Amok-Ermittlungspanne Innenminister Rech nennt Kritik beschämend
Berlin/Stuttgart - Baden-Württembergs Innenminister gilt als bedächtiger Mann. Eine gewisse Eitelkeit sei Heribert Rech nicht abzusprechen, ist über den graumelierten CDU-Mann zu hören. Aber der 59-Jährige gehöre nicht zu den Politikern, die ständig Schlagzeilen produzieren und im Mittelpunkt stehen wollen.

Heribert Rech: Massive Kritik am Auftritt des Innenministers
Foto: Getty ImagesNach dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen ist allerdings genau das passiert: Rech sorgte am Donnerstag gleich für zwei Schlagzeilen, die ihn auch 24 Stunden später noch im Mittelpunkt stehen lassen. Die erste lautete: "Tim K. hat zweifelsfrei seine Tat im Internet angekündigt." Die zweite, ein paar Stunden später: "Irgendein Verrückter hat wohl eine schlimme Falschmeldung in die Welt gesetzt."
Claus Schmiedel, SPD-Fraktionschef im baden-württembergischen Land, warf Rech am Freitag eine voreilige Informationspolitik nach dem Amoklauf vor. "In solchen Fällen geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit", sagte Schmiedel. "Sehr peinlich" sei der Auftritt des Innenministers gewesen.
Der Minister hatte auf der Pressekonferenz am Donnerstag die angebliche Onlinekonversation zwischen Tim K. und einem Chatfreund wiedergegeben. Darin der Satz: "Ich werde morgen früh an meine frühere Schule gehen und mal so richtig gepflegt grillen." Rech berichtete, der Hinweis auf den Eintrag beim Internet-Forum Krautchan sei am Mittwochabend vom Vater eines 17-Jährigen aus Bayern gekommen.
Offensichtlich war man so glücklich über den vermeintlichen Coup, dass darüber alle ermittlerische Sorgfalt vergessen wurde. Beispielsweise, die Festplatte von Tim K. zu prüfen: Ein LKA-Beamter sei dem Hinweis des Mannes aus Bayern nachgegangen, heißt es aus der zuständigen Polizeidirektion Waiblingen. Das reichte der Ermittlungsgruppe aus, um diese Information postwendend an die Staatsanwaltschaft und den Innenminister weiterzugeben. Der wurde erst kurz vor der Pressekonferenz unterrichtet. Rech sprach nicht von einem vorläufigen Stand der Ermittlungen - auch wenn er das inzwischen so gemeint haben will - sondern von einer Tatsache.
Thomas Maile, Sprecher der Waiblinger Polizei, sagte SPIEGEL ONLINE: "Wir sind der Meinung, wir geben alles heraus, was wir wissen." Möglicherweise hätte sich der Innenminister diese freizügige Informationspolitik bei einem so schwergewichtigen Vorfall nicht zu eigen machen sollen. Hans Georg Junginger, Chef des Innenausschusses im Stuttgarter Landtag, wirft dem Minister eine "Fehlleistung" vor. "Aus meiner Sicht war es nicht gerechtfertigt, das so schnell in die Öffentlichkeit zu bringen", sagte der SPD-Politiker SPIEGEL ONLINE. Doch was wäre, fragt sich Polizeisprecher Maile, "wenn wir eine Information dieser Tragweite zurückgehalten hätten?".
Ähnlich wie der Polizeisprecher rechtfertigte sich Rech in einer schriftlichen Erklärung gegen die Vorwürfe. Es sei richtig gewesen, die Öffentlichkeit über die angebliche Ankündigung des Blutbads im Internet zu informieren. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz am Donnerstagmittag seien die Ermittler überzeugt gewesen, dass sich der Amokläufer wenige Stunden vor der Tat in einem Chatroom offenbart habe. Außerdem sei nach wie vor möglich, dass Tim K. den Chat von einem anderen Computer aus geführt habe. Das werde überprüft. Wie die SPD von einer "peinlichen Panne" zu sprechen, sei "beschämend", sagte der Minister.
Für Rech spricht, dass die Ermittler Innenministerium und Staatsanwaltschaft die Chat-Information nach Informationen von SPIEGEL ONLINE als sogenannte gesicherte Erkenntnis weitergaben. Auf so etwas habe sich ein Minister zu verlassen, hieß es aus der Innenbehörde eines anderen Bundeslandes.
Das erklärt allerdings nicht, warum Rech und die Staatsanwaltschaft noch am Donnerstagnachmittag bei ihrer Darstellung blieben, obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon erhebliche Zweifel gab, ob die Ankündigung tatsächlich von Tim K. stammte. Das Portal Krautchan hatte schon kurz nach der Pressekonferenz mitgeteilt, bei dem Eintrag handele es sich um eine Fälschung. Auch SPIEGEL ONLINE hatte Zweifel an der Echtheit der Ankündigung: Ein Screenshot, ein Bildschirmfoto des angeblichen Postings, hatte der Redaktion bereits am Mittwochnachmittag vorgelegen, war jedoch aus verschiedenen Gründen zunächst als wenig glaubwürdig eingestuft worden.
Am Donnerstagabend musste Claudia Krauth, Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft in Stuttgart, schließlich einräumen: "Wir sind wie vor den Kopf gestoßen." Man sei "fest davon ausgegangen, dass der Eintrag stimmt, weil wir ihn auf dem Computer des Amokläufers gefunden haben".
Auch Oettinger verteidigt Rech
Auch das baden-württembergische Staatsministerium nimmt den Minister in Schutz: Rech habe über den aktuellen Stand der Ermittlungen berichtet, hieß es im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, das sei sein Recht und seine Pflicht. Auch Ministerpräsident Günther Oettinger, so ist zu hören, stehe voll und ganz hinter der Linie seines Innenministers. Dagegen ist man im Innenministerium auf die Ermittler - verständlicherweise - sauer. Zumindest in diesem Punkt haben sie schlampig gearbeitet.
Waiblingens Polizeisprecher Maile sieht das anders. "Wir sind sehr stolz darauf, was die Kollegen vor Ort leisten", sagt er. Die Rechtfertigung seiner Sprecher-Kollegin gegen den Pannen-Vorwurf: Die Ermittlungsarbeit sei eben "dynamisch".
Am Donnerstag hatte es gar nicht schnell genug gehen können - jetzt nimmt man sich alle Zeit, bis die Panne endgültig eingestanden wird: Ministerpräsident Oettinger persönlich kündigte am Nachmittag an, die Überprüfungen der Ermittler würden sicher noch zwei Tage dauern.
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Der Begriff Amok kommt von dem malaysischen Wort "amuk" und bedeutet so viel wie "wütend" oder "rasend".
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