Rassistisches AfD-Malbuch: "Satire" als Rekrutierungsstrategie

Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung, eine Expertin hält das Berufen auf Satire für eine "durchschaubare Strategie".

Dieser Beitrag wurde am 19.02.2020 auf bento.de veröffentlicht.

Menschen mit Knochen im krausen Haar bedrängen Frauen im Schwimmbad. Männer mit Turban und vollverschleierte Frauen schweben säbelschwingend auf fliegenden Teppichen um den Kölner Dom. Frauen mit Kopftuch stehen in einer großen Gruppe versammelt, umgeben von Massen an Kindern. 

All das sind Darstellungen aus dem Buch "Nordrhein-Westfalen zum Ausmalen", das die AfD-Fraktion aus dem Landtag in NRW herausgegeben hat. Das Malbuch lag auf einem von der Fraktion veranstalteten Bürgerdialog am Montag in Krefeld aus. 

Die Zeichnungen, die mit "Roberto Obscuro" signiert sind, sind voller rassistischer Klischees. Bei der Polizei ist eine Anzeige eingegangen, der Staatsschutz ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung. 

AfD-interne Kritk: "Widerlich"

Über den Fall wurde bundesweit berichtet, jetzt gibt es auch Kritik aus der AfDselbst. Burkhard Schröder, Sprecher der AfD Krefeld, bezeichnet das Malbuch als "vollkommen geschmacklos". Er selbst habe bei dem Bürgerdialog am Montag ein Grußwort gesprochen, sagte er bento, nach eigenen Angaben jedoch erst am nächsten Tag erfahren, was in den ausgelegten Malbüchern abgebildet ist. 

Er hätte "niemals zugelassen, dass die Bücher bei der Veranstaltung ausgelegt werden", wenn er den Inhalt gekannt hätte. Der AfD-Fraktion habe er deutlich gemacht, dass er über die Aktion verärgert sei. Besonders "die Darstellung der Schwarzen mit Knochen im Haar" finde er "widerlich". Als rassistisch will er das Buch jedoch nicht bezeichnen.

NRW-AfD spricht von "Satire für Erwachsene" - und rudert zurück

Die nordrhein-westfälische AfD antwortet nicht auf Nachfragen, sondern schickt eine Pressemitteilung. Die Kritik an ihrem Malbuch sei ein "absurder Angriff auf die Satirefreiheit". Das Buch sei von einigen "Linksextremisten der Antifa" entdeckt worden, die darin einen "angeblichen Skandal" sehen wollten. Es seien keine Schwarzen mit Knochen im Haar abgebildet, sondern "Mitteleuropäerinnen mit Badekappen".

Es handle sich bei dem Buch um einen "Kunstband mit satirischen Skizzen zur Lage des Landes", das an ein "Malbuch für Erwachsene" angelehnt sei. 

Das Malbuch, das bento in digitaler Form vorliegt, soll sich also an Erwachsene richten? Im darin enthaltenen Grußwort der Fraktion klingt das anders. "Liebe Leser, liebe Freunde, liebe Kinder", heißt es da. Ein Bild sage manchmal mehr als tausend Worte und erreiche Betrachter aller Altersstufen und Bevölkerungsschichten. Das Ausmalen ermögliche "spielerische Formen der Aneignung politischer Themen". 

Der Fraktionsvorsitzende Markus Wagner tönt: "Wenn Antifa-Extremisten die Kunstfreiheit angreifen, kann es nur eine Antwort geben: Wir erhöhen die Auflage!"

Nur einen Tag später rudert die Fraktion in einer weiteren Pressemitteilung zurück. Nach genauerer Überprüfung habe man festgestellt, dass einige Skizzen im Malbuch "so definitiv nicht in Ordnung" seien. Dass die Malbücher in dieser angeblich nicht freigegebenen Version auslagen, sei ein "organisatorischer Fehler" gewesen. Der Fraktionsvorsitzende Wagner will nun nicht mehr die Auflage erhöhen, sondern bezeichnet seine Einschätzung vom Vortag als "Fehler".

Humor zur Rekrutierung für rechte Bewegungen

Die ursprünglich gewählte Taktik der AfD ist nicht neu: Das Berufen auf Satire sei eine durchschaubare Strategie der AfD, um sich weniger angreifbar zu machen, sagt Katharina Kleinen-von Königslöw. Die Kommunikationswissenschaftlerin ist Professorin an der Uni Hamburg und Expertin für politische Satire. "Rechte Bewegungen nutzen Satire und politischen Humor, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und ihre Ideen massentauglicher zu machen." Humor werde, vor allem in sozialen Medien, gezielt eingesetzt, um Nachwuchs für rechte Bewegungen zu rekrutieren. Die Strategie sei vor allem in den USA verbreitet, werde jedoch zunehmend auch von der Neuen Rechten in Deutschland genutzt. 

Die Assoziation einiger Nutzer in sozialen Medien, die sich von den Abbildungen an antisemitische Karikaturen aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnert fühlen, kann Katharina nachvollziehen. "Die Art, wie die dargestellten Personen enthumanisiert werden, ähnelt sich durchaus," sagt sie. 

Sie traut es der AfD auch zu, das Buch entgegen ihrer Behauptung explizit für Kinder entwickelt zu haben. In der Bewertung sei das ein wichtiger Unterschied: "Im Gegensatz zu Erwachsenen können Kinder nicht einordnen, was sie da sehen. Sie sind beeinflussbarer." 

"Das muss öffentlich werden, Leute müssen sich mit mir aufregen"

Gesehen haben das Malbuch Jonas Stickelbroeck und Fritz Heyer. Beide sind 20 Jahre alt und seit kurzem Mitglieder der Grünen Jugend Krefeld. 

Im Gespräch mit bento berichten sie, dass sie zunächst auf einer Demonstration gegen den von der AfD veranstalteten Bürgerdialog gewesen seien. Danach hätten sie sich entschlossen, sich auf AfD-Veranstaltung umzusehen und dort einige Info-Materialien – darunter das Malbuch – mitgenommen. 

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Genauer angesehen haben die beiden sich das Buch erst auf dem Heimweg. Und sie waren schockiert. "So plumpen, offenen Rassismus hätte ich selbst der AfD nicht zugetraut," sagt Fritz. Jonas entscheidet sich, Auszüge aus dem Buch bei Twitter zu veröffentlichen. "Ich war in dem Moment so angepisst, dass ich dachte: Das muss öffentlich werden, Leute müssen sich mit mir aufregen," sagt er. 

Dass ihre Veröffentlichung solche Wellen schlägt, hätten die beiden "niemals erwartet". Dass sie damit AfD-Sympathisanten von der Partei abbringen, glauben sie nicht. Ihr Ziel sei es, "die AfD als die rassistische Partei zu zeigen, die sie ist". Sie dürfe mit ihrem Rassismus nicht durchkommen. Eigentlich hätten sie auch vorgehabt, die Partei selbst anzuzeigen. Jemand anderes sei ihnen jedoch zuvorgekommen. 

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