Liane Bednarz

AfD-Konflikt um Kalbitz Kein Richtungsstreit, nur eine Farce

Liane Bednarz
Ein Gastbeitrag von Liane Bednarz
Wäre die AfD so bürgerlich, wie sie tut, dann würde sie gar nicht erst darüber streiten, ob sie den Rechtsextremisten Andreas Kalbitz ausschließen sollte. Es wäre selbstverständlich.
Andreas Kalbitz, irgendwie immer noch Mitglied der AfD

Andreas Kalbitz, irgendwie immer noch Mitglied der AfD

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Was die Ausdehnung rechten Gedankenguts angeht, ist in den letzten Jahren oft vor einer "Normalisierung" gewarnt worden. Nicht zu Unrecht. Denn es entspricht der menschlichen Natur, sich auch an das zu gewöhnen, was im ersten Moment Schrecken verbreitet und empört.

Daran sollte man sich erinnern, wenn es um die aktuelle Situation in der AfD geht, namentlich um die juristischen Auseinandersetzungen rund um die Annullierung der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, dem Spiritus Rector des völkischen Teils der AfD. Viel liest man darüber, hat sich gewissermaßen schon an diesen Machtkampf gewöhnt. Aber eigentlich ist gar nichts daran normal.

Bekanntlich hatte der Bundesvorstand der AfD auf die Initiative des Co-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen hin Mitte Mai 2020 mit knapper Mehrheit beschlossen, die Mitgliedschaft von Kalbitz in der Partei zu annullieren. Und zwar vor allem deshalb, weil dieser bei seinem Aufnahmeantrag 2013 seine Mitgliedschaft in der rechtsextremistischen und seit 2009 verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) verschwiegen haben soll. Ins Rollen gekommen war das Ganze, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz Kalbitz Mitte März als rechtsextremistisch eingestuft und dies unter anderem damit begründet hatte, dass eine "Familie Andreas Kalbitz" unter der Mitgliedsnummer "01330" bei der HDJ geführt worden sei . Kalbitz bestreitet diese Mitgliedschaft. Unstrittig ist allerdings, dass er 2007 ein Pfingstlager der HDJ besucht hat .

Kuschelei mit Kalbitz in der Parteispitze

Man halte an dieser Stelle inne und denke darüber nach, worüber wir hier eigentlich sprechen: über die parteiinterne Auseinandersetzung mit einem Mann, der seit Mitte März offiziell vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft ist, als ein Verfassungsfeind. Das ist die Realität der AfD, von der ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland behauptet , sie sei "bürgerlich". Was für eine Farce. Tatsächlich ist nichts an der AfD bürgerlich. Und ebenso wenig konservativ. Gewiss, es gibt Bürgerliche, die in der AfD mitmachen, weil sie sich gedanklich in einen rechten Irrgarten begeben haben und nicht mehr herausfinden. Aber die Partei selbst ist nicht bürgerlich.

In jeder tatsächlich bürgerlichen Partei wäre es ganz und gar undenkbar, überhaupt groß darüber zu debattieren, ob ein Rechtsextremist in der Partei verbleiben kann. Der Druck der Parteifreunde wäre so groß, dass so eine Person von selbst gehen würde. Nicht so in der AfD. In ihrem Parteibiotop ist es anno 2020 vollkommen normal, dass es Rechtsextremisten mit Einfluss gibt, deren Verbleib in der Partei keineswegs nur von ihrer völkischen Fangemeinde befürwortet wird. Stattdessen reicht die Kuschelei mit Kalbitz bis in die Parteispitze hinein. So zu sehen bei Tino Chrupalla, dem zweiten Parteivorsitzenden neben Meuthen.

Nachdem das Landgericht Berlin qua einstweiliger Verfügung Freitag vor einer Woche entschieden hatte, dass Kalbitz seine Mitgliedschaftsrechte bis zu der (im Juli erwarteten) Hauptsachentscheidung durch das Bundesschiedsgericht der AfD über die Annullierung seiner Mitgliedschaft behält, freute sich Tino Chrupalla und tat in einer Pressemitteilung kund:

"Nach der richtungsweisenden Entscheidung des Gerichts können wir uns nun wieder ganz auf unsere vernunftorientierte Politik mit Augenmaß konzentrieren. Auf der Grundlage der richterlichen Entscheidung sollte jetzt die Ruhe einkehren, die wir für die vor uns liegenden Herausforderungen im Wahljahr dringend benötigen. Das heißt, wir müssen zusammenstehen, wenn wir die Hoffnungen der vielen Menschen, die in uns die kommende Volkspartei sehen, nicht enttäuschen wollen. Spätestens jetzt muss allen klar sein: Nur einig sind wir stark!"

Tatsächlich ist das von Meuthen gewählte Annullierungsverfahren gegen Kalbitz aus rechtlicher Perspektive höchst fragwürdig . Gleiches gilt für die Eilentscheidung des AfD-Bundesschiedsgerichts, das letzte Woche die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin de facto konterkarierte, indem es einen ebenfalls von Kalbitz gestellten Eilantrag auf Wiedereinsetzung in seine Mitgliedschaft abgelehnt hat.

Zusammenstehen mit dem Rechtsextremisten

Aber darum geht es an dieser Stelle nicht. Sondern um das, was Chrupalla in dem Statement noch sagt. Er spricht von "zusammenstehen", womit ein Zusammenstehen mit dem Rechtsextremisten Kalbitz gemeint ist. Ja mehr noch: "einig" soll man sich sein. Und zwar, um "die Hoffnungen der vielen Menschen, die in uns die kommende Volkspartei sehen, nicht [zu] enttäuschen."

Eine solche Haltung, ein derart inniger Wunsch soll bürgerlich sein? Oder konservativ? Tatsächlich ist an der Sehnsucht nach einem Schulterschluss mit einem Rechtsextremisten nichts, aber auch gar nichts davon.

Chrupallas Reaktion ist eine unmittelbare Folge davon, dass sich nach wie vor auch von den sogenannten Gemäßigten in der AfD niemand wirklich traut, es mit dem völkischen Teil der AfD ernsthaft aufzunehmen. Das gilt auch für Jörg Meuthen. Über seine Motive, nun gegen Kalbitz vorzugehen, nachdem er kurz vorher schon die Auflösung des "Flügels" durchgesetzt hatte, kann man nur spekulieren. Jahrelang hatte er eben diesen "Flügel" um Björn Höcke und Kalbitz hofiert, ist mehrfach als Redner auf den "Kyffhäusertreffen" aufgetreten, der jährlichen Zusammenkunft der "Flügel"-Leute, von Höcke "das große Fest der Vaterlandsliebe" genannt. Vielleicht ist es der Druck durch den Verfassungsschutz, vielleicht aber hat Meuthen auch irgendwann selbst gemerkt, wie radikal diese Leute sind. Man weiß es nicht.

So oder so aber ist das gewählte Annullierungsverfahren feige und macht eine Äußerung wie die von Chrupalla erst möglich. Anstatt die inhaltliche Auseinandersetzung mit Kalbitz zu suchen, stützt sich Meuthen mit dem Verschweigen der behaupteten HDJ-Mitgliedschaft auf eine Formalie. Mutig wäre es gewesen, ein reguläres und juristisch weniger angreifbares Parteiausschlussverfahren zu wählen. In diesem hätte die AfD bzw. die Meuthen-Fraktion nicht formell, sondern inhaltlich nachweisen müssen, dass Kalbitz "erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt". Das wäre bereits deshalb naheliegend gewesen, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz Kalbitz nicht nur wegen seiner "über Jahrzehnte" bestehenden Verwurzelung im "organisierten Rechtsextremismus", sondern auch aufgrund diverser Äußerungen  als rechtsextremistisch eingestuft hat.

Normal ist daran nichts

Diese Auseinandersetzung aber scheut Meuthen. Warum? Weil die Partei bereits zumindest in Teilen so sehr "verflügelt" ist, wie es der brandenburgische Verfassungsschutz jüngst für den dortigen Landesverband festgestellt hat, dass es aussichtslos sein könnte, Rechtsextremisten wie Kalbitz einen "erheblichen Verstoß" gegen "Grundsätze der Partei" nachzuweisen? Oder hat Meuthen Angst davor, dann auch konsequenterweise ein solches Verfahren gegen den ebenfalls seit März als Rechtsextremisten eingestuften Björn Höcke anstrengen zu müssen - und damit den Zorn von dessen Fangemeinde auf sich zu ziehen?

Nein, auch wenn es offensichtlich so wirken soll, als würde sich hier ein Anständiger vom rechten Rand distanzieren: Der halbherzige Versuch Meuthens, den "Flügel" zu stutzen, ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass nichts an dieser AfD bürgerlich ist. Und normal ist all das, worüber man inzwischen mit Bezug zu ihr redet, schon gar nicht.

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