Anja gegen die AfD: Wie Brandenburger Künstler einen Wahlerfolg der Rechten verhindern wollen
Dieser Beitrag wurde am 21.08.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Eine junge Frau schlendert in Latzhose durch eine Stadt in Brandenburg. Sie singt von einem bunten Leben, das hier möglich ist. Und vom AfD-Wahlprogramm, das dazu so gar nicht passe. Die Frau heißt Anja Neumann, ist 29 Jahre alt und kommt aus Eberswalde. Gemeinsam mit rund 200 Künstlerinnen, Musikern und Kreativen hat Anja an dem Lied gebastelt.
Herausgekommen ist der Song "Wir nich!", der Menschen davon abhalten soll, bei der Landtagswahl in Brandenburg für die AfD zu stimmen.
Am 1. September wird gewählt. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bei 20 Prozent, Landeschef Andreas Kalbitz gehört dem völkischen Flügel um Björn Höcke an. Er hat gute Chancen, seine AfD zur stärksten Kraft im Landtag zu machen.
Die "Künstler mit Herz Brandenburg" wollen das verhindern. Ihre Idee haben sie von Kreativen aus Bayern, die vor einem Jahr ein ähnliches Anti-AfD-Lied aufnahmen. Nun wurde "Wir nich!" mehr als 34.000 Mal angesehen.
Aber reicht ein Video, um etwas zu verändern?
Im Video
bekommst du einen Anruf einer Freundin, die verkündet, die AfD wählen zu
wollen. Gab es diesen Anruf wirklich?
"Nein, bei mir persönlich nicht. Aber das Video ist ja ein Gruppenprojekt, das eine Geschichte erzählen will, wie sie in Brandenburg in diesen Tagen passieren könnte. Alle Mitwirkenden sind aus Brandenburg oder arbeiten hier. Unser aller Ideen sind in das Lied eingeflossen, also denke ich schon, dass es den einen oder anderen gab, der so was schon mal so oder ähnlich erlebt hat."
Was ist die Botschaft des Videos?
"In der Öffentlichkeit wird Brandenburg oft – und das schon seit vielen Jahren – als ein Dunkeldeutschland dargestellt, in dem es nicht viel gibt außer einer schwachen Infrastruktur und Menschen mit rechter Gesinnung.
Das wollten wir sichtbar machen.
Wir haben viele Herausforderungen vor uns, sei es bei der Integration, beim Klimaschutz oder jeglichen Fragen zur sozialen Gerechtigkeit. Und da helfen Parteien nicht weiter, die uns spalten wollen. Egal, welche politische Ansichten wir jeweils haben: Wir müssen doch immer noch dialogfähig bleiben."
Wenn aus deinem direkten Umfeld keiner AfD wählt, ist ja eher wenig Dialog.
"Nur weil
ich keine Freunde habe, die die AfD wählen, heißt das ja nicht, dass ich keine
Menschen kenne, die das tun. In meinem Familien- und
Bekanntenkreis gibt es schon den einen oder anderen, bei dem die Haltung beim Thema AfD entschieden
auseinandergeht. Und durch
meine Arbeit bin ich die vergangenen zwei Jahre regelmäßig in Kontakt mit Menschen mit rechten und rückwärtsgewandten Positionen gewesen, wie sie auch die
AfD vertritt. Ich arbeite
in einem die Zivilgesellschaft adressierenden Klimaschutz-Projekt. Da wurde es oft
sehr, sehr schnell politisch."
Was hast du von ihnen gelernt?
"Ich habe ganz deutlich gemerkt, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen AfD-Politikern und AfD-Wählern gibt. Viele, die die Partei wählen oder gutheißen, vertreten deren Inhalte noch lange nicht – zumal längst nicht alle diese konkret benennen können.
Es sind vor allem Menschen mit ernstzunehmenden Sorgen und oftmals ungehörten Problemen. Wenn wir ins Gespräch kommen, geht es schon nach wenigen Minuten nicht mehr ums Klima oder Geflüchtete – sondern um ganz persönliche Schicksale."
Die AfD
beruft sich darauf, einfach die Stimme rechts der Mitte zu sein. Andere
bezeichnen die Partei als rechtsradikal oder gar rechtsextrem. Wie erlebst du
sie?
"Wenn man sich deren politische Ziele anschaut, sprechen diese eigentlich für sich. Aber ich will nicht so viel über die AfD reden! Im Video zeigen wir doch, dass Brandenburg mehr ist als die AfD."
Okay, sorry. Aber da sich das Video gezielt am Wahlprogramm der AfD abarbeitet, frage ich halt auch nach der AfD.
"Schon klar. Aber ich muss die Partei trotzdem nicht einordnen, das tut die von alleine. Im Wahlprogramm gibt es Vorschläge, die für mich nicht in eine Demokratie passen. Aber noch Mal: Ich will nicht gegen die AfD kämpfen, sondern für ein buntes Brandenburg. Wir sollten uns nicht von Wut leiten lassen, sondern lieber von Ideen."
Ideen! Hast du direkt eine parat?
"Ja: zuhören! Seit der Wende wurde die Vergangenheit kaum aufgearbeitet und da haben viele im Osten immer noch Redebedarf – dazu fehlten und fehlen meist Zeit, Geduld und der passende Raum. Die anderen Parteien hätten in der Vergangenheit mehr auf die Menschen zugehen müssen. Das müssen wir als Gesellschaft nachholen, auch wenn wir die Zeit, so wie ich, teils ja gar nicht selbst miterlebt haben. Wir müssen die ernst nehmen und denen zuhören, die sich abgehängt fühlen und daher zur AfD laufen. Denn die macht ja gerade genau damit Wahlkampf."
Wie die AfD im Osten Wahlkampf macht
Kern der Wahlstrategie ist der Slogan "Wende 2.0" – also der Aufruf an die Bürger, die friedliche Revolution von 1989 abzuschließen oder zu erneuern. Der Vorwurf dahinter: Deutschland unter Angela Merkel sei vergleichbar mit der SED-Diktatur der DDR.
Viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, die damals gegen das echte SED-Regime auf die Straße gingen, wehren sich gegen die Vereinnahmung, nennen die AfD "geschichtsvergessen". 1989 gingen Menschen für mehr Freiheiten auf die Straße, die AfD heute stehe aber nicht für Freiheiten. (SPIEGEL ONLINE)
Besonders makaber: Vor allem Thüringenchef Björn Höcke wirbt mit der Wende und suggeriert bei Wahlkampfauftritten, er sei damals dabei gewesen. Tatsächlich ist Höcke Westdeutscher und war während der Demonstrationen 17 Jahre alt.
Jetzt sind wir doch wieder bei der AfD. Was ist bei deinem Zuhören wollen anders als bei dem Angebot, das die AfD macht?
"Die Partei gibt keine ehrlichen, menschlichen und sachlichen Antworten auf die bestehenden Probleme. Wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, dann geht es um Miete, um Jobs und um die Schule der Kinder. Nicht darum, an wem sie ihren Hass abreagieren möchten."
Wie machst du das nun konkret, zuhören?
"Ich gehe zum Beispiel in die Kneipe – dann bin ich nicht mehr in meiner Blase und begegne anderen Menschen und ihren Geschichten. Natürlich sind wir dann oft unterschiedlicher Meinung, aber ich habe bisher nur selten erlebt, dass die Fronten so verhärtet sind, dass man sich nicht mehr respektvoll unterhalten kann. Im Gespräch merke ich dann, der meint das gar nicht so, wie er es in seiner ersten Wut gesagt hat. Der hat das Herz eigentlich doch an der richtigen Stelle."
Also auf zum AfD-Stand und die Menschen dort einfach mal ansprechen!?
"Eigentlich doch überall im Alltag. Das ist ja auch Zivilcourage: Nicht schweigen, den Mund aufmachen."
Woher wisst ihr denn, dass ihr die "stille Mehrheit" seid?
"Das merke ich in meinen Gesprächen. Das merke ich bei all den Menschen, die sich am Video beteiligen wollten. Und das merke ich jetzt vor allem bei den vielen positiven Rückmeldungen! Ich hoffe, das Video ermutigt andere, nun ebenfalls nicht zu schweigen und sich stark zu machen für ein respektvolles und tolerantes Miteinander auf Augenhöhe."
Aber hätte es dann nicht wütender werden müssen? Ihr zeichnet ein Bild von einem sehr lieblichen Brandenburg.
"Nein, das würde ich nicht sagen. Wir zeichnen ein Bild von einem sehr konstruktiven Brandenburg, in dem Neues entstehen kann, wenn wir gemeinsam anpacken. Wut rauszulassen ist gut und wichtig, aber Emotionen dürfen nicht der Katalysator für politische Entscheidungen sein."
Wenn jetzt so viel Aufmerksamkeit auf den Wahlen im Osten liegt, hilft das eurem Kampf für Toleranz?
"Eher nicht. Das Bild von Brandenburg in den Medien hat wenig mit der Realität zu tun. Der Fokus liegt oft nicht auf den vielen Engagierten, die hier Rechtsextremen die Stirn bieten oder sich teils über Jahrzehnte hinweg für ein solidarisches und vielfältiges Miteinander einsetzen."
Was wird, wenn nun die AfD doch stärkste Kraft wird?
"Puh, wie geht es mir dann? Nicht gut. Aber ich will darauf vertrauen, dass die stille Mehrheit in Brandenburg nun ebenfalls lauter wird."
Auch in Sachsen wird gewählt – und auch dort gibt es Ideen gegen die AfD:
So will Sascha verhindern, dass in Sachsen die AfD an die Macht kommt