AfD-Bundesparteitag Rechtsaußen in der Coronakrise

AfD-Mitglieder in Kalkar (beim Landesparteitag im Oktober 2019)
Foto: Henning Kaiser / dpaAndere Parteien haben ihre Parteitage verschoben oder digital abgehalten. Bei der AfD aber kommen an diesem Wochenende rund 600 Delegierte mitten in der zweiten Corona-Welle zu einem zweitägigen Bundesparteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar zusammen. Auf dem früheren Gelände eines Atomkraftwerks, das heute für Freizeit- und Messezwecke genutzt wird.
Die Zusammenkunft so vieler Menschen – weitere 170 Plätze sind für die Medien und Organisationsmitarbeiter reserviert – wirkt wie ein trotzig-aggressives Zeichen in der Pandemie.
Das passt zum Kursschwenk der Partei: War die Kritik der AfD an den Schutzmaßnahmen im Frühjahr zunächst noch vorsichtig, wurde sie in den vergangenen Monaten immer harscher. Zuletzt machte die AfD-Fraktion Schlagzeilen, als am Tag einer Corona-Protestdemonstration zwei ihrer Abgeordneten Bloggern aus der rechten Szene Zugang zum Parlament ermöglichten.
Parlamentarier anderer Parteien wurden bedrängt. Das Verhalten der beiden AfD-Abgeordneten Udo Hemmelgarn und Petr Bytron – ihre Büros hatten den Zugang ermöglicht – wurde allerdings anschließend intern auf einer Fraktionssitzung missbilligt. Bis Ende Februar dürfen sie nun nicht mehr im Bundestag für die AfD sprechen, beschloss der Fraktionsvorstand.
Dass die AfD ihren Bundesparteitag in Corona-Zeiten abhält, hat allerdings auch abseits der PR-Effekte satzungsrechtliche Gründe: Noch in diesem Jahr brauchte es eine Zusammenkunft. Medienwirksam hatte die AfD vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) gegen die Pflicht zum Maskentragen während des Parteitags geklagt. Am Freitag lehnte das Gericht den Eilantrag ab. Die Teilnehmer müssten auch bei Einhaltung des Mindestabstands eine Alltagsmaske tragen und seien von der Veranstaltung auszuschließen, wenn sie gegen diese Pflicht verstießen, so das OVG.
Bereits zuvor wurde aus der AfD signalisiert, so von Co-Chef Jörg Meuthen, die Leitung des Parteitags würde »strikt« darauf achten, dass sich die Delegierten an die Regeln zu Abstand und Maskenpflicht hielten. Offenbar rechnete man da schon mit dem Scheitern der Klage.
Partei in der Krise
Die Zusammenkunft in Kalkar am Rhein kommt zu einem Zeitpunkt, da die AfD einmal mehr in der Krise steckt: In den bundesweiten Umfragen schwankt sie zwischen neun und zwölf Prozent. Auch wenn das stabile Umfragewerte sind, scheint der Traum weiterzuwachsen zunächst ausgeträumt. Die Mitgliederzahl stagniert bei rund 35.000, zuletzt gab es zudem schlechte Nachrichten von der Bundestagsverwaltung.
Die Partei muss in drei Fällen – unter anderem wegen einer illegalen Spende im Falle der Co-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel – Strafzahlungen in Höhe von rund 570.000 Euro leisten. Im Falle Weidel will sie nun klagen. Zuvor waren der Partei bereits in der Causa von Co-Parteichef Jörg Meuthen sowie von Guido Reil rund 400.000 Euro an Strafgeldern auferlegt worden.
Die AfD präsentiert sich einmal mehr als zerrissene Partei. Im Mai hatte Meuthen mit einem knappen Bundesvorstandsbeschluss dafür gesorgt, dass der Brandenburger AfD-Politiker Andreas Kalbitz seine Mitgliedschaft verlor. Kalbitz, dem vorgeworfen wurde, bei seinem Eintritt 2013 eine Mitgliedschaft in der verbotenen neonazistischen HDJ verheimlicht zu haben, wird indes indirekt eine Rolle auf dem Parteitag spielen.
Denn für den von ihm geräumten Beisitzerposten im Bundesvorstand muss in Kalkar nachgewählt werden, voraussichtlich am Sonntag. Möglicherweise kommt es an der Stelle zum Machtkampf zwischen den sogenannten Gemäßigten um Meuthen und jenen, die im früheren »Flügel«-Netzwerk um Kalbitz und den Thüringer Landeschef Björn Höcke eine Rolle spielten. Der »Flügel« wurde im Frühjahr offiziell aufgelöst, nachdem er vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden war. Seine Anhänger sind aber größtenteils immer noch in der Partei.
Und dass Höcke zumindest in Thüringen – den Bundesgremien gehört er nicht an – weiter über eine solide Basis verfügt, zeigte nicht zuletzt seine kürzlich erfolgte Wiederwahl als Landesvorsitzender mit 84 Prozent der Stimmen.
In der Parteiführung werden vor allem zwei Namen für den Vorstandsposten gehandelt: Der 43-jährige AfD-Europaparlamentarier und Jurist Maximilian Krah aus Sachsen, der als Vertreter des rechten Flügels gilt. (Lesen Sie hier eine Geschichte über Krah und die Pius-Bruderschaft ).
Und die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar. »Ich werde antreten«, bestätigte die 47-jährige dem SPIEGEL ihre Kandidatur für den Bundesvorstand. Sie wolle, »dass die konstruktiven Kräfte in der Partei zusammenarbeiten«. Cotar hat die Unterstützung des Meuthen-Lagers.
Auch weitere Kandidaturen sind noch möglich, hieß es aus der Führungsspitze. Das frühere Vorstandsmitglied Kay Gottschalk, der zum Meuthen-Lager gezählt wird, dementierte Gerüchte, antreten zu wollen. Gottschalk ist derzeit Vorsitzender des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Wirecard-Affäre, dort habe er »genug zu tun«, sagte er dem SPIEGEL.
Zwei weitere Posten sind in Kalkar ebenfalls nachzuwählen: Carsten Hütter will Bundesschatzmeister werden, das Amt führt er seit dem Frühjahr lediglich kommissarisch. Zusätzlich muss ein stellvertretender Schatzmeister gewählt werden.
Rentenkonzept erstmals in der Geschichte der AfD
Das eigentliche Ziel ist am Samstag die Verabschiedung eines sozialpolitischen Programms, dessen Kern das erste Rentenmodell der AfD seit ihrer Gründung vor sieben Jahren ist.
Der Leitantrag der Bundesprogrammkommission ist ein Kompromisspapier, mit dem die AfD am Umlagesystem im deutschen Rentenwesen festhalten will (Lesen Sie die Details hier). Monatelang war darum gerungen worden. Meuthen hatte einst für einen Ausstieg aus dem bisherigen Rentensystem und einer stärkeren privaten Vorsorge geworben, setzte sich damit aber nicht durch.
In Kalkar dürfte es dennoch eine langwierige Debatte über den Leitantrag geben, im Antragsbuch gibt es alternative Vorschläge und Änderungswünsche.
Unterdessen wabert der Konflikt um Meuthens Kampf gegen Kalbitz weiter. Kalbitz, parteiloser Abgeordneter der Brandenburger Landtagsfraktion, streitet vor Gericht um seine Rückkehr in die Partei, am 22. Januar ist eine Berufungsverhandlung vor dem Kammergericht gegen eine vorherige Entscheidung des Landgerichts Berlin angesetzt. Kalbitz scheiterte im August daran, die AfD-Mitgliedsrechte per Gerichtsbeschluss wiederzuerhalten. Zumindest an einer Stelle im AfD-Antragsbuch spiegelt sich der andauernde Streit wider: Der Parteitag solle »das spalterische Gebaren« von Meuthen und »seinen Parteigängern« missbilligen und feststellen, »dass der Absturz in der Wählergunst kausal genau damit zusammenhängt«, lautet die Forderung von Mitgliedern des rechten Flügels.
Es sei fraglich, ob dieser Antrag überhaupt zur Abstimmung gestellt werde, heißt es hingegen aus Parteikreisen. Und falls doch, dürfte er durchfallen, das hoffen zumindest die Anhänger Meuthens.