CDU-Parteitag Atempause für die Kanzlerin
Konrad Adenauers "Wir wählen die Freiheit", Ludwig Erhards "Wohlstand für alle", Helmut Kohls Versprechen von den "blühenden Landschaften" - und Angela Merkels "Wir schaffen das". Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende hat sich mal eben selbst ins Geschichtsbuch geschrieben. Sie hat die Flüchtlingskrise zur "historischen Bewährungsprobe für Europa" erklärt und keinen Zweifel daran gelassen, wer aus ihrer Sicht die Richtige ist, dafür zu sorgen, dass der Kontinent diese Probe besteht: natürlich Angela Merkel.
Merkels Rede auf dem Karlsruher Parteitag war wohl eine der wichtigsten ihrer Karriere. Es gab viel Kritik im Vorfeld, aber mit einem geschickten, kämpferischen Auftritt ist es Merkel gelungen, diese Kritik plötzlich ganz klein aussehen zu lassen. Kann schon sein, dass die CDU-Chefin nach 15 Jahren an der Spitze nicht unantastbar ist. Aber sie ist immer noch unentbehrlich, sie ist der Garant des CDU-Erfolgs. Das hat die Partei in Karlsruhe eingesehen. Die Merkel-Dämmerung ist vorläufig abgesagt.
Die Gründe:
- Den Streit über Obergrenzen und Grenzkontrollen konnte Merkel kurz vor dem Parteitag entschärfen. Mit einem Formelkompromiss, den Freund und Feind zu seinen Gunsten auslegen kann. So läuft das bei der CDU, egal, ob es um die kalte Progression geht, um den Mindestlohn oder jetzt eben um das Schicksal Hunderttausender Migranten. Merkel hat sich damit Luft verschafft für ihren Auftritt an diesem Montag, der Druck war weg.
- Solange der Widerstand in der Partei kein prominentes Gesicht hat, droht Merkel kaum Gefahr. Das war schon in der Euro-Krise so, so ist es auch jetzt. Wenn manche Kritiker auf Wolfgang Schäuble hoffen, dann zeigt das erst recht, dass der CDU die Alternativen fehlen. Für Merkel ist das in der Flüchtlingskrise besonders wichtig - weil der Streit in dieser Frage erstmals direkt mit ihrer Person verknüpft ist. Es geht um ihren Kurs.
- Die CDU mag keinen Streit auf offener Bühne, diese Disziplin unterscheidet die Bürgerlichen von der SPD. Die Sozialdemokraten haben ihrem Chef Sigmar Gabriel kurz vor dem christdemokratischen Treffen in Karlsruhe im Grunde klargemacht, dass sie mit ihm nicht das Kanzleramt erobern wollen. Das hat Merkel womöglich am meisten geholfen. Denn wenn die SPD ihren Vorsitzenden demontiert, dann will die CDU das natürlich nutzen, um Einigkeit zu demonstrieren. Merkels großer Vorteil: Sie musste sich auf diesem Parteitag keiner Wiederwahl stellen.
- Merkels schärfster Gegner in der Union hat überdreht. Horst Seehofers Demütigung der Kanzlerin auf dem CSU-Parteitag fanden auch ihre Kritiker in der CDU nicht lustig. Die Folge: Die Partei solidarisiert sich mit Merkel.
- Merkel hat ihren Kurs längst angepasst. Zwar hat sie ihr "Wir schaffen das" beim Parteitag verteidigt, die humanitäre Verantwortung und das "freundliche Gesicht" Deutschlands betont. Aber zugleich stellt sie schon mal die offenen Grenzen des Schengen-Raums infrage. Selbst die Kritiker werfen ihrer Vorsitzenden nicht vor, scharf darauf zu sein, Millionen weiterer Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Der Streit dreht sich oft um Worte: Am Ende rang man darum, ob die Flüchtlingszahlen "deutlich" oder "spürbar" reduziert werden sollen.
Solche semantischen Verrenkungen wirken nach Merkels Auftritt geradezu lächerlich. Aber heißt das jetzt: alles gut für Merkel? So ein Parteitag, die Reden und erst recht die Papiere, die dort beschlossen werden, geraten schnell in Vergessenheit. Die Probleme der Flüchtlingskrise aber bleiben.
Um diese zu lösen, setzt Merkel weiter auf die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Solidarität Europas und legale Flüchtlingskontingente. Dieser Plan braucht Zeit. Viel Zeit aber werden ihr die auf dem Parteitag besänftigten Kritiker nicht geben. Karlsruhe gibt Merkel eine Atempause. Mehr nicht.
Im Video: Angela Merkel beim CDU-Parteitag - "Wir schaffen das"