Europawahl 2014 Unionspolitiker hält Bündnis mit AfD für denkbar

CDU-Politiker Willsch (Archivbild): "Die FDP ist verschwunden"
Foto: Deutscher Bundestag/ Lichtblick/ Achim MeldeBerlin - Nach dem Erfolg der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD) bei der Europawahl steht die Union vor einer Grundsatzdebatte über den Umgang mit den Rechtspopulisten. Erste Unionspolitiker halten sogar eine Koalition mit der Partei für denkbar.
"Die FDP ist verschwunden, wir müssen uns auf neue strategische Verhältnisse einstellen", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch SPIEGEL ONLINE. "Wir müssen für künftige Koalitionen nüchtern darauf blicken, mit wem wir die größten Schnittmengen haben: mit der SPD, mit den Grünen oder mit der AfD? Da sehe ich die größten Schnittmengen mit der AfD." Als Beispiel führte Willsch die Europapolitik an: "Wir sind beide für eine unabhängige Zentralbank und die soziale Marktwirtschaft."
Willsch war in den vergangenen Jahren einer der schärfsten Kritiker des Kurses von Kanzlerin Angela Merkel in der Euro-Krise. Er hatte immer wieder gegen die Rettungspakete gestimmt.
Nach dem vorläufigen Endergebnis erreichte die AfD bei der Europawahl 7 Prozent, die FDP rutschte auf 3,4 Prozent ab. Die Union musste trotz der Popularität der Kanzlerin leichte Verluste hinnehmen.
"Strategie gegenüber der AfD überdenken"
Der Umgang mit der AfD dürfte ein zentrales Thema bei der Sitzung des CDU-Präsidiums am Montagvormittag sein. Eine Klärung der Strategie gegenüber den Euro-Kritikern ist auch deshalb wichtig, weil die Partei bei anstehenden Wahlen in Sachsen und Thüringen im Sommer in die Landtage einziehen könnte. CDU-Vizechef Thomas Strobl will bei der Sitzung eine klare Abgrenzung seiner Partei von der AfD erreichen.
Die CDU-Parteispitze hatte bislang die Parole ausgegeben, die AfD zu ignorieren. Daran hatte es bereits in der Vergangenheit Kritik gegeben. "Ich war von Anfang an der Meinung, wir sollten die angreifen", sagte der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs. Der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann empfiehlt "eine klare Abgrenzungsstrategie" zur AfD. In zentralen Fragen wie der Währungspolitik gebe es ohnehin keine Basis für eine Zusammenarbeit.
CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach fordert von seiner Partei ebenfalls eine Reaktion: "Wir müssen unsere Strategie gegenüber der AfD überdenken. Die Annahme der Parteispitze, wenn wir über die AfD nicht reden, merken die Leute gar nicht, dass es sie gibt, hat sich nicht bestätigt." Seine Partei müsse sich nun mit der Frage beschäftigen, aus welchen Motiven Unionswähler zur AfD wechseln. "Die Union muss sich schon die Mühe machen, gründlich zu analysieren, aus welchen Gründen die AfD in relativ kurzer Zeit eine relevante politische Kraft werden konnte und wie man sich mit ihr klar inhaltlich auseinandersetzen muss", so Bosbach zu SPIEGEL ONLINE. Ein Bündnis mit der AfD hält Bosbach mit Blick auf die heutigen Positionen der Euro-Kritiker jedoch für "sehr unwahrscheinlich".
Auch Erstarken der SPD sorgt für Unruhe
Der Fraktionschef der CDU in Baden-Württemberg, Peter Hauk, hatte vergangene Woche wie Willsch eine Koalition mit der AfD ins Spiel gebracht, musste dann aber auf Druck der Parteispitze zurückstecken.
Aus der CSU kommt die Aufforderung an die Schwesterpartei, den Kampf mit den Rechtspopulisten ernster zu führen. "Die Union insgesamt hat rechts eine offene Flanke, die die CSU allein nicht mehr schließen kann", sagt der Stellvertretende Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Georg Nüsslein. Die Christsozialen würden durch die Freien Wähler und die AfD zu stark bedrängt. "Man sollte die AfD nicht einfach in die rechtspopulistische Ecke drängen", sagt er. "Es kann durchaus sein, dass sie die FDP dauerhaft ersetzt."
Nicht nur das starke Ergebnis der AfD, auch die Zugewinne des Koalitionspartners SPD entfachen in der Union eine Debatte über den künftigen Kurs. "Wir müssen aufpassen, dass sich bundespolitisch nicht der Eindruck verfestigt, dass die Union zwar die mit Abstand größte Fraktion ist, nicht aber die stärkste politische Kraft", sagte CDU-Mann Bosbach. Sein Parteifreund Kaufmann hält das Erstarken der Sozialdemokraten für einen "Spiegel der selbstbewussten Regierungsarbeit der SPD in Berlin". Umso wichtiger sei es für die Union nun, "dass wir mit unseren Zukunftsthemen wie Bildung und Innovation in die Offensive kommen".
Zahlreiche Unionsabgeordnete murren schon länger darüber, dass in den ersten Monaten der Großen Koalition vor allem die Genossen mit ihren Projekten wie dem Mindestlohn, der Mietpreisbremse, der Rente mit 63 oder der doppelten Staatsbürgerschaft den Ton angeben. Da die Umfragewerte für die Union im Vergleich zur Bundestagswahl bislang aber relativ stabil waren, hielten die Kritiker weitgehend still. Nach den Verlusten bei der Europawahl könnte sich das ändern.
