. Zwar bleibe der Haftungsrahmen von 211 Milliarden Euro für Deutschland unverändert. "Aber es gibt eine Diskussion darüber, ob sich die Wahrscheinlichkeit verändert, dass die Haftung eintritt", sagt Kauder - auch wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble dies nicht glaube. Von dieser Meinung sind allerdings nicht alle Abgeordneten in den schwarz-gelben Reihen überzeugt. Die Unruhe ist groß, weil die Summen, mit denen jongliert wird, immer größer werden. Inzwischen ist sogar von einem Billionen-Hebel die Rede.
Insofern ist Kauders Umdenken auch dem wachsenden Unbehagen in den eigenen Reihen geschuldet. Niemand soll sich übergangen fühlen, die Einbindung aller Abgeordneten bei der Abstimmung soll die Gemüter beruhigen und möglichst auch disziplinieren. "Grundsätzliche Fragen sind im Parlament zu entscheiden. Bei so wichtigen Fragen ist es sogar ganz gut, wenn das Parlament in großer Breite die Bundeskanzlerin bei ihren Verhandlungen unterstützt", befand Kauder.
Merkel fährt am Mittwoch nach der EFSF-Abstimmung erneut nach Brüssel, um dort mit den anderen EU-Staats- und Regierungschefs das Gesamtpaket zur Krisenbewältigung zu schnüren. Ein klares Votum des Bundestages würde Merkel für die Verhandlungen den Rücken stärken, zumal auch die Opposition, die das Krisenmanagement der Kanzlerin zuletzt scharf kritisierte, Farbe bekennen muss.
Den Sinneswandel der Koalition bekommen die Spitzen von SPD, Linkspartei und Grünen am Montagmittag beim Briefing zum Euro-Gipfel im Kanzleramt erklärt. Anschließend brüsten sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und sein Grünen-Kollege Jürgen Trittin, dass man die Kanzlerin zur Einsicht getrieben habe. Wenig später erschallt aus den Reihen der Sozialdemokraten der erste Ruf, Merkel müsse bei der Abstimmung die Kanzlermehrheit zustande bringen.
Wieder geht es um die Kanzlermehrheit
Das ist das Risiko, welches das Votum im Bundestag für Merkel mit sich bringt. Wieder wird sich die Frage stellen: Wie geschlossen tritt Schwarz-Gelb auf? Schon im Vorfeld der ersten Abstimmung über den EFSF war darüber leidenschaftlich diskutiert worden, Merkel hatte die Latte tiefer gehängt - und übersprang sie am Ende deutlich. Die Kanzlermehrheit stand, diese symbolisch wichtige absolute Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten. Dass die SPD diese nun erneut zur Hürde erklärt, ist kaum überraschend.
In der Fraktionsführung der Union gibt man sich betont gelassen: Keine Sorge, beim letzten Mal habe es ja auch geklappt. Ob aber die Schar der Bedenkenträger - es waren 15 Abweichler - nicht größer geworden ist, weiß niemand so genau. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach kündigt bereits an, erneut gegen den EFSF und seine Hebel stimmen zu wollen. "Die Bedenken der Kritiker sind nicht ausgeräumt, sondern haben sich eher bestätigt", sagt er. Und vielleicht haben sie sich auch weiterverbreitet.
Ganz sicher sein kann sich Merkel also nicht - zumal noch gar nicht feststeht, was in den Leitlinien wirklich drinstehen wird. Zwar kursiert bereits ein neuer Entwurf, aber für den umstrittenen Hebel enthält er noch immer zwei Modelle. Bei der Versicherungslösung sollen Investoren zum Kauf von Staatsanleihen angeschlagener Euro-Länder ermutigt werden, indem der Fonds im Notfall einen Teil des Verlusts übernimmt. Die zweite Option ist ein bei dem EFSF-Fonds angesiedelter Sondertopf mit Mitteln, die von Ländern außerhalb der Euro-Zone stammen. Wahrscheinlich ist eine Kombination der beiden Modelle. Wie konkret allerdings die Vorlage für die Abstimmung ausfallen wird, ist völlig ungewiss. Man solle nicht zu viel erwarten, heißt es in der Unionsfraktion, es werde wohl um "Eckpunkte" gehen.
Wie groß die Unsicherheit in dieser Frage auch in der Koalition noch ist, das ist am Montagnachmittag bei der FDP zu sehen. "Ich finde es ausdrücklich richtig, dass der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber immer das letzte Wort hat", lobt FDP-Chef Philipp Rösler die Unionsinitiative zur Parlamentsbefassung. Aber ob die Abgeordneten am Mittwoch über einen oder zwei Vorschläge zur EFSF-Hebelung entscheiden? Und wie viel Detail-Prokura die Kanzlerin am Ende vom Bundestag bekomme? Rösler bleibt wolkig.
"Ich habe den Eindruck, Sie wissen selbst nicht genau, wie das laufen wird", muss sich der Vizekanzler schließlich von einem Journalisten vorhalten lassen. Das will Rösler zwar so nicht stehen lassen - wirklich entkräften kann er den Eindruck aber nicht. Und so steht am Montag nur fest, dass der Bundestag am Mittwoch abstimmen wird. Aber nicht genau, worüber eigentlich.