SPD-Chefin Nahles Genossen, reden wir über Flüchtlinge

Andrea Nahles
Foto: HAYOUNG JEON/ EPA-EFE/ REX/ ShutterstockSeit sechs Wochen führt Andrea Nahles die SPD. Der große Aufbruch, auf den die Genossen gehofft haben, ist bislang ausgeblieben. Die Partei liegt in Umfragen weiter deutlich hinter den 20,5 Prozent von der Bundestagswahl, eine neue Strategie in der Großen Koalition ist bislang nicht erkennbar.
Nahles gibt sich dennoch unbeeindruckt. Die SPD sei am Beginn eines Weges, sagte sie am Sonntag der ARD: "Wir sind gut gestartet, aber noch lange nicht am Ziel."
Ein guter Start? Das sehen viele Sozialdemokraten anders, auch in der Bundestagsfraktion, die am Montag eine zweitätige Klausurtagung beendete. Die Abgeordneten sind verunsichert: Wie will Nahles die SPD aus der Krise führen? Was ist ihr Plan?
Ein Thema, das Nahles nun angehen will, ist die Haltung ihrer Partei in der Flüchtlingspolitik. Teilnehmern zufolge wurde darüber bei der Fraktionsklausur lange und intensiv diskutiert - wie schon in der vergangenen Woche im Parteivorstand. Den Anstoß zu der Debatte hatte Nahles Ende Mai selbst gegeben. In einem Interview unterstützte sie die Forderung der Union, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären: "Wer Schutz braucht, ist willkommen. Aber wir können nicht alle bei uns aufnehmen." Das hatte in der Partei teils empörte Reaktionen ausgelöst. Der Berliner Landesverband etwa warf Nahles am Wochenende vor, sie bediene in der Flüchtlingspolitik rechte Rhetorik.
Debatte als "Teil des Genesungsprozesses"
Aus der Bundestagsfraktion bekam die SPD-Chefin am Montag dagegen Unterstützung. "Wir müssen über die Fragen der Flüchtlingspolitik sprechen", sagte Karl Lauterbach. "Wie stehen wir zu Abschiebungen, sicheren Herkunftsländern und Obergrenzen?" Diese Fragen seien für viele Wähler das dominierende Thema, so Lauterbach. "Und da nützt es uns gar nichts, wenn wir sagen: Wir wollen aber nicht darüber sprechen."
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hält die Debatte für richtig. "Für mich ist die sozialdemokratische Haltung in der Flüchtlingspolitik klar", sagt der SPD-Politiker dem SPIEGEL und betont drei Punkte: " Erstens: Wir stehen zum Grundgesetz und zur Genfer Flüchtlingskonvention. Zweitens: Der Staat muss immer Herr der Lage sein und sich an die eigenen Regeln halten. Dies gilt auch für Rückführungen im Rahmen unseres Rechtsstaates. Und drittens müssen wir engagiert und glaubwürdig für Integration arbeiten." Für diese drei Punkte gebe es unter den SPD-Mitgliedern eine breite Mehrheit, glaubt Weil. Die Partei müsse das Thema ausdiskutieren: "Das ist Teil des Genesungsprozesses."
Zwei konträre Haltungen zur Flüchtlingspolitik
Das Problem für Nahles ist allerdings: In der SPD gibt es bei der Flüchtlingspolitik zwei konträre Haltungen - eine links-liberale, großstädtische, die sich im Beschluss des Berliner Landesverbands stellvertretend zeigte, und eine härtere, konservative Position, die vor allem der rechte Seeheimer Kreis sowie Bürgermeister und Ministerpräsidenten vertreten.
Zwischen diesen beiden Polen muss Nahles vermitteln - und eine gemeinsame Haltung entwickeln. Wie die SPD-Chefin das schaffen will, ist relativ unklar. Einer informellen Arbeitsgruppe, die sich nun mit dem Thema beschäftigen soll, gehören neben ihr unter anderem Generalsekretär Lars Klingbeil, Parteivize Ralf Stegner, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link an. Die Debatte soll aber in der gesamten Partei wie auch in der Fraktion geführt werden.
"Ihre Vorgänger haben sich weggeduckt"
Klar ist mittlerweile: Nahles führt anders als ihre Vorgänger Sigmar Gabriel und Martin Schulz. Sie will umstrittene Themen weder im Alleingang entscheiden noch einfach laufen lassen. Dafür gibt es Lob aus der Fraktion. "Es ist Zeichen von Führungsstärke, dass Andrea Nahles jetzt sagt: Wir müssen unsere Position in der Flüchtlingspolitik klären", sagt Wiebke Esdar, SPD-Abgeordnete aus Bielefeld, dem SPIEGEL. "Ihre Vorgänger haben sich bei diesem Thema weggeduckt. Das macht sie nicht."
Nahles' Weg ist jedoch kompliziert und dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen. Dazu kommt: Ihre Partei kann in der Flüchtlingspolitik kaum gewinnen - stattdessen droht das Thema der AfD weiteren Aufschwung zu verleihen. Dennoch verspricht Nahles sich von einer klaren Positionierung viel. Denn danach könne die SPD sich endlich wieder ihren Kernthemen widmen, heißt es aus der Fraktion.
Die Gefahr ist allerdings: Bis es so weit ist, droht die SPD noch tiefer in die Krise zu rutschen.
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