
AfD im Osterzgebirge: Polizei vor der Tür, Polemik dahinter
Ortstermin in der Sächsischen Schweiz Wo die AfD zur Volkspartei wird
Der Politische Aschermittwoch der ostdeutschen AfD-Verbände findet auf der grünen Wiese statt, in einer Lagerhalle in dem kleinen sächsischen Ort Nentmannsdorf bei Pirna. Hunderte Autos rollen an diesem Nachmittag über ein matschiges Feld, parken unter den Augen einer Polizei-Hundertschaft. Vor der Halle hält der erste Ehrengast Hof: Der mehrfach wegen Körperverletzung, Einbruch und Drogenhandel vorbestrafte Pegida-Gründer Lutz Bachmann, gebräunt von der Sonne seines Heimatorts auf Teneriffa, posiert für Selfies mit Fans.
Drinnen in der mit AfD-Wahlplakaten geschmückten Halle drängen sich 1000 Menschen an langen Biertischen. Die "Kracher-Veranstaltung", wie sie das rechte Blatt "Compact" nannte, ist seit Tagen ausverkauft, obwohl ein Ticket 15 Euro kostet, und dafür hat man noch kein einziges Bier gekauft.
Hier im Wahlkreis 158, Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, war die AfD mit 37 Prozent die erfolgreichste Partei bei der Bundestagswahl. Aber um zu verstehen, dass die Rechten in dieser Gegend wirklich eine Volkspartei sind, muss man nach ganz hinten in die Halle gehen, am Ausschank vorbei und eine grob gezimmerte Holztreppe hinauf auf die VIP-Tribüne. Hier sitzt ein Dutzend Männer, die in dieser Gegend viel zu sagen haben, oder früher einmal hatten, deren Betriebe Arbeit für viele Leute schaffen. Die meisten Herren dürften um die 60 Jahre alt sein, wohlgenährt und an diesem späten Nachmittag schon auf Betriebstemperatur für einen politischen Aschermittwoch.
Jürgen hatte früher einen großen Handwerksbetrieb und war im Vorstand einer Bundesinnung. Welche genau, das will er lieber mal in Ruhe bei einem Abendessen erzählen. Egon führt den örtlichen Landgasthof. Peter hat seinen Getränke-Großhandel schon seinem Schwiegersohn übergeben, der auch mit am Tisch sitzt. Die Männer kennen sich teils seit Jahrzehnten, über die Handwerkskammer, die Unternehmerstammtische oder Volksfeste in der Gegend. Früher hätte sich so eine Runde vielleicht beim CDU-Frühschoppen getroffen, in Bayern träfe man sie vielleicht auf einer VIP-Tribüne der CSU.

AfD im Osterzgebirge: Polizei vor der Tür, Polemik dahinter
"Komm, setz Dich, Sonnenscheinchen!" Jürgen zieht einen Stuhl heran, spendiert einen Sekt. Frauen trinken doch immer Sekt. Der Rest der Runde trinkt Bier, und auf dem Tisch steht eine Flasche Absolut Vodka. Nur ein Unternehmer hat seine Frau mitgebracht, sie wird als einzige auf der Tribüne fasziniert allen Reden lauschen. Für die anderen ist der Abend eher wie ein Fußballspiel, das vorbeirauscht, und dem man sich nur zuwendet, wenn der Jubel der Fans einen neuen Höhepunkt ankündigt. Wenn die Menge "Abschieben! Abschieben!" ruft, oder "Wir sind das Volk!".
"Sollen das alles Neonazis sein?
Oder wenn der Stargast kommt. "Da ist der Höcke!", ruft die Unternehmergattin aufgeregt. Als der Thüringer in die Halle einzieht, dröhnt die Blaskapelle los, die Menge skandiert euphorisch seinen Namen.
"Schauen Sie mal da runter", sagt der Getränkeunternehmer Peter. "Sollen das alles Neonazis sein? Wenn Sie das schreiben, würden Sie lügen." Im Saal sieht man so einige Männer mit kräftigem Nacken, kurz rasiertem Haar und Tinte unter der Haut. Auch Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung sind gekommen, skandieren am Schluss des Abends ihren Slogan "Heimat, Freiheit, Tradition - multikulti Endstation!" Aber tatsächlich sind die meisten Gäste sächsische Durchschnittsbürger mit Winterjacke und Kurzhaarschnitt, vielleicht ein Zehntel von ihnen Frauen, sogar Kinder sind dabei. Die Luft ist dick von Bratenduft und Bierdunst.
"Bei uns im Ort hat die SPD 4,8 Prozent", sagt Mirko Schüring, ein Mann um die 40 mit blauer Baseballkappe. "Erzählen Sie das mal Ihren linken Freunden in Berlin." Schüring gehört die Halle, Journalisten will er eigentlich nicht auf seiner Tribüne sehen. "Aber Sie verhalten sich ja ruhig." Er wisse genau, wie die Medien funktionieren: "Die Merkel sitzt ja im Aufsichtsrat bei Springer. Oder Moment, nein, ihr Mann sitzt da." Auf den Hinweis, dass beides nicht stimmt, will Schüring nach Beweisen googlen. Aber in seiner Halle gibt es kein gescheites Handy-Netz.
"Warum müssen Sie Ihre Logos überkleben?"
Die meisten Wirtschaftsleute in der Region seien AfD-Fans, berichtet Peter. Im nahegelegenen Pirna hat sich schon 2016 eine Gruppe mittelständischer Unternehmer zu einem rechten Heimatverein zusammengetan, "Pro Patria Pirna" genannt. Dennoch sind die Patrioten vorsichtig. Peters Schwiegersohn hat für den AfD-Aschermittwoch alle Logos der Getränkefirma überkleben lassen. Auch der Caterer habe für den Transport seiner Koteletts und Würstchen extra einen neutralen Bus gemietet, berichtet die Runde.
Wenn die AfD hier so beliebt ist, warum müsse dann Logos überklebt werden? Bei so viel Naivität kann die Herrenrunde nur den Kopf schütteln. Ob man in Berlin noch nie von der Antifa gehört hätte? Und von dem Unternehmer, der den Aschermittwoch ursprünglich ausrichten wollte? "Der Mann hat Morddrohungen bekommen." Er hätte aus Angst um seine Firma und seine Familie abgesagt.
Schüring hat keine Angst. Er hatte schon 2008 kein Problem damit, die NPD um Hilfe zu bitten, um unerwünschte Gäste von seiner Kiesgrube in Brandenburg zu verscheuchen. Schüring ist Multi-Unternehmer, betreibt nach eigenen Angaben die größten Solaranlagen Ostdeutschlands, und eine Firma für Baustofftransporte.
Fünf Tage dauerte es, um seine Halle zu leeren und zu reinigen. Zum Glück für die AfD funktionierte das örtliche Unternehmernetzwerk, trieb kurzfristig Bierbänke, Dixie-Klos und eine zehnköpfige Blaskapelle auf. Am Halleneingang steht Pegida-Mitgründer Achim Exner, dessen robuste Mitarbeiter für die Security zuständig sein dürften. Von der Tribüne aus ist zu sehen, wie ein Sicherheitsmann zu den Sprechchören "Merkel muss weg!" übermütig in die Luft boxt.
Nächstes Jahr "müssen wir aber anbauen!"
Eine junge Frau mit langen blonden Locken und dick getuschten Wimpern tritt lächelnd in die Runde. "Meine Frau", stellt Schüring sie vor. "Mit der kannst Du Russisch reden, Jürgen!" - "Bonjour, ma belle!", kräht Jürgen. Französisch sei auch kein Problem, sagt Schüring stolz, seine Frau spreche fünf Sprachen. Und stehe voll hinter seinem politischen Engagement. "Nur ihre Oma, die findet das nicht gut." Schürings Frau lächelt höflich und setzt sich auf eine Bank am Tribünenrand.
Bald wird es eng auf den Holzplanken: Die AfD-Prominenz schaut vorbei. Erst Höcke und sein Bodyguard, dann der brandenburgische Landeschef Andreas Kalbitz und André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt. Poggenburg wird später die Deutsch-Türken als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" schmähen. Eine Aussage, auf die die Türkische Gemeinde möglicherweise mit einer Anzeige reagieren will.
Kalbitz hat einen blonden jungen Mann mitgebracht, der auf jedes leise Fingerschnippen sofort reagiert. Er holt für Kalbitz Getränke, trägt seine Mappe, bahnt ihm den Weg durch die Menge.
"Herr Höcke, wie fühlt es sich für Sie an, wenn die Leute so begeistert Ihren Namen rufen?" Höcke lächelt verlegen, wiegt den Kopf, überlegt. Er kann schwerlich sagen, dass es ihm nicht gefällt. "Man gewöhnt sich an alles", sagt er vorsichtig. Auf der Bühne wird der Geschichtslehrer seine Anforderungen an einen idealen "deutschen Staatsmann" formulieren. Er müsse über historische Bildung verfügen, etwa über die Tatsache, dass die EU "nur eine Schwundstufe Europas ist", während "die Wurzeln unseres geliebten deutschen Vaterlandes ... weit über 1000 Jahre zurückreichen." Der Saal kocht.
"Dass wir dieses Riesending so schön warm kriegen, wer hätte das gedacht", sagt Schüring zufrieden. Nächstes Jahr will er den Aschermittwoch gerne wieder ausrichten. "Dann müssen wir aber anbauen!"