Trotz Vormarsch der Taliban Laschet will weiter nach Afghanistan abschieben – Kritik aus der SPD

Abgeschobene Afghanen bei der Ankunft in Kabul (Archivfoto): Kanzlerkandidat Laschet will weiter »konsequent« abschieben – trotz der Gefahren im Land
Foto: Michael Kappeler / picture alliance / dpaDie internationalen Truppen verlassen Afghanistan und die radikalislamischen Taliban gewinnen in dem Land zunehmend wieder an Boden. In Deutschland befeuert das die Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan. CDU-Chef Armin Laschet hat sich dafür ausgesprochen, Straffällige auch weiterhin in das Land zurückzuschicken.
»Wir beobachten die Situation in Afghanistan sehr genau. Den Vormarsch der Taliban und die Folgen für die Bevölkerung können wir nicht ignorieren. Die Lage erfordert daher eine fortlaufende Bewertung und sorgsames Vorgehen bei Rückführungen. Aber unsere Linie bleibt klar: Wer in Deutschland straffällig wird, hat sein Gastrecht verwirkt«, sagte der Unions-Kanzlerkandidat der »Bild«. »Der Grundsatz »null Toleranz gegenüber Kriminellen« erlaubt keine Ausnahmen. Straftäter müssen weiter konsequent abgeschoben werden, auch nach Afghanistan.«
Am Wochenende hatte sich auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ein Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen. »Wir verhandeln gerade mit Afghanistan, damit wir Straftäter weiterhin dorthin abschieben können«, sagte er der »Bild am Sonntag«. »Wie will man denn verantworten, dass Straftäter nicht mehr in ihr Heimatland zurückgeführt werden können?«, fragte er. »Wir müssen auch überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die freiwillige Ausreise noch zu verstärken. Wenn ein Inhaftierter einen Teil seiner Strafe erlassen bekommt, reist er vielleicht freiwillig aus.«
Norbert Walter-Borjans, SPD-Vorsitzender
In den vergangenen Jahren waren ausschließlich Männer – vorwiegend Straftäter und sogenannte Terrorgefährder – gegen ihren Willen nach Afghanistan zurückgebracht worden. Die Bundeswehr hatte ihren Einsatz dort Ende Juni beendet. Parallel zu dem Abzug der internationalen Truppen haben die militant-islamistischen Taliban mehrere Offensiven begonnen und zahlreiche Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht.
Kritik an den Aussagen von Seehofer äußerte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans. »Diese Überlegung ist voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten. Auch ausländische Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebungen gestoppt werden«, sagte er der »Rheinischen Post«.
Sicherheitslage in Afghanistan spitzt sich zu
Das Ende des Nato-Militäreinsatzes in Afghanistan war im April beschlossen worden, nachdem sich die USA als größter Truppensteller gegen einen weiteren Verbleib in dem Land entschieden hatten. Wie es in dem Land selbst nach dem vollständigen Abzug der westlichen Truppen weitergeht, ist unklar.
Seit Anfang Mai hat sich die Sicherheitslage deutlich zugespitzt. Die militant-islamistischen Taliban haben in mehreren Offensiven zahlreiche Bezirke überrannt, und sie sind in mehrere Provinzhauptstädte eingesickert.
Seit vergangener Woche liefern sich die Islamisten und Regierungstruppen Gefechte in den Außenbezirken von Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans mit 600.000 Einwohnern. Am Sonntag haben die Taliban den Flughafen in Kandahar beschossen. Der Flughafen spielt eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung der Stadt gegen die radikalen Islamisten.
Befürchtet wird, dass die Taliban mittelfristig komplett die Macht im Land übernehmen könnten. Für die junge Demokratie in Afghanistan mit ihren Fortschritten bei Frauenrechten oder der Medienfreiheit könnte eine solche Entwicklung der Todesstoß sein.