
AKW Biblis: Die Gemeinde jubelt über die Verlängerung
AKW-Pläne Biblis feiert den Atom-Deal
Auf der Darmstädter Straße verstehen sie die ganze Aufregung nicht. "Irgendwo muss der Strom ja herkommen", sagt die Verkäuferin der Bäckerei Kersten. "Wir haben ja immer geahnt, dass es weitergeht mit dem Kraftwerk", sagt Josef, der Restaurantbesitzer. Ein paar hundert Meter weiter sitzt die Bürgermeisterin im Amtszimmer, schaut hinaus auf die Hauptstraße ihrer Kleinstadt und sagt: "Biblis freut sich." Natürlich.
Seit acht Jahren regiert Hildegard Cornelius-Gaus im Bibliser Rathaus. Sie ist parteilos, wird aber von der SPD unterstützt. Sie sagt: "Ich bin überzeugt, dass Kernkraft sicher ist." Die 57-Jährige zählt die Argumente auf, die für sprechen. Sie hat sich eingearbeitet, erzählt von Netzstabilität, den Tücken der Windenergie und dem Salzstock in Gorleben. "Ich kenne nur eine Handvoll Leute, die hier gegen das Atomkraftwerk sind", sagt die Bürgermeisterin der 9000-Einwohner-Gemeinde.
die Verlängerung der Atomlaufzeiten
Am Tag, als die Bundesregierung in Berlin über entschied, ließen sie in Biblis die Korken knallen. Denn die Kleinstadt in Südhessen lebt vom Atomkraftwerk. In Biblis zeigt sich, welche noch immer hinter der Kernkraft steckt. Und wie die Abhängigkeit vom Kraftwerk in der Region eine Loyalität zur Atomenergie schafft, die keine PR-Kampagne herstellen könnte.
Also stieß Biblis an jenem Sonntag beim Frühschoppen mit Pils und Wein an, die Blütenweg-Jazzer spielten Dixieland-Klassiker, und die Bürgermeisterin jagte einen Elektro-Sportwagen über die Landstraße.
Das Atomkraftwerk Biblis hatte zum "Energietag" geladen - und Biblis kam. 2500 Einwohner feierten vor den Toren der beiden Reaktoren am Rheinufer. Jedes Jahr richtet der Akw-Betreiber RWE das Fest aus, aber noch nie war der Zeitpunkt so passend gewählt. Denn nun war klar: Biblis darf weiterlaufen.
Biblis gilt als "Schrottreaktor"
Eigentlich sollten Biblis A und Biblis B dieses Jahr vom Netz gehen. Das sah der Atomausstieg von Rot-Grün vor. Weil Biblis zuletzt mehrmals wegen Störungen und Nachrüstungen abgeschaltet werden musste, verlängerte sich die Laufzeit bis 2012. Laut dem Plan der schwarz-gelben Koalition soll es nun bis 2020 am Netz bleiben - das Kraftwerk, das Atomgegner als "gefährlichen Schrottreaktor" bezeichnen.
2006 entdeckte man, dass 15.000 Dübel falsch montiert worden waren. Deshalb stand Biblis länger als ein Jahr still. Eine Studie im Auftrag der Grünen nannte Biblis kürzlich das Negativbeispiel : Es fehle ein unabhängiges Kühlsystem für den Notfall, die Betonwände der Reaktoren seien zu dünn, um dem Aufprall eines Passagierflugzeugs standzuhalten. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, damals noch Umweltminister, hatte im vergangenen Sommer vor Sicherheitsmängeln in Biblis gewarnt.
Alles Unsinn, heißt es in Biblis. "Wenn das Kraftwerk nicht sicher wäre, dürfte es ja nicht am Netz sein", sagt Cornelius-Gaus. Sie verweist auf die "umfangreichen Nachrüstungen" in den letzen Jahren. Was sie ärgert: "Die Medien stellen uns als sorglos dar." Dabei seien die Bibliser nur besser informiert als andere und deshalb für die Kernkraft
Tschernobyl? Hier ein Argument für die Atomkraft
Biblis hat seine Kämpfe ausgetragen. Auch hier gab es einmal Atomgegner. Nach der Katastrophe von Tschernobyl sind die Grünen gegen den Meiler durch den Ort marschiert, die AKW-Belegschaft ihrerseits hat Kundgebungen der Grünen mit einem zweistündigen Pfeifkonzert gesprengt. Später haben die Bibliser "Mütter gegen Atomkraft" protestiert.
Das ist vorbei.
Heute sitzt im Gemeinderat kein Grüner mehr, der Ortsverband ist aufgelöst. Von der Homepage der Gemeinde strahlt das RWE-Logo.
Und Tschernobyl ist nun paradoxerweise eines der besten Argumente für das Kraftwerk. Tschernobyl hatte eine einfache Notfallschaltung, Biblis hat vier Sicherheitsebenen. Ganz andere Technik, viel besseres Personal. Sagen nicht nur die Techniker von RWE, sagt auch der Taxifahrer, sagt die Bäckereiverkäuferin. sagt die Bürgermeisterin.
Warum Biblis ohne Atomkraft "dichtmachen kann"
Das bietet 1000 Menschen Arbeit. RWE beschäftigt 700 Mitarbeiter, der Rest ist bei Fremdfirmen angestellt. Etwa jeder Vierte wohnt in Biblis. Das Kraftwerk vergibt jedes Jahr Aufträge im Umfang von 190 Millionen Euro, über 70 Millionen davon an Unternehmen in der Region.
Und es gibt die Revisionen. Kommende Woche ist es wieder so weit: Die Brennelemente werden gewechselt, der gesamte Reaktor wird überprüft. Dafür kommen wie fast jedes Jahr über 1000 Elektriker, Physiker und Monteure für mehrere Wochen nach Biblis. Die müssen essen und trinken, übernachten und einkaufen.
"Jedes Geschäft profitiert vom Kraftwerk", heißt es beim Bibliser Wirtschaftsverein. "Ohne das Kraftwerk wäre ich nicht mehr hier", sagt Andelko Pehar.
Pehar gehören Hotel und Restaurant Lindenhof. Er ist in Kroatien geboren, hat in Stuttgart bei Daimler gearbeitet und ist vor 27 Jahren nach Biblis gekommen, um den Lindenhof zu übernehmen. Das Geschäft ist gut gelaufen, dank des Kraftwerks, dank der Revisionen. Er sagt: "Wir sind sehr verwöhnt worden von RWE."
"Ohne das Atomkraftwerk können wir den Ort dichtmachen"
Biblis ist keine Luxusgemeinde, sondern wie viele Kommunen knapp bei Kasse. Ohne würde es Biblis sehr schlecht gehen. Andelko Pehar sagt es so: "Ohne das Kraftwerk können wir den Ort dicht machen."
Ohne Atomkraft fehlen Gewerbesteuern
in Millionenhöhe. Es fehlen die hochqualifizierten, gut bezahlten Jobs im Werk. Und es fehlen die Aufträge für Bau- und Wartungsfirmen, für Hotels und Restaurants, die andere Jobs sichern.
"Wir können diese Arbeitsplätze nicht ersetzen", sagt die Bürgermeisterin.
Durch Biblis rauscht der ICE von Frankfurt nach Mannheim. Beide Städte sind nicht weit weg, aber auch nicht nah genug. Es gibt keine S-Bahn-Verbindungen dorhin, die nächste Autobahnauffahrt ist zehn Kilometer entfernt. Es ist schwer, Unternehmen nach Biblis zu locken.
Es bleibt nur das Kraftwerk. Betreiber RWE hat dem Ort die Sporthalle Pfaffenau spendiert, wo die Handballer der TG Biblis spielen. Der Tennisclub hat gerade den 7. RWE-Pokal ausgespielt. Der Energiekonzern sponsert Reitturniere, auch die Einnahmen des alljährlichen "Energietags" gehen an soziale Einrichtungen in der Gegend.
Ein weiterer guter Grund, das Fest am Reaktor mitzumachen. Sie alle waren da an jenem Sonntag. Die Bürgermeisterin, die Bäckereiverkäuferin, der Hotelbesitzer. Sie saßen zusammen im Festzelt, das RWE aufwendig dekoriert hatte. Auf den Bierzelttischen, unter dem Zeltdach und auf der Bühne hatten die Mitarbeiter Pflanzen drapiert. Als Dekoration nahmen sie ausgerechnet das Symbol der grünen Atomgegner.
Biblis feierte sein Atomkraftwerk in einem Meer von Sonnenblumen.