Gestärkter AfD-"Flügel" Scharfmacher an vorderster Front

Andreas Kalbitz auf dem AfD-Parteitag in Braunschweig: Kritiker abgestraft
Foto: Ronny Hartmann / AFPAndreas Kalbitz lässt sich umarmen und klopft auf Schultern, ohne Unterlass. "Da wird das Gewinnen glatt anstrengend, wa?", scherzt einer aus der langen Schlange der Gratulanten. Sie alle wollen dem AfD-Mann aus Brandenburg, der als Strippenzieher des völkischen "Flügels" einer der mächtigsten Männer der Partei ist, ihre Aufwartung machen. Björn Höcke, immer noch Gallionsfigur, aber längst nicht mehr so einflussreich, steht mit verschränkten Armen dahinter und schaut zu. Die Versammlungsleitung muss zwei Mal darum bitten, dass sich die Menschentraube auflöst, damit der Parteitag weitergehen kann.

Scharfmacher gratuliert Scharfmacher: Björn Höcke (r.) und Kalbitz
Foto: Hauke-Christian Dittrich/ DPAWenige Momente zuvor war Kalbitz wieder in den Bundesvorstand gewählt worden. Der Scharfmacher mit 25-jähriger Karriere in rechtsextremen Kreisen, der während seiner Bundeswehrzeit im Visier des Militärischen Abschirmdienstes MAD war, hatte gegen Kay Gottschalk gewonnen, ausgerechnet.
Gottschalk, zuvor ebenfalls Vorstandsmitglied, ist einer der letzten lauten Kritiker des "Flügels" innerhalb der AfD. Er hatte in seiner Rede auch auf die Vergangenheit von Kalbitz angespielt, indem er über Parteimitgliedschaften bei den rechtsextremen "Republikanern" sprach. Doch schon im ersten Wahlgang hatte Kalbitz mehr Stimmen als er, in der Stichwahl setzte Kalbitz sich dann mit 42 Stimmen mehr gegen Gottschalk durch. Gottschalk trat an diesem Sonntag in Braunschweig gegen einen weiteren "Flügel"-Vertreter an - und verlor wieder.
Und so zeigt der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte "Flügel" auf diesem Parteitag in Braunschweig einmal mehr, wie mächtig er ist. Der Rechtsruck, den die Partei schon seit Monaten durchmacht, er ist nun sichtbar.
Videoanalyse: "Die Partei ist nicht weniger rechts als vorher"
Denn neben Gottschalk sind auch die anderen Kritiker der Völkischen nicht gewählt worden: Georg Pazderski und Albrecht Glaser verloren ihren Posten im Bundesvorstand, Uwe Junge, der den Appell gegen Höckes Führerkult maßgeblich betrieben hatte, schaffte es nicht hinein, ebensowenig Dana Guth. Auch Roland Hartwig, den die "Gemäßigten" zu ihrem Lager zählen und der für das Thema Verfassungsschutz zuständig ist, bekam keinen Platz.
Nichtangriffspakt mit dem "Flügel"
Zwar gab es auch Niederlagen für den "Flügel" bei einzelnen Personalien, doch am Ende wurden alle Kritiker abgestraft. Mit dem neuen Parteivize Stephan Brandner und den beiden Beisitzern Andreas Kalbitz und Stephan Protschka sind explizite "Flügelianer" an die Spitze der Partei gerückt.
Und der neue Parteichef Tino Chrupalla, der auch auf dem letzten Kyffhäusertreffen des "Flügels" war? Der weist von sich, Teil der parteiinternen Plattform zu sein, sagte dem SPIEGEL aber mal: "Ich habe kein Problem mit dem 'Flügel', sehe zwischen mir oder Andreas Kalbitz keine inhaltlichen Unterschiede, ich drücke mich nur vielleicht manchmal etwas anders aus."
Mit Parteichef Jörg Meuthen und der neuen Vizechefin Alice Weidel hatte der "Flügel" schon länger Nichtangriffspakte geschlossen, auch wenn diese das von sich weisen.
Die weiteren neuen Mitglieder im Bundesvorstand sind weder am Parteitag noch sonst in den vergangenen Monaten mit sonderlich viel Kritik am "Flügel" aufgefallen, wenn deren Politiker durch Skandale oder besonders radikale Äußerungen von sich reden machten. Bis auf Joachim Paul, der den "Appell der 100" unterzeichnet hatte. Jene Unterschriftenliste, mit der etwas mehr als 100 AfD-Politiker den Personenkult von Björn Höcke beim Kyffhäusertreffen kritisiert hatten. Inhaltliche Kritik an Äußerungen Höckes oder des "Flügels" fanden sich aber auch dort nicht.
Gut organisiert
Der Erfolg des "Flügels" liegt auch daran, dass er wesentlich besser organisiert ist. So waren etwa die Fragen, die an Kalbitz aus dem Publikum gestellt wurden, Gefälligkeitsfragen von Sympathisanten. Und als "Flügel"-Unterstützer nach Kalbitz' Wahl kurz rausgehen wollten, um zu rauchen, bat sein Büroleiter sie, direkt wiederzukommen: "Wir sind noch nicht durch, es gibt noch Abstimmungen von unseren Leuten." Schon bei den Delegiertenparteitagen in den Ländern hieß es, dass der "Flügel" mächtig Einfluss genommen habe und entsprechend viele seiner Leute nach Braunschweig anreisen konnten, von SMS-Wahlempfehlungen und Absprachen ist die Rede.
Parteichef Meuthen will von einem "Rechtsruck" dennoch nichts wissen: "Den gibt es nicht." Es hätten sich doch die "gemäßigten Kräfte" durchgesetzt, Beatrix von Storch etwa sei nun auch Vize im Bundesvorstand, sagt er. Die "Flügelianer" wären dagegen oft nur knapp gewählt worden. Und: "Dass die verschiedenen Strömungen in einem Vorstand abgebildet werden, ist nicht Ausdruck einer Spaltung unserer Partei, sondern Ausdruck der Klugheit der Delegierten."
Andere aus dem Lager der "Gemäßigten" sehen das anders, sprechen von Niederlagen und der Sorge, was dies nun beim Verfassungsschutz auslöse. Nur wenige wollen dies allerdings zitiert wissen. Bis auf Gottschalk, der nach seiner Niederlage gegen Kalbitz sagt: "Das bürgerliche Lager hat auf diesem Parteitag einen deutlichen Rückschlag erlebt." Und: "Wir sind auf einem schlechten Weg." Auf die Frage, ob er noch einen Platz für sich in der Partei sehe, sagt er: "Noch."