Afghanistan-Evakuierung Bundesregierung räumt »einzelne Todesfälle« von Afghanen im Aufnahmeverfahren ein

Schon lange steht Deutschland wegen der schleppenden Evakuierung afghanischer Ortskräfte in der Kritik. Nun muss die Bundesregierung einräumen, dass mehrere Afghanen starben, während sie auf eine Aufnahme warteten.
Afghanische Geflüchtete in einem Bundeswehr-Airbus

Afghanische Geflüchtete in einem Bundeswehr-Airbus

Foto: Marc Tessensohn / Bundeswehr / picture alliance /dpa

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Als die Taliban Kabul erobert hatten und die deutschen Soldaten ausgeflogen waren, gab die Bundesregierung ein großes Versprechen ab. Deutschland werde so lange weiterarbeiten, »bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanistan Verantwortung tragen«, sagte der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD).

Tatsächlich hat die Bundesregierung seitdem weiterhin Menschen mit Charterflügen aus dem Land gebracht. Doch jetzt wird klar, dass sie in einigen Fällen zu langsam war: Mehrere Afghaninnen oder Afghanen, die eine Aufnahmezusage für Deutschland hatten oder sich im Aufnahmeverfahren befanden, sind offenbar ums Leben gekommen, bevor sie in Sicherheit gebracht werden konnten. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.

»Die Bundesregierung hat Kenntnis von einzelnen Todesfällen«, heißt es darin auf eine entsprechende Frage. Bestehende Aufnahmezusagen für die Familienangehörigen seien »in diesen Fällen aufrechterhalten« worden. Der Satz impliziert, dass unter den Toten auch Menschen mit einer Aufnahmezusage waren. Genauere Angaben macht die Bundesregierung nicht, weder zur genauen Zahl der Todesfälle noch zu den Umständen.

Bewaffnete Taliban südwestlich von Kabul

Bewaffnete Taliban südwestlich von Kabul

Foto: Shafiullah Zwak / picture alliance/dpa/AP

Die Linken-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger kritisiert die Regierung für die Verzögerungen bei der Evakuierung. »Wir wissen nun, dass das unbeschreibliche Versagen der Bundesregierung bereits tödliche Folgen hatte«, sagt sie. »Die Vorstellung ist schier unerträglich, dass Afghaninnen und Afghanen, die auf den Schutz der Bundesrepublik vertraut haben, den Taliban zum Opfer gefallen sind, weil trotz eindrücklicher Warnungen zu spät mit Evakuierungen begonnen und an zu bürokratischen Verfahren festgehalten wurde.«

Der 20-jährige Kriegseinsatz in Afghanistan hatte eine riesige Industrie geschaffen: Die Arbeit der deutschen Soldaten wäre ohne Fluglotsen, Fahrer, Dolmetscher und Techniker kaum möglich gewesen. Seit der Machtübernahme der Taliban fürchten sie um ihr Leben. »Human Rights Watch« schrieb in einem Bericht zuletzt von blutigen Vergeltungsmaßnahmen und systematischen Verbrechen.

Die deutsche Regierung war wie andere Staaten auch von der raschen Machtübernahme der Taliban überrascht worden. Nur die allerwenigsten Helfer und ihre Familien hatte sie bis dahin aus dem Land gebracht.

Nicht einmal die Hälfte der Afghanen mit Aufnahmezusage ist in Sicherheit

Bis heute warten Tausende Menschen darauf, nach Deutschland gebracht zu werden. Aus den Antworten der Bundesregierung geht hervor, dass die deutsche Regierung bis Mitte Februar rund 30.000 Afghaninnen und Afghanen eine Aufnahmezusage erteilt hatte. Dabei handelt es sich um ehemalige Ortskräfte, ihre Angehörigen sowie andere besonders gefährdete Personen. Von ihnen konnten bisher rund 14.000 Personen, also nicht einmal die Hälfte, nach Deutschland einreisen.

In den vergangenen Monaten stand das bürokratische Agieren Deutschlands immer wieder in der Kritik. So führt das Auswärtige Amt zwar eine sogenannte Menschenrechtsliste. Auf sie kamen Afghaninnen und Afghanen, die sich für westliche Werte, für Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte starkgemacht hatten. Allerdings wurde sie offiziell am 31. August 2021 geschlossen, seitdem kamen nur noch vereinzelt Namen hinzu. Selbst einige Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Amnesty International wussten nichts von dem Stichtag – und reichten einige Namen erst danach ein.

Warum der Stichtag eingeführt und nicht vorher öffentlich bekannt gemacht wurde, will die Bundesregierung auch auf Nachfrage der Linken nicht erklären. Die Ampelregierung distanziere sich nicht von den Fehlern der Großen Koalition, sagt Bünger. »Im Gegenteil, Fragen dazu werden überwiegend nicht beantwortet, schäbige Ausreden der vorherigen Regierung werden sogar noch geteilt. Eine kritische Aufarbeitung sieht anders aus.«

Auch von denen, die es auf die Menschenrechtsliste schafften, sind noch nicht alle aus Afghanistan ausgereist. Laut Bundesregierung stehen derzeit etwa 2600 besonders gefährdete Personen auf der Liste. Zählt man ihre Familienangehörigen dazu, sind es 8150. Von ihnen haben es bis Ende Februar nur 2318 nach Deutschland geschafft.

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