Analyse Schröders Abschied auf Raten
Berlin - Der Abschied auf Raten geht weiter. Nachdem das Votum der Dresdner Nachwähler so eindeutig wie möglich gegen ihn ausgefallen ist, ließ Gerhard Schröder am Montag zum ersten Mal öffentlich erkennen, dass er am Ende doch auf den Führungsanspruch in einer Großen Koalition verzichten werde - wenn die Partei es denn so wolle.
"Ich will nicht einer Entwicklung zur Fortführung des von mir eingeleiteten Reformprozesses und zu einer stabilen Regierung in Deutschland im Wege stehen", sagte Schröder vor der Sitzung des SPD-Präsidiums. Er werde "jede Entscheidung" der SPD-Führung akzeptieren.
Die Worte lösten in Berlin einige Erregung aus, schließlich markieren sie eine deutliche Akzentverschiebung im Vergleich zum Wahlabend vor zwei Wochen. Damals hatte Schröder im Machtrausch verkündet, es könne keinen Regierungschef geben außer ihm.
Schröder als Parteisoldat, das ist eine ungewohnte Rolle. Doch es ist seine einzige Chance, doch noch jenen "Abschied in Würde" zu bekommen, den ihm selbst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wünscht. Der Abschied hätte schon jetzt einen schalen Nachgeschmack. Die Vergleiche zu den Autokraten Cäsar und Putin sind bereits gezogen. Mit der Unterwerfungsgeste, auf die die SPD natürlich nicht eingeht, will Schröder zumindest den Ruf des Pattex-Kanzlers loswerden.
Sein Beharren auf dem Kanzleramt soll von Historikern dereinst als sein letzter Dienst an der Partei beschrieben werden: Dass er die Verzichtserklärung noch aufschiebt, hat aus SPD-Perspektive einzig mit dem Koalitionspoker zu tun. Die SPD will sich nicht von der Union unterbuttern lassen. Koalitionsverhandlungen müssten "auf gleicher Augenhöhe" geführt werden, betonte SPD-Chef Franz Müntefering am Montag nach der Präsidiumssitzung noch einmal. Dafür scheint ihm Schröder weiterhin der beste Trumpf zu sein. Darum nahm Müntefering Schröders Angebot heute nicht an, sondern bekräftigte, ohne mit der Wimper zu zucken, dessen Anspruch aufs Kanzleramt.
Schröder selbst wiederholte die Formel, es gehe bei der Forderung der Kanzlerschaft nicht um seine Person, sondern um den Machtanspruch seiner Partei. Bereits Montag vor acht Tagen hatte er diese Worte im Parteivorstand benutzt, um das Murren zu unterbinden. Damals waren die Worte hinter verschlossenen Türen gefallen, heute sagte er sie in die Kameras.
Mit der Offenlegung der Karten zeigt Schröder allerdings, wie schwach seine Position bereits geworden ist. Er hat öffentlich eingestanden, dass sein Führungsanspruch unhaltbar ist - und sich damit als Trumpf entwertet.
Dass der Kanzler sich dem Urteil der Parteiführung unterwirft, zeigt auch eine Machtverschiebung innerhalb der SPD-Spitze, die sich bereits in den vergangenen Wochen abgezeichnet hat. Müntefering spielte als Parteichef bereits bei den Sondierungstreffen die Hauptrolle. Und bei der letzten Wahlkampfveranstaltung in Dresden sprach Müntefering nicht wie üblich vor, sondern nach Schröder. Das lag zwar daran, dass er wegen eines Staus zu spät gekommen war, aber es spiegelt das neue Kräfteverhältnis im SPD-Führungsduo.
Die Union reibt sich erwartungsgemäß die Hände. Sie ist in der komfortablen Lage, jetzt nur noch abwarten zu müssen. Alles läuft auf Merkel als Kanzlerin zu. Sie wäre gut beraten, auf Ultimaten in der Kanzlerfrage zu verzichten. Die SPD ordnet sich gerade von selbst.