Programmpläne Die AfD-Positionen zum Islam im Faktencheck

AfD-Delegierte in Schleswig-Holstein
Foto: Axel Heimken/ dpaNoch bevor die AfD sich Ende April ihr erstes Grundsatzprogramm in Stuttgart gibt, hat der Entwurf des Bundesvorstands zum Islam einen Sturm der Entrüstung bei muslimischen Verbänden und politischen Parteien ausgelöst. Die AfD , so EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), sei eine "Schande für Deutschland".
AfD-Vorstandssprecherin Frauke Petry wiederum verteidigt die Pläne. Die AfD habe nichts dagegen, wenn Muslime ihrem Glauben nachgingen. "Das politische Verständnis, das in Moscheen in Deutschland gepredigt wird, entspricht jedoch nicht dem Grundgesetz", so Petry. Ihre Parteikollegen Beatrix von Storch und Alexander Gauland hatten am Wochenende den politischen Islam als Fremdkörper bezeichnet, der mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.
Doch stimmen die Behauptungen, die die AfD in ihrem Programmentwurf aufstellt? SPIEGEL ONLINE hat wesentliche Aussagen einem Faktencheck unterzogen.
- Die AfD schreibt im Programmentwurf, der "Islam gehört nicht zu Deutschland". Stimmt das?
Die Partei greift einen Satz von Bundespräsident Christian Wulff (CDU) auf, den dieser am 3. Oktober 2010 geäußert hatte - allerdings im positiven Sinne. Der Islam gehöre auch zu Deutschland - Wulffs Diktum wurde von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel übernommen. Die AfD-Aussage ist eine Attacke gegen Merkels Sicht auf Deutschland, zugleich aber auch Leitmotiv für den Programmantrag.
Tatsächlich gehört der Islam mittlerweile zum Alltag in Deutschland, spätestens seit der Aufnahme türkischer Gastarbeiter in den Sechzigerjahren. Die jüngste Aufnahme von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern (vor allem aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan) hat ihre Zahl noch einmal erhöht. Genaue Daten gibt es nicht, statistisch valide Zahlen werden nur für die Mitglieder christlicher Großkirchen erfasst - unter anderem wegen der Kirchensteuer.
Nach älteren Schätzungen leben zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime in Deutschland, das sind zwischen 4,6 rund 5,2 Prozent der Gesamtbevölkerung von rund 81 Millionen in Deutschland. Insgesamt leben etwa 2,5 Millionen Muslime mit türkischem Hintergrund hierzulande. Mit deutlichem Abstand folgen 550.000 Muslime aus Südosteuropa und 330.000 Muslime aus dem Nahen Osten. Der Anteil aus dem Nahen Osten dürfte wegen der Flüchtlingsaufnahme stark gestiegen sein, noch liegen keine neue Zahlen vor. Rund 74 Prozent der Muslime in Deutschland sind Sunniten, rund zwölf Prozent Aleviten, etwas mehr als sieben Prozent Schiiten, der Rest verteilt sich auf kleinere muslimische Strömungen.
- Für die AfD ist ein "orthodoxer Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als allgemeingültige Religion erhebt", mit der Rechtsordnung in Deutschland nicht vereinbar.
Der Begriff "orthodox" ist schwammig. Versteht man darunter radikale Strömungen des Islam, die den Koran wörtlich auslegen und als einziges maßgebliches Regelwerk für das Zusammenleben ansehen, so geht das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell von einem "islamistischen Personenpotenzial" von 43.890 Personen in Deutschland aus .
Dazu zählten 8650 Salafisten, eine besonders strenggläubige Richtung des Islam. Es ist eine sehr kleine Minderheit, deren Zahl allerdings steigt - nach Angaben des Bundesamts sei ihre Zahl mittlerweile doppelt so hoch wie 2012. Zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zählt die Behörde in neuesten Zahlen 1100 Menschen. 800 Deutsche haben sich laut Verfassungsschutz dem "Islamischen Staat" angeschlossen, ein Drittel der Personen sei aus den Kampfgebieten des Nahen Ostens oder Anrainerstaaten wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
- Ein zentraler Punkt in dem AfD-Programmentwurf ist die Ablehnung von Minarett und Muezzinruf. Beide stünden "im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen der Moderne praktizieren".
Eine Behauptung, die bereits den historischen Tatsachen widerspricht. Eine der ältesten deutschen Moscheen - die Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf - existiert seit 1925 mit ihren sichtbaren Minaretten. Exakte Zahlen über Moscheen sind nicht zu erhalten, da diese von keinem Amt erfasst werden und es zahlreiche "Hinterhofmoscheen" gibt. Nach den Zahlen des Zentralinstituts Islam-Archiv gab es 2008 rund 2800 Moscheen in Deutschland. Wie viele im Bau oder geplant sind, auch darüber gibt es keine neueren Schätzungen. Die letzte liegt fast acht Jahre zurück - rund 120 sollen es damals gewesen sein.
Der Muezzinruf wiederum ist nicht verboten. Klagen gegen ihn gibt es wenige, im Gegensatz zu dem Eindruck, den die AfD mit ihrer Ablehnung zu vermitteln versucht. In vielen Fällen verzichten muslimische Gemeinden sogar darauf - um keinen Ärger zu erregen. Für bundesweite Aufmerksamkeit sorgt seit Längerem eine Klage aus der nordrhein-westfälischen Stadt Oer-Erkenschwick. Dort hatte im Herbst 2014 die Stadt den Betrieb eines Lautsprechers, der von der türkisch-islamischen Gemeinde jeweils freitagmittags für einen öffentlichen Gebetsruf genutzt wird, genehmigt. Gegen die Lautsprechergenehmigung wurde von einem Bürger Widerspruch eingelegt, den die Stadt zurückwies. 2015 reichten zwei Bürger vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage ein wegen Lärmbelästigungen durch den Lautsprecher. Außerdem fühlen sich die Kläger in ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit durch den offensiv für den Islam werbenden Gebetsruf beeinträchtigt. Das Verwaltungsgericht hat bislang noch nicht über den Fall entschieden.
In der Stadt Oberhausen läuft derzeit eine Onlinepetition gegen den Muezzinruf eines noch nicht vollendeten Moscheeneubaus. Gegner behaupten, mit dem Ruf werde "der Anspruch Allahs über die Gesellschaft betont, die sich Allah unterordnen soll". Bekir Alboga, Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union, widersprach in der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung": Man habe niemals gesagt, dass unser Gott größer sei als die anderen Vorstellungen von Gott. Er übersetzt den Gebetsruf so: "Groß ist Gott. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt. Ich bezeuge, dass Mohamed Gottes Gesandter ist. Kommt her zum Gebet. Kommt her zum Frieden. Groß ist Gott. Es gibt keine Gottheit außer Gott."

Niqab tragende Französin vor einem Gericht (2012)
Foto: © Charles Platiau / Reuters/ REUTERS- Die AfD fordert ein allgemeines Verbot der "Vollverschleierung durch Burka und Niqab in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst".
Ähnliche Vorschläge haben auch vor geraumer Zeit die Unionspolitikerinnen Julia Klöckner (CDU) und Ilse Aigner (CSU) gemacht. In Deutschland wäre ein generelles Verbot laut einem vor vier Jahren veröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verfassungswidrig. Am 25. April 2014 untersagte jedoch das Bayerische Verwaltungsgericht München das Tragen des Gesichtschleiers in der Schule. Belgien, Spanien, Frankreich, Niederlande und der Kanton Tessin in Schweiz haben ein Verschleierungsverbot verabschiedet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat ein Verbot von Burka und Niqab in Frankreich für rechtmäßig erklärt .
- Die AfD will zudem, dass im öffentlichen Dienst kein Kopftuch getragen wird. In "Bildungseinrichtungen" gelte das Verbot für Lehrerinnen und Schülerinnen "in Anlehnung an das französische Modell".
Gemeint ist damit die strikte Trennung, die in Frankreich zwischen Staat und Religion herrscht. Dort dürfen weder an staatlichen Einrichtungen Bedienstete noch Schüler und Schülerinnen religiöse Symbole tragen: Weder Kreuz noch Kopftuch oder Kippa, sie dürfen noch nicht einmal nach ihrer Konfession befragt werden.
Der Streit, ob an deutschen Schulen Lehrerinnen ein Kopftuch tragen dürfen, reicht ins Jahr 2003 zurück. Damals klagte die Lehrerinnenanwärterin Fereshta Ludin vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Kern geht es bei dem Streit darum, ob die Religionsfreiheit oder die Neutralität des Staates höher zu bewerten ist. Die Richter in Karlsruhe urteilten damals, dass einer Lehrerin das Tragen des Kopftuches nicht verboten werden könne, solange es kein entsprechendes Gesetz auf Landesebene gebe. Bundesländer entschieden fortan für sich - manche Landesparlamente votierten für ein Verbot. 2015 urteilte das Bundesverfassungsgericht erneut - ein pauschales Kopftuchverbot ist demnach nicht rechtmäßig . Untersagt werden darf Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs nur im konkreten Fall, wenn der Schulfrieden dadurch gefährdet ist.

Deutsche christliche und muslimische Pfadfinder auf einem Zeltplatz in Rhens
Foto: Theodor Barth/DER SPIEGELDas Berliner Arbeitsgericht hat gerade erst die Klage einer Lehrerin auf Entschädigung abgelehnt. Ihre Bewerbung als Grundschullehrerin im Frühjahr 2015 war vom Land Berlin mit Verweis auf ihr Kopftuch abgelehnt worden. Im öffentlichen Dienst in Berlin ist nach dem Neutralitätsgesetz das Tragen deutlich sichtbarer religiöser Symbole wie des Kopftuchs, der jüdischen Kippa oder dem christlichen Kreuz verboten. Schülerinnen hingegen dürfen das Kopftuch an vielen Schulen in Deutschland tragen - im Gegensatz zu Frankreich.
Insgesamt trägt die Mehrheit der muslimischen Frauen in Deutschland kein Kopftuch, wie aus der umfangreichen Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" hervorgeht. Rund 70 Prozent der Befragten erklärten, es nie zu tragen. Ein Viertel trägt es immer in der Öffentlichkeit.
- Die AfD verlangt, dass der Bau und Betrieb von Moscheen durch islamische Staaten oder ausländische Mittelsmänner und Geldgeber unterbunden werden soll. Islamische Staaten wollten dadurch den Islam in Deutschland "verbreiten und ihre Macht vergrößern."
Moscheen, Moscheevereine und Verbände werden grundsätzlich nicht mit deutschen Steuergeldern finanziert. Es gibt gleichwohl immer wieder staatliche Zuschüsse und Subventionen bei Zubauten von "interkulturellen Begegnungszentren" in oder an Moscheen, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums hervorgeht.
In der Kritik steht immer wieder die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (Ditib), die als islamischer Dachverband versteht und nach eigenen Angaben zwischen 765 und 900 Moscheevereine - und 130.000 Mitglieder - repräsentiert. Sie ist somit größter Dachverband in Deutschland. Die Moscheeverbände überschreiben Ditib oft ihre Immobilien und begeben sich so in ihre Abhängigkeit. Die Ditib hat nach Angaben der Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus mehr als 800 Imame und Hodschas aus der Türkei nach Deutschland geschickt, die vom türkischen Staat finanziert werden.
Für Aufregung sorgte jüngst eine Meldung, wonach Saudi-Arabien Gelder für den Bau von 200 Moscheen in Deutschland geben wollten. Dies wurde von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel kritisiert, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verlangte gar eine Bobachtung durch den Verfassungsschutz. Die saudi-arabische Botschaft in Deutschland hat solche Spendenpläne jedoch vehement dementiert .