AfD-Bundesparteitag Lagerkampf in Kalkar

AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla und Jörg Meuthen in Kalkar: Gespanntes Verhältnis
Foto: Rolf Vennenbernd / dpaAm Ende konnte Jörg Meuthen aufatmen. Knapp war er einem Missbilligungsantrag des rechten Lagers entgangen.
Ein Papier, vor Wochen vom Rechtsaußen Dubravko Mandic und anderen aus seinem Freiburger Kreisverband eingebracht, wurde nach fast zweistündiger Debatte nicht zur Abstimmung gestellt. Rund 53 Prozent der Delegierten in Kalkar votierten für »Nichtbefassung«, knapp 47 Prozent waren dafür.
Es war genau jene zahlenmäßige Frontstellung, die sich an vielen anderen Stellen auf diesem zweitägigen Parteitag zeigte: In der Messehalle in Kalkar präsentierte sich einmal mehr eine gespaltene AfD. Selten zuvor aber traten die Bruchlinien zwischen den sogenannten gemäßigten Kräften um Meuthen und den Streitern aus dem offiziell aufgelösten völkischen »Flügel«–Netzwerk so offen zutage.
AfD schließt mit Sozialpapier programmatische Lücke
Eigentlich war die AfD in Kalkar zusammengekommen, um ein Sozialpapier mit dem darin enthaltenen ersten Rentenkonzept seit der Gründung 2013 zu verabschieden. Das gelang zwar auch, womit die AfD eine programmatische Lücke schloss. Doch das eigentliche Ereignis war weder das noch die Frage, ob die AfD-Delegierten – rund 540 von erwarteten 600 waren gekommen – die Hygiene- und Abstandregeln und die Maskenpflicht einhielten; das geschah laut Ordnungsamt »im Großen und Ganzen«.
Wie ein unerwarteter Granateneinschlag hatte am ersten Tag hingegen die Rede von Meuthen gewirkt, in der er mit dem rechten Teil der Partei abrechnete, indirekt das Wort von der »Corona-Diktatur« des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland kritisierte, Teile der »Querdenken«-Bewegung attackierte und die jüngste Aktion von rechten Bloggern im Bundestag verurteilte, die mithilfe von zwei Bundestagsabgeordneten Zugang erhalten hatten. Das war von der Fraktion missbilligt worden. (Lesern Sie hier die Details). Gauland nannte Meuthens Rede bereits am Samstag »spalterisch«.
Gauland im Krankenhaus, Redeschlacht in der Parteitagshalle
Während Gauland sich am Sonntag wegen eines Sturzes am Morgen im Krankenhaus behandeln lassen musste, tobte in der Halle eine Redeschlacht, wie es sie zwar schon öfters in der AfD, aber zuletzt nicht mit solcher Heftigkeit auf einem Bundesparteitag gegeben hatte.
Seitdem Meuthen im Mai per Vorstandsbeschluss dem AfD-Rechtsaußen Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft hatte entziehen lassen, hatte sich einiges aufgestaut. An den beiden Saalmikrofonen bildeten sich lange Schlangen, live vom Sender Phoenix übertragen. »Die Medien feiern Orgien«, merkte der hessische AfD-Landeschef Robert Lambrou fast schon resigniert an.
Am Sonntag stellte sich Meuthen der Debatte. Er sei gegen »irgendeine Form der Spaltung«, notwendig sei »neue Einheit in Disziplin«. Die jüngste Umfrage von Forsa, wonach die AfD auf sieben Prozent abgesunken ist, sei eine »unmittelbare Auswirkung« dessen, was jüngst im Bundestag geschehen sei. Die AfD müsse eine »bürgerliche Partei« sein mit »bürgerlicher Vernunft, die seriös auftritt«. Wem das nicht gefalle, rief Meuthen, »der möge einen Abwahlantrag zum nächsten Parteitag stellen«.
Die Lager schonten sich nicht, es wurde zum Teil heftig geschrien, zu beobachten waren auf dem Bildschirm auch angespannt wirkende Wortwechsel auf den Vorstandssitzen zwischen den beiden Antipoden an der Parteispitze – Meuthen und Co-Chef Tino Chrupalla:
Ein Delegierter warf Meuthen vor, er habe mit seiner Rede, die »Grundfesten unserer Partei erschüttert«, der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel, er habe »40 bis 50 Prozent« im Saal vor den Kopf gestoßen.
Die Brandenburger Vizelandeschefin Birgit Bessin – sie hatte erfolglos versucht, in einem Änderungsantrag »Unterstellungen« in Meuthens Rede »zurückweisen« zu lassen – wandte sich auch gegen dessen Kritik an den Corona-Demonstrationen: »Wir sind diejenigen, die denen da Draußen eine Stimme geben«.
Der sachsen-anhaltische AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider, der vom Verfassungsschutz zusammen mit Andreas Kalbitz und Björn Höcke beobachtet wird, rief Meuthen zu, wenn »das Führung ist, dann sind Sie ein Führer ins Nichts«.
Der sächsische AfD-Landeschef Jörg Urban meinte, die Rede »spaltet weiter«. Und der Höcke-Mitstreiter Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, polterte: »Herr Doktor Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei.«
Doch die Lage sah in Kalkar nach einem knappen Punktsieg für das Meuthen-Lager aus. Bei den Vorstands-Nachwahlen hatten drei gemäßigte Kandidaten mit allerdings engen Ergebnissen Erfolg, so die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die mit 52 Prozent in einer Stichwahl auf den Beisitzerposten von Kalbitz nachrückte. Es ging in der Halle zeitweise hin und her, es waren Wortgefechte vor laufenden Kameras:
Der NRW-Kommunalpolitiker Heiner Garbe nannte die Aktion rechter Blogger im Bundestag ein »Versagen« von AfD-Co-Fraktionschef Gauland, »nicht Proletarier, sondern Proleten« seien durch das Parlament gelaufen und hätten der AfD »sehr geschadet«.
Der Baden-Württemberger Christoph Högel warnte: »Das bürgerliche Spektrum sind wir dabei zu verlieren, wenn wir Herrn Meuthen hier abschießen«.
An den Mikrofonen ging es zeitweilig zur Sache, als sei die AfD längst in zwei Parteien zerfallen. Ein Delegierter rief, es gebe Kräfte, die wollten aus der AfD eine »NPD 2.0« machen und schrie, er danke Meuthen für dessen »Führungskraft«.
Über vielen Redebeiträgen schwebte die Sorge, das Bundesamt für Verfassungsschutz werde die AfD irgendwann in Gänze beobachten. Kommendes Frühjahr könnte es hierzu eine Entscheidung der Behörde geben. Viele Beamte in der Partei befürchten Konsequenzen.
Der Berliner AfD-Bezirksstadtrat Andreas Otti auf dem Parteitag über den Thüringer AfD-Politiker und Rechtsaußen Björn Höcke
In Kalkar war ein Antrag verabschiedet worden, in dem die AfD ein Bekenntnis zur Verfassungstreue ablegte. Darauf angesprochen räumte Meuthen gegenüber dem Sender Phoenix ein: »Das ist schon eine Grußbotschaft an den Verfassungsschutz.«
Einer trat auf dem Parteitag nicht als Redner auf, war aber da: Thüringens Rechtsaußen Björn Höcke. »Herr Höcke, zeigen Sie sich. Sie sind der Strippenzieher im Hintergrund«, rief der Berliner AfD-Bezirksstadtrat Andreas Otti vom Podium in die Halle.
Doch Höcke ging kein einziges Mal ans Pult, sprach aber mit Medien. Der entscheidende Kampf gegen Meuthens Kurs und wohl auch den Co-Parteichef an der Seite von Tino Chrupalla ist aus seiner Sicht nur verschoben. In der Partei gebe es einen »Dissens«, sagte er in TV-Kameras, man werde sich »irgendwann entscheiden müssen, was der richtige Weg ist«.
Meuthen hatte noch am Morgen im Fernsehen gesagt: »Wer ist Björn Höcke?« Der sei doch ein »reiner Landespolitiker« und solle »den Ball mal ein wenig flacher halten«.
Hinweis der Redaktion: Die Berichterstatter des SPIEGEL verfolgten wegen der Corona-Lage den Parteitag nicht vor Ort, sondern vor dem TV-Bildschirm und im Livestream.