SPIEGEL ONLINE

Abstimmung zur Euro-Rettung Denn sie ahnen nur, was sie tun

Die Angst vor dem Abgrund zwingt zur Einigkeit: Mit großer Mehrheit segnet der Bundestag Angela Merkels Kurs in der Euro-Rettung ab. Aber viele Abgeordnete fragen sich, was die Beschlüsse wirklich bringen. Die Folgen der Notmaßnahmen sind kaum abzusehen. 

Berlin - Manchmal bemüht sich auch Angela Merkel um größtmögliche Klarheit. Als die Kanzlerin am Mittwochmittag bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag gerade zur Beschreibung des Schutzwalls anhebt, der verhindern soll, dass sich andere Euro-Staaten von der griechischen Schuldenkrise anstecken lassen, brüllt jemand von der Linken: "Eine Firewall!" Merkel wendet sich dem Zwischenrufer zu. "Sie können es auch Firewall nennen, wenn Sie des Englischen mächtig sind", sagt die Kanzlerin. Sie habe sich aber deutsch ausdrücken wollen, "was sicherlich hilfreich ist." Die Koalitionsabgeordneten klatschen zustimmend.

Nun ist die Gefahr gering, dass es ausgerechnet an dieser Stelle wegen eines überflüssigen Anglizismus zu Verwirrungen kommt. Doch die meisten Parlamentarier sind in Zeiten der Krise für jedes noch so kleine bisschen Mehr an Verständlichkeit dankbar. Denn das breite Verhandlungsmandat, das der Bundestag der Kanzlerin am Mittwoch für den EU-Gipfel am Abend in Brüssel mit auf den Weg gibt, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Unter den Abgeordneten herrscht große Unsicherheit, und zwar quer durch alle Fraktionen. Was fehlt, ist vor allem die Berechenbarkeit der Rettungsmaßnahmen. Viele fragen sich: Hilft das, was wir beschließen, wirklich, um der Krise Herr zu werden?

Die immer komplexeren Probleme und vermeintlichen Lösungen, mit denen sie sich befassen müssen, das Tempo, in dem sie Entscheidungen treffen sollen, die immer kürzeren Abstände, in denen die Regierung ihre roten Linien aufgibt - das alles überfordert nicht nur die Menschen in der Republik, sondern zunehmend auch die Volksvertreter.

"Man versucht halt, es zu verstehen"

"Der Umgang mit der Krise ist eigentlich wie eine Extra-Ausbildung", sagt selbst ein ausgewiesener Europa-Experte wie der Sozialdemokrat Axel Schäfer. "Man muss ein politisches Gefühl dafür entwickeln, was richtig sein könnte." Die Unsicherheit "belastet einen schon", sagt die CDU-Abgeordnete Nadine Schön. "Man versucht halt, es zu verstehen." Und Michael Fuchs, der erfahrene Fraktionsvize der Union, meint, er beschäftige sich täglich mit der Euro-Krise - aber natürlich könne auch er nicht wissen, zu welchen Konsequenzen am Ende welche Entscheidung führe. "Niemand kann das, es ist eine extrem komplizierte Materie, es gibt keine Blaupause für das, was wir jetzt machen müssen."

Die Kanzlerin weiß um das Unbehagen, das auch ihre eigenen Leute beschleicht, wenn sie nun über eine "Maximierung der Kreditvergabekapazität" des Euro-Rettungsschirms beschließen sollen - nur vier Wochen, nachdem der Bundestag grünes Licht für dessen Erweiterung auf 440 Milliarden Euro gegeben hat. Vom "Neuland", das man in dieser Krise betrete, spricht Merkel auch am Mittwoch wieder, davon, dass es keine "einfachen Lösungen" gebe, und schon gar keinen "Paukenschlag".

Fotostrecke

Erst Berlin, dann Brüssel: Der Tag der Euro-Rettung

Foto: Rainer Jensen/ dpa

Die Maßnahmen, um den Rettungsfonds schlagkräftiger zu machen, seien nach "bestem Wissen und Gewissen" erwogen, versichert die CDU-Chefin. Ob das Risiko, dass Deutschland, dass der Steuerzahler am Ende zahlen muss, dadurch steigt? "Ausschließen kann es niemand", sagt Merkel, die in den Stunden vor dem Euro-Endspiel in Brüssel besonders staatstragend auftritt. Aber sie meint: "Das Risiko ist vertretbar." Beruhigen kann das nicht wirklich, weil es ein bisschen so klingt, wie die Sache mit dem Restrisiko bei der Atomkraft. Das Ende ist bekannt.

Es herrscht keine feindselige Atmosphäre im Plenum an diesem Mittwoch, es gibt ja noch nicht einmal richtige Fronten: SPD und Grüne haben sich mit der Regierung auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, nur die Linke steht abseits. Aber das gegenseitige Misstrauen wird in der Debatte trotzdem offenkundig: Die nominelle Opposition erklärt die Koalitionäre zu großen Täuschern in Sachen Euro, die Regierung wiederum sieht in dem Vorwurf ein fieses Spiel. Es gibt nur einen Moment der Harmonie: Als Merkel davon spricht, sich in Europa vehement für die Einführung der Finanztransaktionssteuer einzusetzen, klatschen sogar Sozialdemokraten und Grüne. Endlich etwas Konkretes, an das man sich klammern kann.

Für die SPD spricht Frank-Walter Steinmeier - und man kann durchaus sagen, dass der Fraktionschef eine seiner besseren Reden hält. Dass seine Abgeordneten Merkel in der Abstimmung nicht von der Fahne gehen, war bereits am Dienstag klar. Aber Steinmeier kennt die wachsende Skepsis auch seiner Leute, was die immer neuen Notmaßnahmen angeht, die gewaltigen Summen und schwer durchschaubaren Modelle, die in Brüssel für eine Stärkung des Euro-Rettungsschirms diskutiert werden.

Steinmeier versteht es nicht

Steinmeier nimmt die Skepsis auf - und macht sie sich zu eigen. "Ich verstehe mittlerweile, was eine Versicherungslösung ist", sagt er. "Aber ich müsste diese zweite Option, von der die Rede ist, wenigstens verstehen, um mir ein Urteil zu bilden. Ist das ein Fonds mit einer internationalen Beteiligung, oder was bedeutet diese Investmentlösung?", fragt er. "Bedeutet das etwa, dass wir jetzt in den Handel mit Produkten einsteigen, die wir doch eigentlich verbieten wollen?"

Natürlich ist der Zustand der Verunsicherung für die Opposition auch ein taktisches Instrument. Es lässt sich daraus leicht der Vorwurf kreieren, die Regierung spiele nicht mit offenen Karten und versage in ihrer Aufklärungsarbeit. Aber es ist eben nicht nur die Opposition, die sich mit Mühe durchs Dickicht der Euro-Rettung kämpft. Rainer Brüderle, der FDP-Fraktionschef, versucht in seiner Rede gar nicht erst, auf die Details der Maßnahmen einzugehen. Stattdessen flüchtet er sich in staatsmännische bis wolkige Sätze. Es gehe bei der Abstimmung vor allem darum, "ein Signal zu setzen" und die Position der Kanzlerin zu stärken. Augen zu und durch.

Am tiefsten legt Linke-Fraktionschef Gregor Gysi den Finger in die Wunde. "Sie haben eine Wirrnis erzeugt, die alle überfordert", sagt er und dreht sich dabei zur Regierungsbank. Alle - damit meine er die Öffentlichkeit, die Journalisten - aber auch die Politik selbst. Gysi gibt an diesem Tag mal wieder eine Art Bundestags-Clown - aber der Narr ist ja oft genug derjenige, der die Wahrheit am schonungslosesten ausspricht. Gysi sagt: "Auch das Recht der Bundesregierung, für Verwirrung zu sorgen, hat Grenzen."

Merkel schaut bei diesen Spitzen geradeaus, als spräche Gysi eine andere Bundesregierung an. Sie weiß, an diesem Mittwoch wird es für sie reichen. Weil wieder einmal alles alternativlos erscheint. "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa", sagt die Kanzlerin, es ist ihre Beschwörungsformel in der Krise, bei der jetzt selbst manche ihrer politischen Gegner klatschen. Doch Merkel hat diese Formel schon so oft vorgebracht, sie wirkt bereits seltsam abgenutzt.

Und so dürfte sich auch die Kanzlerin fragen, wie oft sie noch funktioniert.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren