Reaktionen "So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle nach"

Der Umgang mit der scheidenden SPD-Chefin sorgt im Berliner Politikbetrieb für Entsetzen. Von Scham und Schande ist die Rede.
Andrea Nahles

Andrea Nahles

Foto: Markus Schreiber/ AP

Die SPD-Chefin Andrea Nahles dankt ab und legte ihre Ämter nieder - getrieben von Attacken und Anfeindungen aus den eigenen Reihen. Das Schauspiel, das die SPD derzeit bietet, ist weit entfernt von den Solidaritätsbotschaften, die die Partei in Wahlkämpfen gern aussendet.

Dass Nahles von den eigenen Parteifreunden aus dem Amt gejagt wurde, sorgt bei vielen Beteiligten für Entsetzen. Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb auf Twitter, dass er sich schäme. "Alles beginnt mit einer einfachen Feststellung: Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben."

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer beklagte mangelnde Solidarität in ihrer Partei. "Wenn wir es jetzt nicht verstehen, zusammenzuhalten und solidarisch einen Weg da raus zu finden, dann sieht es wirklich schwarz aus für die SPD." Dreyer soll die Partei nach dem Rücktritt von Nahles voraussichtlich kommissarisch führen.

"Es macht mich fassungslos und sagt vieles aus über den Zustand einer Partei und den Charakter handelnder Akteure wie man mit Andrea Nahles umgegangen ist", sagte Harald Christ, Präsidiumsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums, dem SPIEGEL. "Es darf jetzt keine Gewinner geben die hinter diesem Angriff stehen, es wäre grotesk wenn diese Methoden noch belohnt würden."

Auch der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), zeigte sich erschüttert über schlechten Stil in seiner Partei: "Liebe Andrea Nahles! Der öffentliche Umgang mit Dir war schändlich. Einige in der SPD sollten sich schämen. Du hast Dich nach Kräften bemüht, manche Wunde der Vergangenheit endlich zu heilen. Danke für Deinen Einsatz! Respekt für diese Entscheidung."

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Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) gab sich wie gewohnt weniger emotional. Er bedauerte Nahles' Entscheidung. "Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken", ließ er mitteilen. In schwierigen Zeiten habe sie die Verantwortung übernommen und den Erneuerungsprozess in der Partei begonnen.

Der Umgang sollte "zum Nachdenken bringen"

Nicht nur in der eigenen Partei gab es Anerkennung für Andrea Nahles. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Sie ist Sozialdemokratin mit Herzblut, das kann man sagen. Aber ich finde, sie ist auch ein feiner Charakter."

Die Grünen-Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck teilten mit: "Respekt, dass Andrea Nahles hier eine klare Entscheidung trifft."

FDP-Chef Christian Lindner zollte Nahles ebenfalls Respekt. "Sie ist eine ehrliche und kompetente Politikerin. Der Umgang mit Nahles sollte alle in Politik und Medien zum Nachdenken bringen. Ihr Rücktritt beantwortet keine Kursfrage der SPD, sondern beschert uns nur eine instabile Regierung", twitterte der Liberale.

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Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach Nahles ebenfalls seine Hochachtung aus - und wurde sehr kritisch gegenüber der SPD: "So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle einfach nur nach."

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Der frühere Parteichef Sigmar Gabriel, der als großer Nahles-Kritiker gilt, rügte ebenfalls die innerparteilichen Kämpfe in der SPD: "Solange die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".  "Die SPD braucht eine Entgiftung." Gabriel rief zur Versöhnung auf.

Warnung vor destruktiven Personaldebatte

Niedersachsens SPD-Chef Stephan Weil hat seine Partei angesichts des Rückzugs der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles vor weiteren "destruktiven Personaldebatten" gewarnt. "Es ist nun an der SPD insgesamt zu beweisen, dass sie aus Fehlern zu lernen vermag", sagte er.

Der Koalitionspartner der SPD, die Union, machte zwar schnell deutlich, dass sie mit der Regierung weitermachen will. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer appellierte aber an die SPD, die Stabilität des schwarz-roten Bündnisses nicht zu gefährden. Sie gehe davon aus, dass die SPD die nun notwendigen Personalentscheidungen zügig treffen werde "und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition nicht beeinträchtigt wird", sagte Kramp-Karrenbauer. Für die CDU gelte: "Dies ist nicht die Stunde für Parteitaktische Überlegungen. Wir stehen weiter zur großen Koalition."

AfD sieht Regierung vor Zerfall

AfD-Chef Jörg Meuthen forderte dagegen gleich den Rücktritt der gesamten Bundesregierung. "Wen interessiert überhaupt noch, ob eine Andrea Nahles zurücktritt und wer ihr dann als nächster politischer Konkursverwalter der früheren Volkspartei SPD nachfolgt?", schrieb er in einem Tweet. "Wer in diesem Land endlich zurücktreten muss, um den Weg für einen wirklichen Neuanfang freizumachen, ist Angela Merkel und mit ihr die gesamte Bundesregierung."

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Auch AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nahm den Rücktritt zum Anlass, um ihre Sicht auf die Große Koalition darzulegen: "Nicht nur die SPD befindet sich in Auflösung, auch die GroKo wandelt nur noch als Untoter über die politische Bühne", sagte sie. "Tag für Tag fallen mehr und mehr Glieder von ihr ab."

Nahles war nach dem Desaster der SPD bei der Europawahl vor einer Woche stark unter Druck geraten und hatte am Sonntag schließlich ihren Rücktritt angekündigt. Sie will sich komplett aus der Politik zurückziehen. Neben Partei- und Fraktionsvorsitz wolle sie auch zeitnah ihr Bundestagsmandat niederlegen.

cop/dpa

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