Verfassungsschutz Bundestagsexperten zweifeln an öffentlicher Verkündung des AfD-Prüffalls

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD öffentlich zum "Prüffall" erklärt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat jedoch Zweifel, ob dies mit der Gesetzeslage vereinbar ist.
Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln

Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln

Foto: Oliver Berg/ dpa

Für Stephan Brandner ist die Sache klar. Die öffentliche Bezeichnung der AfD als "Prüffall" durch den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz sei "ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien und somit schlicht und einfach verfassungswidrig."

Brandner ist AfD-Bundestagsabgeordneter und Justiziar seiner Fraktion. In diesen Funktionen hatte er kürzlich an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags eine Anfrage gestellt, ob es für die Bezeichnung "Prüffall" eine gesetzliche Grundlage gibt. Hintergrund war die öffentliche Einstufung der AfD als "Prüffall" seiner Partei durch den Verfassungsschutz.

Mitte Januar hatte der neue Präsident des Amtes, Thomas Haldenwang, in einer Pressekonferenz in Berlin die AfD zum "Prüffall" erklärt, zudem die "Junge Alternative" (JA) und das parteinterne Netzwerk "Der Flügel" um den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke zu "Verdachtsfällen". Letzteres ermöglicht nach der Gesetzeslage auch eine Beobachtung von JA und "Flügel" auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

Nun hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags - ihn kann jeder Abgeordnete des Parlaments anfragen und um Stellungnahmen zu strittigen Fragen bitten - zumindest Zweifel an der öffentlich vorgenommenen Einstufung geäußert. Die Ausarbeitung sei eine "juristische Ohrfeige" für Haldenwang, sagt Brandner, der auch Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags ist. Haldenwang wollte oder musste auf Geheiß seiner Vorgesetzten "mit Dreck auf die AfD werfen", behauptet der AfD-Abgeordnete aus Thüringen, der zum "Flügel"-Netzwerk um Höcke gezählt wird.

Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes

Tatsächlich kommt der Wissenschaftliche Dienst in einer zehn Seiten umfassenden Ausarbeitung der AfD-Interpretation in Teilen und in vorsichtigem Ton entgegen. Es spreche insgesamt "viel dagegen", dass das entsprechende Bundes-Verfassungsschutzgesetz "eine ausreichende gesetzliche Grundlage dafür bietet, die Öffentlichkeit über 'Prüffälle' zu informieren". In der Bewertung heißt es, die Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Tendenzen sei grundsätzlich zwar ein legitimes Ziel, auch sei die Mitteilung über den Beobachtungsstatus einer Partei geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Dabei sei aber stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der Eingriff sei "wohl nicht erforderlich", wenn "ein milderes Mittel ersichtlich" sei.

Thomas Haldenwang auf der Pressekonferenz in Berlin (15. Januar 2019)

Thomas Haldenwang auf der Pressekonferenz in Berlin (15. Januar 2019)

Foto: ALEXANDER BECHER/ EPA-EFE/ REX

Anders, so der Dienst des Bundestags, verhalte es sich mit "Verdachtsfällen", die in der Neufassung des Bundesverfassungsschutz-Gesetzes von 2015 geregelt seien. Sollten "tatsächliche Anhaltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen "hinreichend gewichtig" sein, könne das Bundesamt in diesem Falle das betreffende Beobachtungsobjekt nicht nur "auf Grundlage offener Quellen beobachten", sondern "darüber hinaus die Öffentlichkeit informieren".

Die Rechtsprechung habe "eine öffentliche Bewertung von Beobachtungsobjekten bislang nur in Verdachtsfällen als verhältnismäßig angesehen, nicht aber in Fällen mit weniger Anhaltspunkten", heißt es in der Ausarbeitung, die auf der Homepage des Bundestags  nachzulesen ist.

"Wirkung in den Medien"

Der Fachbereich "Verfassung und Verwaltung" des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verweist in seinem Papier darauf, dass die bisherige Rechtsprechung hervorgehoben habe, dass Berichte des Verfassungsschutzes über Beobachtungen von Parteien in die "Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien" eingriffen.

AfD-Politiker Brandner (rechts, stehend) im Bundestag

AfD-Politiker Brandner (rechts, stehend) im Bundestag

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Die Bezeichnung als "Prüffall" habe zwar eine geringere negative Wirkung als die Bezeichnung "Verdachtsfall" oder "verfassungsfeindlich", heißt es. "Gleichwohl ist ein 'Prüffall' schon der Definition nach etwas 'Verdächtigeres' als eine 'normale' nicht zu prüfende Partei", so der Wissenschaftliche Dienst. Und: Die Einstufung als "Prüffall" entfalte ihre Wirkung in den Medien und der öffentlichen Diskussion vor allem als Schlagwort. "Diese Wirkung können zusätzliche Erläuterungen nicht ausreichend neutralisieren", heißt es weiter, denn "aufgrund ihrer vergleichsweisen Komplexität verbreiten sich Erläuterungen weniger leicht als ein Schlagwort". Ein Schaden lasse sich nur vollständig verhindern, "wenn es zu der stigmatisierenden Äußerung im ersten Schritt erst gar nicht kommt".

Ungeachtet der Frage nach der Verhältnismäßigkeit bedarf nach Ansicht des Dienstes der Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien immer dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn er durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erfolge. Für die "öffentliche Bezeichnung" einer politischen Partei als "Prüffall" enthalte das Verfassungsschutz-Gesetz in seiner jetzigen Fassung "wohl keine gesetzliche Ermächtigung", heißt es in der -gleichwohl - vorsichtigen und abschließenden Beurteilung des Wissenschaftlichen Dienstes.

Die Einstufung der AfD als "Prüffall" war bereits Mitte Januar, kurz vor der Pressekonferenz, von Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang und weiteren Mitarbeitern des Amtes in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten thematisiert worden. Die "rechtliche Problematik" sei durchaus bekannt, hieß es damals von Amtsvertretern. Mit der Einstufung tue man der Partei aber möglicherweise sogar "einen Gefallen" - weil sie nunmehr den Verdacht extremistischer Bestrebungen ausräumen könne.

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