Am Rande von Hartz Ströbeles Kampf für die WG-Kühlschränke
Berlin - Hans-Christian Ströbele erhebt die Stimme, wenn Krieg droht. Dann schert der Grünen-Abgeordnete aus den Reihen der Bundestagsfraktion, die Stimme mahnt zum Frieden. Die neuste Mission und Friedensdiplomatie Ströbeles verläuft allerdings in gänzlich anderen Koordinaten: zwischen Kreuzberg, Kühlschrank und Kanzleramt.
Ein kleiner Paragraf im Reformpaket der Bundesregierung hat Ströbele, der im letzten Jahr spektakulär ein Direktmandat in Kreuzberg-Friedrichshain erkämpfte, in Empörung versetzt. Denn dieser Paragraf gefährdet die Kommune, die ureigenste Lebensform des Berliner Stadtteils. Der Passus dreht sich um Wohngemeinschaften, kein Wunder also, dass Ströbele und zwei andere grüne Abgeordnete aktiv wurden und sogar bei Gerhard Schröder intervenierten. In ihrer Audienz beim Kanzler trugen sie ihm ihre Kritik an Details des Hartz-Konzeptes vor und verlangten, um Mitte Oktober im Bundestag zustimmen zu können, Veränderungen. Ein Punkt, den sie im Kanzleramt monierten, betrifft die Wohngemeinschaften.
Das Detail versteckt sich im "Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts ins Sozialgesetzbuch". Unter der Überschrift "Vermutung der Bedarfsdeckung" lässt der Paragraf 37, so Ströbeles Interpretation, Kreuzberg zittern. Dort heißt es: "Lebt eine Person, die Sozialhilfe beansprucht, gemeinsam mit anderen Personen in einer Wohnung oder in einer entsprechenden Unterkunft, so wird vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften."
Konkret könnte sich folgende Situation ergeben: Ein Sozialhilfeempfänger lebt mit einem Lehrerehepaar in einer WG. Sie sind nicht verwandt und - von den Pädagogen abgesehen - nicht eheähnlich verbunden. Was aber nun, wenn der Sozialhilfebezieher die ganze Zeit aus dem gut gefüllten Akademiker-Kühlschrank isst? Wenn der Lehrer die Waschmaschine kauft? "Man benutzt die gemeinsame Butter", drückt Ströbele es aus. Ein Unding, findet das Arbeits- und Sozialministerium. Ein Unding, dass dagegen vorgegangen wird, findet hingegen Ströbele.
Die Änderung wurde in der Partei überbewertet
Die WG, so der Plan, soll künftig als Wirtschaftsgemeinschaft gelten. Es wird davon ausgegangen, dass der Bedürftige von seinen Mitbewohnern unterstützt wird. Er gilt als teilversorgt, weniger hilfsbedürftig; die Beweislast wird umgekehrt. Ein Fall für Ströbele? "Diese Wohnform gibt es nicht nur in Kreuzberg", spielt dieser sein Engagement herunter, "das ist keine Aktion mit Kommune-Anstrich."
Während Ströbele kämpft, hat seine Partei den angeblich unheilvollen Paragrafen abgehakt. "Wir haben das überbewertet", sagt Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen, "der Punkt ist abgeräumt." Zuletzt tauchte er in einer Erklärung auf der Klausurtagung der Grünen-Fraktion im bayerischen Miesbach Anfang September auf. Kurth war hier sogar federführend gewesen. Doch schon in Miesbach erfuhr er, wie nebensächlich der Punkt ist. In der Abschlusserklärung wurde er nicht mehr erwähnt. "Die ganze Sache ist von Ströbele ziemlich hochgezogen worden", meint Kurth.
Tatsächlich betrifft der Passus nur eine schmale Gruppe von Wohngemeinschaften. Ströbele, so heißt es in der Grünen-Fraktion, erwecke den Eindruck, als seien sie alle in Kreuzberg zu Hause. Die so genannte Schein-WG sollte getroffen werden, wo ein getrennter Haushalt und damit auch Bedürftigkeit vorgegaukelt wird. Wohngemeinschaften mit Rentnern, Behinderten und Jugendlichen werden ausgenommen, Studenten sind nicht betroffen, da sie keine Sozialhilfe beziehen können. Bisher schickten die Sozialämter Teams aus, die nachforschen sollten, ob die Kühlschrankfächer wirklich getrennt sind.
Der WG-Wirbel verdeckt die wichtigen Punkte
"Alle dachten, dass der Mitbewohner der große Zahlmeister wird", erinnert sich Kurth an die grüne Aufregung. Es sei viel "ventiliert und geäußert" worden. Der Wirbel drohe sogar die eigentlich wichtigen Kritikpunkte zu verdecken. Zum Beispiel soll laut "Hartz IV" Arbeitslosen bis 25 Jahre, wenn sie bei der Arbeitssuche nicht kooperieren, für drei Monate das neue Arbeitslosengeld II gestrichen werden. Ist die Person aber 26 Jahre alt oder älter, soll nur gekürzt werden. "Das ist verfassungsrechtlich nicht haltbar", meint sogar Ströbele.
Während die Partei einige Details in der WG-Frage auf fachlicher Ebene regelte, verlangte es Ströbele nach höherer Instanz. Letzten Freitag hatte er mit zwei Mitstreitern einen Termin im Kanzleramt. "Statt zehn Minuten haben wir vierzig Minuten geredet", verriet der ewige Rebell. Mit auf der Tagesordnung: das leidige WG-Thema. Man verlangte Änderungen für die anstehenden Beschlüsse im Oktober, der Kanzler hörte geduldig zu.
Ströbele geht es um die Lebensform seiner Wähler, um Kreuzberger Identität. "Das ist wichtig für meinen Wahlkreis", hat Ströbele gesagt. Mag sein. Nur - sein derzeitiger Ausflug in die Sozialpolitik wird mit einer Mischung aus Argwohn, Neid und Kopfschütteln verfolgt. "Eigentlich hat Ströbele in der Sache keinen Durchblick", sagt ein Mitglied der Fraktion, "aber er zerrt das Thema an die Öffentlichkeit."