Kampf um AfD-Spitzenkandidatur Das Meuthen-Lager testet seine Kräfte

Kandidaten-Duo Joana Cotar und Joachim Wundrak am Mittwoch im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags: Meuthens Anhänger
Foto:Kay Nietfeld / dpa
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Alice Weidel ist längst weg, aber Tino Chrupalla ist noch ein bisschen länger geblieben. Gerade haben die Fraktionsvorsitzende und der Parteichef ihre gemeinsame Kandidatur als AfD-Spitzenduo vorgestellt, da tauchen die Konkurrenten im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags auf.
Joana Cotar und Joachim Wundrak schütteln Chrupalla kurz die Hand, die Abstandsregeln vergessen sie trotz Masken in diesem Augenblick. Ein kurzer Wortwechsel, ein paar Nettigkeiten, dann treten die 48-jährige Cotar und der 65-jährige Wundrak vor die Medienvertreter.
Es ist der Startschuss für einen kurzen, internen Vorwahlkampf in der AfD – ein Novum in der achtjährigen Geschichte der Partei: Diesmal soll die Basis entscheiden, wer von den beiden Teams die AfD in den Bundestagswahlkampf führen wird. Am 17. Mai beginnt das Auswahlverfahren, am 25. Mai soll das Ergebnis feststehen, so der Plan.
2017 hatte noch ein Bundesparteitag das Spitzenkandidatenduo aufgestellt, damals votierten die Delegierten in Köln für Alexander Gauland und Alice Weidel. Diesmal also sollen es die rund 32.000 Mitglieder richten. Dass zwei Teams antreten, ist Ausdruck der Zerrissenheit einer Partei, deren Lager seit eineinhalb Jahren nicht mehr zueinanderfinden: Cotar und Wundrak stehen für die sogenannten gemäßigten Kräfte um Chrupallas Co-Parteichef Jörg Meuthen. Chrupalla selbst und Weidel setzen auch auf die Unterstützung des scharf rechten, in Teilen auch rechtsextremen Parteiflügels – auch auf die des Thüringer Landeschefs Björn Höcke.

AfD-Politiker Chrupalla und Cotar am 5. Mai 2021 im Foyer des Jakob-Kaiser-Hauses
Foto: Kay Nietfeld / dpaSchon der Weg zur Mitgliederbefragung war Teil des erbitterten internen Machtkampfes. Chrupallas Kontrahent an der AfD-Spitze, Jörg Meuthen, hatte das Verfahren mit einem Vorstandsbeschluss im Frühjahr mehrheitlich durchgesetzt und im März eine Onlineumfrage an der Basis starten lassen, in der sich 87 Prozent (bei allerdings magerer Beteiligung von 7400 gültigen Stimmen von 31.000 angeschriebenen Mitgliedern) für die Kür eines Spitzenduos durch die Basis aussprachen.
Damit durchkreuzte Meuthen frühzeitig die Pläne innerparteilicher Gegner, bereits auf dem Parteitag in Dresden Anfang April für eine vorzeitige Entscheidung zu sorgen – womöglich zugunsten von Weidel und Chrupalla. Noch am Morgen vor Beginn des Parteitags hatte Weidel ihre Kandidatur vorerst zurückgestellt, mit Verweis auf die Entscheidung des Mitgliederverfahrens.
Auch die eigentliche Kandidatenfindung offenbarte die Risse in der Partei, auch wenn Weidel und Chrupalla bei ihrem Auftritt am Mittwoch behaupteten, es gebe »keine Lager«. Am frühen Dienstagnachmittag waren Cotar und Wundrak vorgeprescht – mit einer Erklärung zu ihrer Kandidatur. Zuvor hatte Wundrak, ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr und AfD-Spitzenkandidat in Niedersachsen, mit Chrupalla telefoniert und, wie er es darstellt, bei ihm nachgefragt, ob Chrupalla mit Cotar antreten wolle. Die Antwort sei aber so zu interpretieren gewesen, dass Chrupalla dies nicht vorgehabt hätte, sagte Wundrak am Rande der Pressekonferenz. Daraufhin habe er sich endgültig entschieden, an der Seite Cotars zu kandidieren.

AfD-Kandidatenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla am 5. Mai 2021 in Berlin
Foto: Kay Nietfeld / dpaCotar und Chrupalla wiederum bestätigen, in Kontakt gestanden zu haben. Cotar will Chrupalla demnach kürzlich das Angebot einer Doppelkandidatur unterbreitet haben. »West/Ost, Frau/Mann«, das hätte sie gut gefunden. Was aber »nicht angenommen« worden sei, Chrupalla habe »weder Ja noch Nein« gesagt und sich nicht zurückgemeldet, was sie »sehr bedaure«. Weidel wiederum hatte erst am Dienstagabend in einer ZDF-Sendung bei Markus Lanz ihre Kandidatur öffentlich gemacht, ihre Bereitschaft war zuvor bereits durchgesickert.
Wenig überraschend begrüßte AfD-Chef Meuthen die Kandidatur des Duos Cotar/Wundrak: Sie seien »hochgeeignete Kandidaten«. Leicht wird es für die beiden aber nicht. Ihr strategischer Nachteil: Sie sind in der Öffentlichkeit – und wohl auch in Teilen der AfD-Basis – weitgehend unbekannt. Das räumte Wundrak offen ein: Jetzt gehe es für ihn und Cotar darum, an den »Bekanntheitsgrad der anderen aufzuschließen«.
Weiteres Manko: Beide kommen aus dem Westen, Cotar aus Hessen und Wundrak aus Niedersachsen, anders als Weidel (Baden-Württemberg) und Chrupalla (Sachsen). Chrupalla verwies denn auch auf sein Ergebnis als Spitzenkandidat in Sachsen und darauf, dass er auf die »Unterstützung« der ostdeutschen Landesverbände baue.
So geht es am Ende nicht nur um die AfD-Gesichter für den Bundestagswahlkampf, sondern auch um die Frage, wie stark das Meuthen-Lager ist. Zuletzt mussten der Parteichef und seine Mitstreiter beim Bundesparteitag in Dresden empfindliche Niederlagen bei der Gestaltung des Wahlprogramms hinnehmen, auch gegen das völkisch-nationalistische Lager um Höcke – etwa bei der Forderung nach einem deutschen EU-Austritt und einem strikten Nein zum Familiennachzug für Geflüchtete.
»Wir sind das bessere Angebot für die Partei«, sagte Cotar, ihr gehe es darum, »beide Spektren abzubilden«. Dennoch verteidigte sie erneut die Annullierung der Parteimitgliedschaft des rechtsextremen Andreas Kalbitz, für den Meuthen im Mai durch einen Vorstandsbeschluss unter anderem gegen Weidel und Chrupalla gesorgt hatte. Sie sei daran zwar nicht beteiligt gewesen, aber die »Entscheidung zu Kalbitz war richtig, sie hätte viel früher fallen müssen«.
Wundrak, der 2019 als Oberbürgermeister-Kandidat in Hannover mit 4,6 Prozent scheiterte, wiederum erklärte: »Natürlich trete ich für eine Abgrenzung nach extrem rechts ein.« Für ihn, der als einstiger Offizier die freiheitliche demokratische Grundordnung von Anbeginn verteidigt habe, sei das »selbstverständlich«.
Wie die beiden aber im Falle ihrer Aufstellung als Spitzenduo mit dem extremen Flügel zusammenarbeiten wollen, ist ungewiss. Ob sie im Wahlkampf gemeinsam mit Höcke auftreten würden, wurden sie am Dienstag in Berlin gefragt. Kurzes Schweigen, ein gegenseitiger Blick, dann geben beide die gleichlautende, ausweichende Antwort: »Das wird zu entscheiden sein.«