
Fehlende Ampel-Einigkeit Taktierer Merz trifft ins Schwarze


Merz am Bundestagsrednerpult, im Hintergrund Kanzler Scholz (SPD), sein Vize Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP)
Foto: Clemens Bilan / EPASelbst in der Unionsfraktion waren die meisten von dem überrascht, was ihr Vorsitzender am Mittwochmorgen im Bundestag gegenüber der Ampelkoalition ankündigte. »Wenn wir überhaupt zu einer Grundgesetzänderung kommen, dann füllen wir das in der Weise auf, dass dann eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt«, sagte Friedrich Merz mit Blick auf das geplante Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr. Der CDU-Chef fügte hinzu: »Sie werden mit jedem einzelnen Abgeordneten hier Ja sagen müssen.«
Die Abgeordneten von CDU und CSU horchten in diesem Moment genauso auf wie die von SPD, Grünen und FDP, allen voran aber Kanzler Olaf Scholz. Der Regierungschef hatte vor drei Wochen angekündigt, als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren zu wollen. Dabei war seine gut begründete Annahme, dass die Ampelkoalition für die Finanzierung über ein Sondervermögen, für das es einer Änderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf, auf die Unterstützung der Union bauen kann.
Fraktionschef Merz stellte das seinerzeit auch umgehend in Aussicht. »Wir werden das unterstützen und nicht im Kleinen herummäkeln«, sagte er. Merz hat bislang die Meinung vertreten, dass sich in diesen Zeiten Haudrauf-Opposition verbietet, er spricht aktuell gern von der staatspolitischen Verantwortung der Union , auch wenn sie nicht mehr regiere.
Seine Ankündigung vom Mittwoch passt allerdings nicht zu diesem Kurs. Merz macht plötzlich doch Kleinklein, in dem er der Koalition damit droht, nur exakt so viele eigene Abgeordnete für die Grundgesetzänderung votieren zu lassen wie es sie für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament braucht, wenn alle Parlamentarier der Ampelfraktionen entsprechend abstimmen.
Abgesehen von den praktischen und verfassungsrechtlichen Fragen, die sich dabei stellen, tut Merz genau das, was SPD-Chef Lars Klingbeil ihm anschließend vorwarf: Er versucht ein taktisches Spielchen – und widerspricht sich damit selbst.
Andererseits zeigt Merz auf – und das darf auch in Krisenzeiten Aufgabe des Oppositionsführers bleiben –, wie wacklig die Position des Bundeskanzlers an dieser Stelle ist. Die Drohung des Unionsfraktionschefs sorgt ja nur deshalb für so große Aufregung in der Koalition, weil er das Dilemma des Kanzlers für alle sichtbar macht: Scholz hat für seine Idee nicht die Unterstützung aller Ampelabgeordneten (bis hin zu führenden Kräften in den Fraktionen), und er kann deshalb am Ende auch nicht mit allen Stimmen der Koalition rechnen.
Scholz machte den Rahmen angesichts der eigenen Schwäche lieber richtig groß
Dass es selbst mit einer einfachen Mehrheit im Parlament knapp werden könnte, dürfte dem kühlen Strategen Scholz schon klar gewesen sein, als er die 100-Milliarden-Investition in die Bundeswehr im Bundestag ankündigte. Dann lieber den Rahmen richtig groß machen, um den internen Dissens zu übertünchen – auch deshalb dürfte er auf die Idee mit dem Sondervermögen gekommen sein, abgesehen von den haushaltspolitischen Vorteilen.
Es ist richtig, dass der Kanzler die Zeitenwende dieser Tage für massive Korrekturen in der Außen- und Sicherheitspolitik des Landes nutzt. Dass dies zu Friktionen seiner Dreierkoalition führt – zuletzt erkennbar auch beim Streit über ein neues Entlastungspaket, der am Ende offenbar nur in einer Nachtsitzung aufgelöst werden konnte –, ist wenig überraschend, aber höchst problematisch für Scholz.
Die Koalition muss alle Kraft aufwenden, wenn sie das Land durch diese unruhigen Zeiten bringen will, vor allem aber ihr Kanzler ist gefragt. Sich auf die Union zu verlassen, reicht dabei nicht.