

Streit über Zitat zu AfD Seehofer hat recht - auch wenn er es nicht bekommen wird


Minister Seehofer
Foto: Maja Hitij/ Getty ImagesWer vor dem Bundesverfassungsgericht klagt, darf seine Sache selbstbewusst vertreten. Selten aber hat jemand dem Prozessgegner und der Richterbank so unverhohlen gedroht wie am Dienstag dieser Woche der Prozessbevollmächtigte der AfD, Ulrich Vosgerau.
Bundesinnenminister Horst Seehofer, so der Vorwurf der AfD, habe durch ein im September 2018 auf der Homepage seines Ministeriums veröffentlichtes Interview ihr Recht auf Chancengleichheit verletzt: Weil er darin verbale Angriffe der AfD-Bundestagsfraktion auf den Bundespräsidenten als "staatszersetzend" bezeichnet hatte.
Die Verfassungsrichter, so Vosgerau deutlich, sollten sich hüten, die "hergebrachten Maßstäbe aufzuweichen", und so ein Tor "zur Bekämpfung Andersdenkender mit staatlichen Mitteln zu öffnen". Denn in einer Demokratie wechselten sich Regierungen ab, so Vosgerau, "und auch meine Mandantin wird früher oder später einmal den Bundesinnenminister stellen" - vielleicht sei es schon "in fünf Jahren soweit". Vosgerau weiter: "Ein Bundesinnenminster Brandner oder Curio" würden sich dann "vielleicht als noch kreativer erweisen als ein Bundesinnenminister Seehofer".
Ein Urteil steht noch aus, doch es sieht leider so aus, als würde das Gericht dieser AfD-Argumentation folgen.
Schon eingangs hatte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle den Fall "von seiner rechtlichen Dimension" her als "überschaubar" bezeichnet. Denn tatsächlich haben die Verfassungsrichter in den vergangenen Jahren gleich mehrfach die Grenzen abgesteckt, innerhalb derer sich Vertreter von Staatsorganen kritisch gegenüber anderen Parteien äußern dürfen.
Dabei böte gerade dieser Fall nun Anlass, diese Maßstäbe, oder zumindest ihre Anwendung, zu überdenken.
Zum Hintergrund:
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa hatte Seehofer im September 2018 unter Bezug auf die AfD wörtlich erklärt: "Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausendmal sagen, sie sind Demokraten."
Und bezogen auf eine Debatte im Bundestag vom selben Tag, in dem ein AfD-Politiker gesagt hatte, man müsse das "Amt des Bundespräsidenten" vor den "Fehlgriffen Frank-Walter Steinmeiers schützen", hatte Seehofer gewarnt: "Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen", solche Angriffe seien "staatszersetzend".
Wenige Tage später wurde dieses Interview dann auf die Seite des Innenministeriums gestellt. Und damit, wie die AfD meint, in unzulässiger Weise staatliche Ressourcen zur Verbreitung einer parteipolitischen Aussage genutzt.
Dieser Vorwurf ist, wenn man der bisherigen Rechtsprechung folgt, nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen.
Bereits im Februar 2018 hatte Voßkuhles Senat einen ganz ähnlichen Fall zugunsten der AfD entschieden: Das aus dem "Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien" fließende "Neutralitätsgebot für Regierungsmitglieder" hindere Mitglieder der Bundesregierung daran, "im Rahmen der Ausübung der Regierungstätigkeit einseitig Partei zu ergreifen oder bei der Teilnahme am allgemeinen politischen Wettbewerb auf die spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramts zurückzugreifen".
Die Äußerung der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), Thüringens AfD-Vorsitzender Björn Höcke und andere Vertreter der Partei "leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub", war nicht an sich das Problem, sondern dass Wanka dies mittels einer auf der Homepage des Ministeriums veröffentlichten Pressemitteilung tat.
Parteiverbot - ein eher stumpfes Schwert
Die Vertreter des Innenministers hatten nun in Karlsruhe deshalb von Anfang an einen schweren Stand, als sie klarzumachen versuchten, dass Seehofer sich doch nur auf Fragen von Journalisten geäußert habe – denn unzweifelhaft war die Veröffentlichung der Aussagen auch auf der Seite des Ministeriums, und damit, wie bei Wanka, mit staatlichen Mitteln erfolgt.
Seehofer sei "eine Person, die viele Rollen gleichzeitig ausfüllt", versuchte es der Bonner Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz mit einem weiteren Argument, und an dieser Stelle habe er sich zulässigerweise als Parteipolitiker geäußert. Der in dem Verfahren als Berichterstatter zuständige Verfassungsrichter Peter Müller, früherer CDU-Ministerpräsident des Saarlandes, ließ das nicht gelten: Das Interview sei "ausdrücklich als Interview mit dem Bundesinnenminister" gekennzeichnet, und "auf einem Weg verbreitet, der politischen Wettbewerbern nicht zur Verfügung steht". Und Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle erklärte, man wolle durchaus "Politiker aus Fleisch und Blut", aber Seehofer hätte doch das Interview stattdessen einfach auf der Homepage seiner Partei veröffentlichen können.
Mit diesem formalen Argument, so scheint es, dürfte die AfD recht bekommen. Und Seehofer, wie zuvor Wanka, einen Maulkorb.
Praktisch keine Rolle spielte in der Verhandlung der Inhalt dessen, was Seehofer gesagt hatte. Natürlich ist es bequem für Verfassungsrichter, sich auf rein formale Aspekte zu beschränken.
Aber ist das auch richtig?
Denn so ohne Weiteres stehen auch einem Bundesinnenminister andere Kanäle nicht zur Verfügung: 2018 war er zwar noch CSU-Vorsitzender, heute aber ist er es nicht mehr; seine Partei wird sich von ihrem Ex-Vorsitzenden womöglich nicht ohne Weiteres vorschreiben lassen, was sie auf ihrer Homepage zu veröffentlichen hat. Das Interview selbst wurde zwar von dpa verbreitet – von einem Abdruck in voller Länge ist indes nichts bekannt.
Jedenfalls greift das Verfassungsgericht, wenn es bei dieser formalen Linie bleibt, womöglich zu kurz. Die Maßstäbe, die die Verfassungsrichter entwickelt haben, mögen passen für die normale politische Auseinandersetzung. Was aber ist, wenn es wirklich eine Partei darauf angelegt haben sollte, die Axt an das demokratische System der Bundesrepublik zu legen? Dass das Instrument des Parteienverbots ein eher stumpfes Schwert ist, haben die Verfassungsrichter unlängst selbst bestätigt - weil es nicht angewendet werden darf, solange von einer Partei keine Gefahr ausgeht, und weil es zu spät kommen dürfte, wenn die Gefahr da ist.
Was auch zu diskutieren wäre
Wenn der Staat des Grundgesetzes eine wehrhafte Demokratie ist, ist es dann nicht die Pflicht seiner Staatsorgane, klar vor solchen Gefahren zu warnen, und die Gefährder auch beim Namen zu nennen?
Es wäre darüber zu diskutieren, ob Seehofer richtig liegt, wenn er die AfD als "staatszersetzend" bezeichnet und vor ihr warnt. Vieles spricht dafür, dass er recht hat. Wenn er aber recht hat, dann sollte es keine Rolle spielen, ob er auf Twitter vor der AfD warnt, auf der Homepage der CSU oder auf der Seite seines Ministeriums.
Die Stadt Eisenach bezeichnete in der Begründung eines Demonstrationsverbots den AfD-Frontmann Björn Höcke als "Faschisten" – und das Verwaltungsgericht Meiningen hielt dies für zulässig. Sollte die Stadt diese Begründung nicht auf ihrer Homepage veröffentlichen dürfen?
Der Bundesinnenminister gilt als Verfassungsminister, ihm unterstehen die Verfassungsschutzbehörden. Wem, wenn nicht ihm, sollte es zustehen, vor staatszersetzenden Tendenzen zu warnen? Und zwar auch und gerade auf der Internetseite seines Ministeriums?
Sollte die AfD indes eines Tages wirklich den Bundesinnenminister stellen, dürfte, jedenfalls wenn man nach den Aussagen mancher ihrer Vertreter geht, die Frage, was dieser in einem auf der Homepage seines Ministeriums veröffentlichten Interview sagt, vermutlich eine der geringsten Sorgen ihrer politischen Gegner sein.