SPD-Chefin auf Tour Nahles' Wurzelbehandlung

Andrea Nahles kämpft gegen den Niedergang ihrer Partei. Dazu will die Chefin der SPD zurück zu den Wurzeln und sie zu etwas machen, was sie lange nicht mehr war: eine Arbeiterpartei.
Andrea Nahles (r.) in Drebkau in der Lausitz

Andrea Nahles (r.) in Drebkau in der Lausitz

Foto: SPIEGEL ONLINE

Da ist ihr das böse Wort doch wieder herausgerutscht: Kohlekommission. Die Betriebsräte im Bürgerhaus Kausche in Drebkau werden unruhig, erst kurz zuvor hatten sie Andrea Nahles korrigiert. Und nun spricht die SPD-Chefin wieder von der Kohlekommission - zum Unverständnis ihrer Gastgeber. Offiziell heißt das Gremium, das den Kohleausstieg verhandelt, "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung".

Nahles gelingt es, die Situation zu überspielen: "Ich nenne sie jetzt einfach nur noch diese Kommission", sagt sie.

Am Ärger über ein einzelnes Wort zeigt sich, wie angespannt die Stimmung unter den Arbeitnehmervertretern ist. Mehr als 13.000 Arbeitsplätze sind in der Lausitz vom Kohleausstieg bedroht, 600 fallen bereits in diesem Jahr weg. Da hört man gerne die Worte "Wachstum" und "Beschäftigung".

Es ist kein einfacher Tag für Nahles. Neben Betriebsräten und Gewerkschaftern trifft sie an diesem Tag auch Kommunalpolitiker, Unternehmer und Bürger der Lausitz. Alle eint die Sorge vor der Zukunft: Was kommt nach der Braunkohle?

Andrea Nahles, Birgit Zuchold (2.v.l), Bürgermeisterin von Welzow

Andrea Nahles, Birgit Zuchold (2.v.l), Bürgermeisterin von Welzow

Foto: Bernd Settnik/ dpa

Nahles verspricht, sich zu kümmern. Der "schlechtgemachte Strukturwandel des Ruhrgebiets" soll sich hier nicht wiederholen. Noch in dieser Woche komme Vizekanzler Olaf Scholz, sagt Nahles mehrfach. "Das Thema ist Chefsache bei uns."

Schlagzeilen im Sommerloch produziert Nahles mit ihrer Reise nicht. Aber der SPD-Chefin geht es um etwas anderes. Sie will beweisen, dass die Sozialdemokratie noch eine Arbeiterpartei ist.

Dabei ist die SPD im Kern schon lange eine Partei des Öffentlichen Dienstes. Arbeiter stellen laut dem Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer gerade mal noch 16 Prozent der Mitglieder. 42 Prozent sind Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes.

20 Jahre nach der Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler steckt die SPD in einer Dauerkrise. Enttäuschung über Hartz IV und die dritte Juniorpartnerschaft in einer Großen Koalition seit 2005 haben die Funktionäre zermürbt und die Wähler flüchten lassen. Zur Linkspartei, zur AfD, ins Lager der Nichtwähler. Nur weg von der SPD.

Die SPD soll sich an ihre Wurzeln erinnern

Nahles führt die SPD erst seit vier Monaten. Aber gefühlt ist sie schon ewig in der Partei aktiv: 1989 gründete sie einen SPD-Ortsverein in ihrer Heimat Weiler, 1998 zog sie als Juso-Vorsitzende in den Bundestag ein.

Das hilft ihr einerseits, weil sie in der Partei sozialisiert wurde und sie so gut kennt wie kaum ein anderer führender Genosse. Es ist aber auch ein Problem. Denn eine personelle Erneuerung der SPD, den sehnlich erwarteten Aufbruch kann Nahles kaum verkörpern.

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Sie geht deshalb einen anderen Weg. Nahles will die SPD wieder an ihre Wurzeln erinnern, das klassische Klientel bedienen und so Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Wie jede Wurzelbehandlung, ist so etwas schmerzhaft. Es geht um Schadensbegrenzung. Es geht jetzt gegen den Abstieg - bevor es wieder um Erfolge gehen kann.

Nahles muss sich für diesen Kurs nicht verstellen. Sie ist ein Arbeiterkind, das betont sie bei den Gesprächen mit den Lausitzern Bürgern gerne: "Mein Vater war Maurer", sagt sie dann und verspricht: "Die SPD ist die einzige parlamentarische Kraft, die die Interessen der Industriearbeiter wahrt."

Vor allem bei den Gewerkschaftern kommt das an, Nahles trifft den richtigen Ton. Als sie vor dem Bürgerhaus in Drebkau eintrifft, drückt Betriebsrat Toralf Smith ihr ein Megafon in die Hand. Das war so nicht geplant. Nahles hält eine kurze Ansprache, wirbt um Vertrauen und verspricht, sich für die Region einzusetzen.

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Später, in kleinerer Runde, betont sie, was die SPD in den Koalitionsverhandlungen erreicht habe. Den Plan der Jamaika-Sondierer, kurzfristig Braunkohlekraftwerke stillzulegen und so sieben Gigawatt bis 2020 einzusparen, habe ihre Partei abgeräumt. Die GroKo verabschiedete sich von den Klimazielen für 2020. "Dafür wurden wir in der Öffentlichkeit verprügelt und die Grünen haben gefeixt", sagt Nahles. "Aber wir wussten: Wenn wir das machen, bringen wir die Lausitz um." Schadensbegrenzung statt ambitionierte Klimaschutzpolitik.

In der SPD hat Nahles eine Begleitgruppe für die Kohlekommission eingerichtet. Ganz könne sie den Druck nicht rausnehmen, sagt sie: "Ich kann nicht wie die AfD sagen, es gibt keinen menschengemachten Klimawandel." Das sei Quatsch. Aber sie wolle helfen, das Beste für die Lausitz herauszuholen. Also gut bezahlte Arbeitsplätze, und nicht nur Jobs.

Andrea Nahles bei SPD-Veranstaltung in Drebkau

Andrea Nahles bei SPD-Veranstaltung in Drebkau

Foto: FELIPE TRUEBA/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Nahles' eigener Job ist es, die SPD zu retten. Wie schwer das wird, zeigt sich beim letzten Termin ihrer Reise in die Lausitz. Ein Grillfest der drei Unterbezirke Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und Cottbus, rund 100 SPD-Mitglieder sind gekommen. Die Stimmung ist kritischer als bei den Treffen mit Betriebsräten und Kommunalpolitikern. Die Chefin Nahles ist kein Liebling der Genossen, das ist spürbar.

Sie redet über Rentenpolitik, die Europawahl im kommenden Jahr und die Digitalisierung. Daten seien der Rohstoff der Zukunft, sagt Nahles und blickt in viele leere Gesichter, der Applaus ist verhalten.

In den eigenen Reihen muss die neue Arbeiterführerin der SPD noch reichlich Überzeugungsarbeit leisten.

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