Abstimmung über Rettungsschirm Denn sie wissen nicht, was sie tun

Abstimmung über Rettungsschirm: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Foto: TOBIAS SCHWARZ/ REUTERSBerlin - Ausnahmezustand im Regierungsviertel. Wieder kommen die Fraktionen zu Sondersitzungen zusammen. Wieder geht es um Milliarden. Nur der Betrag hat sich versechsfacht. Bewilligten die Abgeordneten in der vergangenen Woche noch mehr als 20 Milliarden Euro Kreditlinien zur Rettung Griechenlands, so fordert Kanzlerin Angela Merkel nun 123 Milliarden Euro von ihnen. Für einen Rettungsschirm.
Nichts ist mehr normal in diesen Tagen.
Angela Merkel wirkt müde, als sie am Dienstagmittag vor die Unionsabgeordneten tritt. Sie hat eine verlorene Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in den Knochen. Sie hat die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verspielt und die versprochene Steuersenkung abgesagt. Und dann die Sache mit dem Euro.
Jetzt versucht sie vor den Abgeordneten von CDU und CSU zu rekonstruieren, was in den vergangenen Tagen eigentlich geschehen ist.
Am Freitag ist Merkel nach Brüssel zu den anderen Staats- und Regierungschefs gereist, um die deutschen Milliarden zur Hellas-Rettung abzuliefern. Doch dann kam alles anders. Die Spekulanten nahmen sich plötzlich den Euro vor. Um die Stabilität der eigenen Währung zu sichern, schnürten Merkel und Co. flugs ein 750-Milliarden-Euro-Paket aus Mitteln von EU, Euroländern und Internationalem Währungsfonds (IWF). Die Finanzminister tüftelten das am Sonntag aus. Ergebnis ist der Rettungsschirm, unter den angeschlagene Euroländer im Fall des Falles flüchten können. Deutschland soll besagte 123 Milliarden liefern. Möglicherweise könnte es noch einen Aufschlag von 20 Prozent geben, heißt es in Berlin.
CSU außen vor - und verärgert
Die Abgeordneten sind verunsichert. Vom Rettungsschirm haben sie am Wochenende in den Medien gelesen. Und die "Bild"-Zeitung hat den Ahnungslosen auch schon mal ein Zeugnis ausgestellt: "Wir sind wieder mal Europas Deppen!", steht an diesem Dienstag in Riesenlettern auf dem Titel.
Entsprechend ist die Stimmung in den Regierungsfraktionen. Manch Abgeordneter fordert eine große öffentliche Erklärung von Merkel. Eine Fernsehansprache vielleicht.
Besonders verärgert sind die Vertreter der CSU. In einer Telefonschalte am frühen Morgen hat Merkel deren Parteichef Horst Seehofer einfach abtropfen lassen. Dessen Nachfragen und Bedenken wurden weggewischt: Das gehöre hier nicht hin, soll Merkel mehrfach gesagt haben. Zudem hatte sie keinen CSU-Mann zum sonntäglichen Krisengipfel ins Kanzleramt eingeladen. Es habe wegen der Aschewolke eben keine Flüge von München nach Berlin gegeben, heißt es im Umfeld der Kanzlerin. Bei der CSU sagen sie, dass man sehr wohl auch per Auto hätte anreisen können. Etwa von Franken aus. Der Heimat von CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich.
Der findet an diesem Dienstag recht deutlich Worte: "Wir hätten als Abgeordnete erwartet, dass wir mehr Informationen bekommen." CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagt, in der "Innen- und Außenkommunikation" sei eine "deutliche Verbesserung" nötig. Die Regierung müsse sich die Zustimmung der Abgeordneten nun "erarbeiten". Das zielt auf die Kanzlerin. Dobrindt und Friedrich fordern, die Ursache der Krise klarer zu benennen: Die mangelnde Haushaltsdisziplin der südeuropäischen Länder.
Und beide nennen die von der SPD geforderte Finanzmarkttransaktionssteuer als Möglichkeit, um die Banken an den krisenbedingten Ausgaben zu beteiligen. In der CDU denken sie eher an Instrumente wie die Bankenabgabe oder die vom IWF favorisierte Steuer auf Boni und Bankengewinne: "Wir wollen ganz klar eine Beteiligung der Finanzmärkte und auch derjenigen, die Verantwortung tragen auf nationaler und auch auf europäischer Ebene", sagt Unionsfraktionschef Volker Kauder, ohne konkret zu werden.
Ärger in der FDP über Abschlussdokument
Ein paar Meter weiter im Reichstag herrscht ebenfalls Ausnahmezustand. Den FDP-Fraktionssaal betritt ein Mann, der hier eigentlich nicht hingehört: Thomas de Maizière, Innenminister, CDU-Mitglied. Einige Abgeordnete stutzen. De Maizière hat am Sonntag den erkrankten Finanzminister Wolfgang Schäuble in Brüssel vertreten. Nun will er vor den Liberalen Rede und Antwort über die dramatische Rettungssitzung geben.
Vor dem Fraktionssaal gibt Rainer Brüderle ein Interview. Wie groß die Gefahr sei, dass der Steuerzahler am Ende die Milliardenhilfe komplett werde zahlen müssen, wird der Wirtschaftsminister gefragt. "Wenn wir den Weg vernünftig gehen, ist das Risiko sehr klein", sagt Brüderle.

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Dem Mann widerfährt in diesen Tagen ein eigentümliches Schicksal: Es ist Krise, aber auf den Wirtschaftsminister verzichtet die Kanzlerin lieber.
Denn eigentlich hätte doch Brüderle den Finanzminister am Sonntag in Brüssel vertreten sollen. Stattdessen aber schickte die Kanzlerin ihren Innenminister zur Sondersitzung. Es knirscht in der schwarz-gelben Koalition. Damit der FDP-Mann sein Gesicht wahren kann, lautet die offizielle Version nun: Zu dem Zeitpunkt, als Merkel die Entscheidung traf, habe Brüderle im Flugzeug von Frankfurt nach Berlin gesessen, sei also nicht erreichbar gewesen. Die Wirklichkeit ist banaler. Und rauer: Man traut Brüderle einfach nicht zu, die Krise zu managen. "Ein Glück, dass Herr B. am Sonntag noch nicht in der Maschine nach Brüssel saß", ätzt ein führender Koalitionspolitiker.
Gigantische Gefahr für den Euro-Raum
Zahlen schwirren durchs politische Berlin. Brüderle hat am Dienstag, noch vor der Fraktionssitzung, vor den Wirtschafts- und Finanzexperten der FDP die Dramatik erläutert: Euro-Papiere im Wert von einer Billion Euro seien am Freitag zum Verkauf weltweit an den Börsen eingestellt gewesen. Man musste handeln, sagt ein Teilnehmer der Runde.
Die Abgeordneten sind bisher nicht dazu gekommen, sich mit Details vertraut zu machen. In der Unionsfraktion wird ihnen zugesichert, sie erhielten bis zum kommenden Dienstag ein Papier mit den wichtigsten Informationen ausgeteilt. Dann soll der Bundestag den Entwurf zur "Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" als Gesetz verabschieden. Verärgert reagieren einige FDP-Abgeordnete, weil in der Abschlusserklärung des Euro-Krisengipfels die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer ausgelotet werden soll. Ein Projekt, das die Liberalen ablehnen. De Maizière verteidigt sich in der Fraktionssitzung: Er habe Schlimmeres verhindert. Ein führender Liberaler sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Das ist ein Prüfauftrag, mehr nicht."

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Am Ende dieses Ausnahmetages machen die Regierungsfraktionen den ersten Schritt zum Milliardenschirm: Die Union verzeichnet nur vier, die FDP drei Stimmen gegen die Gesetzesinitiative. Während die Grünen ebenfalls Zustimmung signalisieren, will sich die SPD noch nicht festlegen.
Klar ist - mit dem neuen Rettungspaket wird in Berlin nach dem Prinzip Hoffnung gehandelt. Schwarz-Gelb setzt auf schwarz-rote Zeiten. Weil es damals, zu Zeiten der Großen Koalition, ja auch funktioniert hat. Im Jahr 2008 wurde ein Milliarden-Rettungsschirm für die Banken aufgezogen. Danach beruhigte sich die Lage, die Banken mussten die Hilfe nur zu einem Teil beanspruchen. Von den 480 Milliarden Euro aus dem sogenannten Soffin-Fonds wurden bis Ende April Garantien und Kapital in Höhe von 172,5 Milliarden Euro abgerufen. Und weil der Soffin Zinsen verlangt, hat der Bund bislang sogar ein Geschäft gemacht.
Auf ähnliche Zurückhaltung hofft man in Berlin beim neuen Konzept. Die zu schaffende "Zweckgesellschaft" soll Kredite an notleidende Euro-Staaten nur vergeben, wenn zugleich auch IWF-Auflagen umgesetzt werden. "Der Anreiz, unter den Schutzschirm zu schlüpfen, ist nicht besonders groß", sagt Schäubles Sprecher.
Es ist ein Satz, der zumindest für diesen Tag Gültigkeit besitzt.