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Merkel auf CDU-Parteitag Noch mal davongekommen

Die Debatte dauert länger, die Kritik an Angela Merkel ist lauter als sonst. Doch am Ende stimmt die CDU mit Riesenmehrheit für die Große Koalition - und feiert ihren neuen Star.

Er kann die Debatte jetzt nicht einfach abwürgen. Aber jeden der 40 angemeldeten Redner so lange sprechen lassen wie die vergangenen zehn - das geht mit Blick auf die Uhr auch wieder nicht. Also sagt Tagungspräsident Armin Laschet, CDU-Vize und Regierungschef von Nordrhein-Westfalen: "Ich begrenze die Redezeit auf drei Minuten."

So viel Debatte wie an diesem Montag in Berlin war selten bei einem CDU-Bundesparteitag. Aber es ist ja auch so einiges durcheinandergekommen in der politischen Landschaft der Bundesrepublik in den vergangenen Monaten. Zur Erinnerung: Die Deutschen haben am 24. September einen neuen Bundestag gewählt - eine neue Regierung aber gibt es immer noch nicht.

Angela Merkel hat es immer noch nicht geschafft, eine neue Koalition auf die Beine zu stellen: Die Regierungsbildung von CDU und CSU mit FDP und Grünen scheiterte bereits nach den Sondierungsgesprächen, mit der SPD ist man nun deutlich weitergekommen - aber noch fehlt die Zustimmung der sozialdemokratischen Basis zum Koalitionsvertrag.

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So ist die Lage, als sich die 975 Delegierten am Vormittag in einem ehemaligen Bahndepot inmitten der Hauptstadt treffen. Ursprünglich war diese Zusammenkunft ja gar nicht vorgesehen, um über einen Koalitionsvertrag abzustimmen - aber die Vorsitzende Merkel hat eingesehen, dass auch in ihrer Partei mehr Gesprächsbedarf herrscht als sonst.

Und genau das passiert nun, nachdem Merkel in ihrer knapp einstündigen Rede versucht hat, einen großen Bogen zu schlagen. Der verläuft ungefähr so: Wir haben als CDU vieles richtig gemacht in den vergangenen Jahren, aber auch Fehler. Jetzt wollen wir Konsequenzen ziehen - und das funktioniert am besten in einer Neuauflage der Großen Koalition. Zumal sich eines aus Merkels Sicht nicht geändert hat: "Politische Verantwortung ist bei der CDU daheim."

"Wir haben eben nicht die richtigen Antworten gefunden"

Aber so einfach ist es aus Sicht einer Reihe Delegierter dann eben doch nicht: Es wollen nicht nur ungewöhnlich viele am Rednerpult sprechen - es gibt auch einiges an Gemoser über den Kurs der Partei und ihre Chefin zu hören. Und zwar nicht nur von notorischen Kritikern wie dem Ravensburger Delegierten Eugen Abler, der beklagt, seine Partei habe "das Profil eines abgefahrenen Reifens". Oder dem Chef des CDU-Wirtschaftsrats, Werner M. Bahlsen, der seiner Partei seit Jahren zu viel Umverteilungspolitik vorwirft.

"Wir haben eben nicht die richtigen Antworten gefunden", sagt ein sächsischer Delegierter zu den Fehlern aus dem Wahlkampf - deshalb könne er dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen. Mehrere Redner sprechen auch explizit die aus ihrer Sicht falsche Flüchtlingspolitik Merkels an. Und nicht nur einmal ist die Forderung nach einer Minderheitsregierung zu hören, die die Union anstreben solle, anstatt nochmal mit der SPD zu koalieren.

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CDU-Minister für GroKo: Merkels Wunschtruppe

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Aber die CDU ist am Ende eben doch eine sehr disziplinierte Partei: Nur 27 Delegierte stimmen am Ende gegen den Koalitionsvertrag, die meisten von ihnen dürften zuvor auch am Rednerpult gestanden haben, anders ist die kontroverse Debatte nicht zu erklären.

Jünger, frischer, konservativer

Merkel ist nochmal davongekommen. Aber das hat sie wohl weniger ihrem eher uninspirierten Vortrag zu verdanken, sondern den klugen Personalien, mit denen sie den größten Unmut schon vor dem Parteitag gedämpft hat: vor allem mit der Entscheidung, Jens Spahn als Gesundheitsminister zu nominieren.

Spahn gilt als Symbolfigur der Merkel-Kritiker. Dass die Vorsitzende ihn nun ins Kabinett holen möchte, empfinden sie als kleinen Sieg. Aber auch die Nominierung der rheinland-pfälzischen Parteichefin Julia Klöckner als Landwirtschaftsministerin wird als Signal der personellen Erneuerung empfunden. Dazu kommt die designierte Bildungsministerin Anja Karliczek. Jünger, frischer, konservativer - das kommt in der CDU an.

Und dann ist da noch der Coup mit Annegret Kramp-Karrenbauer: Die Ministerpräsidentin des Saarlands ist ein CDU-Schwergewicht - und in der Partei äußerst beliebt. Mit ihrer Nominierung als Generalsekretärin hatte niemand gerechnet, umso positiver waren die Reaktionen darauf.

Im Video: Kramp-Karrenbauer auf dem CDU-Sonderparteitag

Reuters

Auf dem Parteitag hält sie eine begeisternde Bewerbungsrede, die mehrfach von Ovationen unterbrochen wird. Kramp-Karrenbauer kündigt an, den programmatischen Reformprozess so schnell wie möglich anzuschieben. "Wir sind eine interessante Partei - und wir wollen noch interessanter werden", sagt sie. Am Ende wird Kramp-Karrenbauer mit fast 99 Prozent gewählt. Das ist CDU-Rekord.

Neue Generalsekretärin, frische Minister, ein Signal zur programmatischen Erneuerung - fürs erste kann Angela Merkel zufrieden durchatmen. Die Partei murrt, aber sie folgt ihr auch diesmal. "Nach schwieriger Zeit haben wir heute, glaube ich, einen guten Tag hingelegt", sagt die CDU-Chefin zum Abschluss des Parteitages. "Die Arbeit kann beginnen."

Vorher müssen nur noch die SPD-Mitglieder zustimmen.

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