Fall Kalbitz vor Gericht Raus, rein, raus - und wieder rein in die AfD?

Den Fraktionsvorsitz in Brandenburg hat Andreas Kalbitz nach der Box-Affäre niedergelegt. Nun will er sich vor Gericht wieder in die AfD zurückklagen. Seine Gegner um Parteichef Meuthen rüsten sich für den Fall der Fälle.
Andreas Kalbitz: einst in der AfD, derzeit parteilos

Andreas Kalbitz: einst in der AfD, derzeit parteilos

Foto: Soeren Stache/ dpa

Vor dem Landgericht in Berlin-Mitte soll die turbulente Woche noch ein versöhnliches Ende nehmen, so zumindest stellt es sich Andreas Kalbitz vor. Dabei ist noch offen, ob die 43. Zivilkammer an diesem Tag überhaupt ein Urteil fällt. Kalbitz, einst Brandenburger AfD-Landes- und Fraktionschef und Bundesvorstandsmitglied, seit Kurzem nur noch parteiloses Mitglied in seiner Fraktion in Potsdamer Landtag, will mit einer einstweiligen Verfügung per Eilantrag seine Mitgliedsrechte wiedererlangen.

Diese hatte der AfD-Bundesvorstand im Mai auf Betreiben von Co-Chef Jörg Meuthen annulliert. Vorübergehend klagte sich Kalbitz wieder in die Partei ein, bis das AfD-Bundesschiedsgericht seinen Rauswurf Ende Juli bestätigte. Dagegen geht er nun erneut juristisch vor. 

Das Interesse der Medien an dem Fall ist gewaltig. So groß, dass das Gericht kurzerhand einen weiteren Raum zur Verfügung stellt, in den zumindest der Ton der mündlichen Verhandlung am Vormittag übertragen wird. Wegen der Corona-Einschränkungen dürfen nur eine bestimmte Anzahl von Medienvertretern und Besuchern im eigentlichen Sitzungssaal 0208/0209 mit dabei sein.

Im AfD-Bundesvorstand sind die Kalbitz-Gegner zuversichtlich, dass der einstige Kollege diesmal vor Gericht unterliegen wird. Sollte Kalbitz - bis zu einer von ihm angestrebten Entscheidung im Hauptsacheverfahren - diesmal jedoch wieder einmal seine Mitgliedschaft zurückerhalten, hätten seine Widersacher ein Problem. Auf einen Schlag wäre Kalbitz wieder Bundesvorstandsmitglied und Brandenburger Landeschef. Auf den Fraktionsvorsitz käme er hingegen nicht automatisch zurück, darauf hatte er diese Woche verzichtet.

Und so rüsten sich die Kalbitz-Gegner für den Fall der Fälle: Sollte das Gericht auch diesmal Kalbitz einstweiligen Rechtsschutz gewähren, will man dagegen Berufung einlegen. Zudem soll der AfD-Bundesvorstand zügig über mögliche Ordnungsmaßnahmen entschieden. Von einer Ämtersperre bis zur Einleitung eines förmlichen Parteiausschlussverfahrens ist die Rede. Es habe sich ja einiges angesammelt, heißt es mit Blick auf den jüngsten Wirbel um einen mutmaßlichen Boxhieb Kalbitz' gegen einen eigentlich engen Mitstreiter.

Diese Woche war bekannt geworden, dass der derzeit amtierende Brandenburger AfD-Fraktionschef Dennis Hohloch mit einem Milzriss in einem Berliner Krankenhaus liegt - für die Verletzung soll Andreas Kalbitz verantwortlich sein. Kalbitz selbst nannte es "eine bedauerliche Sache", die sich "völlig aufklären" werde. Derzeit ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung. (Lesen Sie hier weitere Details.)

Kalbitz' Position scheint im ultrarechten Lager der AfD nicht mehr unangefochten. Einst war er gemeinsam mit dem Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke die Führungsfigur in dem vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften, mittlerweile offiziell aufgelösten "Flügel"-Netzwerk. Nun könnte die Box-Affäre ihn selbst bei einstigen Unterstützern Sympathien kosten. Das zumindest hoffen seine Gegner. "Kalbitz ist auch in Brandenburg politisch tot", heißt es aus dem Meuthen-Lager der AfD.

Für Kalbitz gibt es in diesen Tagen kaum eine gute Nachricht. So ermittelt seit Anfang August die Berliner Staatsanwaltschaft gegen ihn - wegen des Verdachts der falschen Versicherung an Eides statt.

Dabei geht es um zwei eidesstattliche Erklärungen, in denen Kalbitz im Juni vor dem Landgericht Berlin versichert hatte, nicht Mitglied der mittlerweile verbotenen rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend" beziehungsweise deren Vorläuferorganisation gewesen zu sein. Der AfD-Bundesvorstand hatte ihm im Mai vorgehalten, beim AfD-Eintritt 2013 die Mitgliedschaft in der HDJ und bei den Republikanern verschwiegen zu haben. In einem Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz wird die HDJ-Mitgliedschaft einer "Familie Andreas Kalbitz" unter der Nummer "01330" angegeben. Auch hatte Kalbitz einst nachweislich zwei Sommerlager - der HDJ und dessen Vorläufer - besucht.

Schiedsgerichtsurteil der AfD liegt nun schriftlich vor

Das mittlerweile vorliegende 49-seitige Urteil des AfD-Bundesschiedsgerichts (es fiel mit acht gegen eine Stimme) hat das Problem, dass den Parteirichtern kein konkreter Beleg für die HDJ-Mitgliedschaft vorlag, mit einer Formulierung gelöst: Für die "Annahme der 'Mitgliedschaft' kann es reichen, wenn ein Bewerber einer extremistischen Organisation angehört(e) und zugunsten deren Ziele aktiv tätig gewesen wäre, wobei eine erst- oder einmalige Tätigkeit bereits ausreichend sein kann". Die vormalige Mitgliedschaft "wäre also auch für den Antragsteller anzeigepflichtig" gewesen beim Aufnahmeantrag in die AfD. Es spreche "einiges dafür, dass der Antragsteller innerhalb der HDJ zumindest wie ein Mitglied behandelt wurde", heißt es im Schriftsatz der Parteirichter, der dem SPIEGEL vorliegt.

Seine Gegner glauben, um Kalbitz werde es einsamer. So verweisen sie etwa darauf, dass in dieser Woche einer seiner einstigen "Flügel"-Mitstreiter, der AfD-Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann, vom sachsen-anhaltischen AfD-Landesschiedsgericht aus der Partei ausgeschlossen wurde. Zwar kann Pasemann dagegen in Berufung gehen, dennoch sei es ein Zeichen dafür, dass der "Flügel" unter Druck stehe, heißt es. Pasemann hatte zuletzt in einer internen Chatgruppe den Boxhieb als "Märchen von der handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Hohloch und Kalbitz" bezeichnet.

Auffallend ist zumindest: Höcke äußerte sich zu Kalbitz' mutmaßlicher Boxeinlage bisher nicht öffentlich. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sprach mittlerweile mit dem mutmaßlichen Opfer Hohloch und sagte danach, was da geschehen sei, sei "unverzeihlich". Doch hob Gauland hervor, mit seiner Unterstützung für Kalbitz im Streit über dessen Mitgliedschaft in der Partei habe seine Aussage nichts zu tun. "Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe", so Gauland.

Der Boxhieb, die Ermittlungen dazu und wegen einer mutmaßlichen Falschaussage, all das wird am Freitag vor dem Landgericht keine Rolle spielen. Hier geht es allein um die Frage, ob Kalbitz per Eilantrag - bis zum Hauptsacheverfahren - wieder seine Parteirechte erhält. Ganz gleich, ob das Gericht am Freitag bereits eine Entscheidung trifft: Die AfD wird so schnell nicht zur Ruhe kommen.  

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