Bremer Bürgermeister Bovenschulte »Wer von der Pandemie profitiert, muss größere Lasten tragen«

Bremens SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte rechnet beim nächsten Pandemiegipfel mit Lockerungen im Shutdown. Nach der Coronakrise will er Onlinehändler zur Kasse bitten.
Ein Interview von Hubert Gude
Bremen im Februar 2021: Gibt es eine Perspektive für Lockerungen in der Coronakrise?

Bremen im Februar 2021: Gibt es eine Perspektive für Lockerungen in der Coronakrise?

Foto: foto2press/Oliver Baumgart / imago images/foto2press

SPIEGEL: Alle blicken gespannt auf die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Mittwoch. Werden Sie sich für ein Ende des strikten Shutdowns einsetzen?

Bovenschulte: Wir müssen den Menschen eine Perspektive für Lockerungen bieten. Aber wir müssen auch vorsichtig sein. Es darf keinen Jo-Jo-Effekt geben, weil wir jetzt Beschränkungen aufheben und dann in zwei Wochen merken: Das war zu schnell, die Zahlen steigen wieder. Da den richtigen Weg zu finden, ist nicht einfach. Richtigerweise läuft es darauf hinaus, erst einmal Schulen und Kindertagesstätten zu öffnen. Das hat Priorität. Dafür zeichnet sich meiner Wahrnehmung nach unter den Ländern eine breite Mehrheit ab.

SPIEGEL: Es gibt inzwischen Stufenpläne für ein Ende des Shutdowns von mehreren Bundesländern. Welches Papier gefällt Ihnen am besten?

Bovenschulte: Das sind alles gute Diskussionsbeiträge. Aber die entscheidende Frage ist doch: An welchen Zahlen wollten wir uns künftig orientieren? An der Inzidenz, dem R-Wert, der Impfquote, der Intensivbettenquote – oder an allen vieren zusammen? Mit jedem weiteren Wert werden die Pläne komplexer und verlieren ihre Überzeugungskraft. Außerdem: Was mache ich, wenn es in einem Bundesland bessere Werte als im Nachbarland gibt? Sobald ich in Bremen im Alleingang die Geschäfte oder die Kneipen öffne, strömen die Gäste aus Niedersachsen in die Stadt. Und umgekehrt gilt das natürlich genauso. Das heißt: Wir brauchen ein bundesweit abgestimmtes Konzept, das sich auch mit den Gefahren auseinandersetzt, die von den neuen Corona-Varianten ausgehen.

SPIEGEL: Nach der ersten Corona-Welle sind einige Ihrer Länderkollegen mit Lockerungen vorgeprescht. Heute ist das anders. Liegt das an der Angst vor den Mutanten?

Bovenschulte: Zum Teil stimmt das sicherlich. Wir haben aber auch schon vorher festgestellt, wie schnell sich das Infektionsgeschehen ändern kann. Bremen ist ein gutes Beispiel dafür. Wir hatten im November mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 225 den bundesweiten Spitzenplatz unter den Ländern. Anfang Januar waren die Werte dann im Ländervergleich die niedrigsten, heute liegen wir in Bremerhaven wieder deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Insofern gilt in dieser Pandemie: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

»Wir alle hoffen auf mehr Impfstoff, und dafür müssen jetzt alle Kräfte mobilisiert werden.«

SPIEGEL: In der niedersächsischen Gemeinde Belm haben sich 14 Heimbewohner mit der britischen Corona-Variante B.1.1.7 angesteckt, obwohl sie vorher bereits zwei Mal den Biontech/Pfizer-Impfstoff erhalten hatten. Beunruhigt Sie das?

Bovenschulte: Das zeigt, dass auch Impfungen keinen hundertprozentigen Schutz bieten. Entscheidend kommt es allerdings darauf an, wie schwer die Krankheitsverläufe sind. Wenn, wie es heißt, die Verläufe asymptomatisch und milde sind, wäre das sicherlich ein beruhigendes Signal. Das muss sorgfältig untersucht werden.

SPIEGEL: Die Impfungen laufen in Deutschland immer noch vergleichsweise schleppend. Hat die Bundesregierung versagt?

Bovenschulte: Sagen wir mal so: Optimal ist die Beschaffung sicherlich nicht gelaufen. Und es nützt überhaupt nichts, das im Nachhinein schönzureden. Wir alle hoffen auf mehr Impfstoff, und dafür müssen jetzt alle Kräfte mobilisiert werden. Wir brauchen einen verbindlichen nationalen Impfplan, der regelt, wie bis Ende September alle Menschen, die dies möchten, geimpft sind. Je schneller wir sind, umso eher können wir wieder zu einem normalen Leben zurückkehren und zum Beispiel die Schulen wieder vollständig öffnen.

SPIEGEL: Entgegen den Beschlüssen der letzten Ministerpräsidentenrunde haben Sie sich dazu entschlossen, die Schulen offen zu halten.

Bovenschulte: So einfach ist das nicht. Der Beschluss sah zwei Möglichkeiten vor: Entweder die Schulen werden geschlossen und es gibt eine Notbetreuung, oder die Schulen bleiben offen und die Präsenzpflicht wird ausgesetzt. Die Unterschiede zwischen beiden Modellen sind in der Praxis häufig kleiner, als viele glauben. Nicht selten sind Schulen mit Notbetreuung ähnlich ausgelastet wie Schulen, bei denen die Präsenzpflicht ausgesetzt ist. Wir haben uns dazu entschlossen, die Schulen offen zu lassen und es den Eltern freizustellen, ob die Kinder in die Schule gehen. Und das war auch richtig.

»Es darf nicht sein, dass die Pandemie zu einer noch tieferen Spaltung unserer Gesellschaft führt.«

SPIEGEL: Als erstes Bundesland hat Bremen seine Schüler einer Reihentestung unterzogen. Was hat das gebracht?

Bovenschulte: Wir haben allen unseren Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern einen Test angeboten. Fast ein Viertel hat das angenommen, insgesamt waren das 18.000 Tests. Das Ergebnis: Eine Prävalenz von 0,3 Prozent. Das heißt: Von den 18.000 Getesteten waren gut 50 mit dem Virus infiziert. Dieser Befund hat uns geholfen, das Infektionsgeschehen an den Schulen einzuordnen. Außerdem haben wir die Betroffenen natürlich sofort in Quarantäne geschickt und damit Infektionsketten unterbrochen. Insgesamt war die Reihentestung also hilfreich.

SPIEGEL: War das eine einmalige Aktion?

Bovenschulte: Nein, in den Schulen und Kindertagesstätten führen wir weiterhin Tests durch, um mögliche Infektionsherde schnell zu erkennen und um insbesondere den Beschäftigten mehr Sicherheit zu geben. Wir untersuchen die Proben zudem auf Mutationen. Das ist ein ziemlicher Aufwand, aber es lohnt sich.

SPIEGEL: Wer soll das im hoch verschuldeten Bundesland Bremen alles bezahlen? Müssten Sie nicht ehrlicherweise laut über Steuererhöhungen nachdenken?

Bovenschulte: Viel härter als die Kosten für Tests und medizinische Schutzausrüstung treffen uns die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Und hier, finde ich, muss ein Grundsatz gelten: Die, die vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sind oder sogar von ihr profitieren, müssen größere Lasten tragen als die, die von der Krise hart getroffen wurden. Ich finde es deshalb zum Beispiel richtig, darüber nachzudenken, den Onlinehandel stärker zu besteuern und den Not leidenden stationären Einzelhandel in unseren Innenstädten zu entlasten oder finanziell zu fördern.

SPIEGEL: Sie fordern also eine Corona-Steuerreform?

Bovenschulte: Vielleicht brauchen wir so etwas. Historisches Vorbild ist ja Konrad Adenauer, der 1952 die Erhebung einer Vermögensabgabe zur Finanzierung eines Lastenausgleichs zur Bewältigung der Kriegsfolgen durchgesetzt hat. Es darf nicht sein, dass das schicksalhafte Ereignis einer Pandemie zu einer noch tieferen Spaltung unserer Gesellschaft führt. Mit Verlierern, die sozial noch weiter abrutschen. Und anderen, die achselzuckend sagen: Pech gehabt.

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