Kanzlerin in der Flüchtlingskrise Jetzt kämpft Merkel

Immer stärker setzen die Unionsparteien Angela Merkel unter Druck. Einen Auftritt bei "Anne Will" nutzte die Kanzlerin nun für eine Botschaft an ihre Gegner: Kommt doch!
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Anne Will: "Berge versetzen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Anne Will: "Berge versetzen"

Foto: Rainer Jensen/ dpa

Der Auftritt der Kanzlerin hatte schon etwas Rauschhaftes.

Moment mal.

Merkel? Rausch?

Ja, muss man so sagen. Wer Angela Merkels Gastspiel in der Talkshow von Anne Will am Sonntagabend verfolgen konnte, der hat eine reichlich ungewohnte Kanzlerin erlebt: eine kämpfende.

Am Ende redete sich Merkel für ihre Verhältnisse geradezu in einen politischen Rausch hinein, verteidigte ihre umstrittene Flüchtlingspolitik ein ums andere Mal vehementer und verkündete: Wer an den Erfolg glaube, der könne auch "Berge versetzen".

Kurswechsel? Nein, nein, nein

Autosuggestion? Ein bisschen zu viel des Guten? Es war in jedem Fall: ein Paukenschlag. Zu Beginn einer äußerst schwierigen Woche zeigt Merkel, dass sie zum Kampf entschlossen ist - für ihre Politik, um ihr Amt. Kampf heißt jetzt zuallererst kommunizieren, der chaotischen Lage in der Flüchtlingskrise einen Sinn geben, die Dinge ordnen, um die Leute da draußen mitzunehmen; kurzum: einen Deutungsrahmen setzen.

Am Mittwoch trifft sie sich mit Horst Seehofer zum Krisentalk in Berlin; am Freitag muss sie zum Parteitag der aufgebrachten Südwest-CDU nach Baden-Württemberg, der - vor allem wegen ihrer Politik - ein Fiasko bei der Landtagswahl in zwei Wochen droht; und am nächsten Montag steht der entscheidende EU-Türkei-Gipfel an: Werden die Türken in der Folge weniger Flüchtlinge nach Europa ziehen lassen? Die Chancen stehen nicht gerade gut.

Laut ARD-Deutschlandtrend glauben 81 Prozent der Deutschen nicht, dass die Regierung die Flüchtlingssituation im Griff hat; 52 Prozent finden es gut, dass sich die CSU offensiv gegen die Kanzlerin positioniert. Das zwangsläufige Motto der Sendung von Anne Will: "Wann steuern Sie um, Frau Merkel?"

Es war dann aber auffällig, dass die Kanzlerin jedes Anzeichen eines solchen Kurswechsels mied.

Nein, sie steuere nicht um. Nein, sie habe keinen Plan B. Nein, sie sehe nichts, was eine Kehrtwende bewirken könne, ihre Politik sei doch nur logisch. Nein, nein, nein. Merkel setzt alles auf eine Karte, sie spielt auf Sieg. Alles oder Nichts.

Natürlich hätte sie sich auch anders verkaufen können: Hätte mehr vom verschärften deutschen Asylrecht sprechen können, vom eingeschränkten Familiennachzug, von den Kontrollen an den deutschen Grenzen, von vermehrten Signalen der Abschreckung. Und selbstverständlich liegt der Plan B, also nationale Maßnahmen zur Grenzsicherung, längst in den Schubladen des Innenministeriums.

Sie hätte all das als vorsichtige Wende eintüten können. Aber das wollte Merkel ganz offensichtlich nicht. In München und anderswo werden sie sich das sehr genau angeschaut - und die Kampfansage verstanden haben.

Merkel inszenierte sich also als zweckoptimistische Kanzlerin, die die Linien vorgibt. Flüchtlingskrise? Gehen wir gestärkt daraus hervor. Aufschwung der Rechtspopulisten? Wird auch wieder abflauen. Weimarer Verhältnisse? Ach was. Klappt schon, Kopf hoch, wir sind auf dem richtigen Weg. So verteilt Merkel auf dem beschwerlichen Weg ein paar Schokokekse für die unterzuckerten Mitreisenden.

Debatte um Kanzlerkandidatur

Wer da widerspricht, der wirkt kleinmütig. So verschiebt Merkel, siehe oben, den Deutungsrahmen. Wenn es gut geht, kommt sie mit erhobenem Haupt aus dieser Nummer raus. Nur sollte man sich nicht von ihrem Talkshow-Auftritt täuschen lassen: Ihre Lage bleibt brisant.

Wie angespannt die Stimmung ist, zeigt die übers Wochenende entbrannte Debatte, ob man mit Merkel überhaupt noch einmal in den Wahlkampf ziehen sollte. Auf die Frage, ob die Christsozialen eine Kanzlerkandidatin Merkel 2017 unterstützen würden, sagte Parteichef Seehofer im SPIEGEL-Interview nur: "Nächste Frage". Eisig. Ein CSU-Grande sagt, es sei gut möglich, dass am Ende des Jahres nur einer der beiden politisch überlebt - Merkel oder Seehofer.

Wenn Merkels CDU bei den Landtagswahlen am 13. März deutlich verliert, dann besteht die Gefahr eines Dammbruchs, davon sind viele maßgebliche Politiker in den Unionsparteien überzeugt. Längst kursieren Listen mit Merkel-Gegnern, vom Widerstand gegen das "linksgrüne Multikulti-Gemerkel" ist die Rede.

Ist es Zufall, dass Merkel sich bei Anne Will genau von diesem Begriff noch einmal entschieden abgrenzte? Multikulti, sagte sie, sei eben nicht die richtige Antwort. Die hierzulande geltenden Regeln müssten von Anfang an klar sein, "Integration ist nicht nur eine freiwillige Sache". Später riet sie noch, dass man bitteschön nicht den Grünen Kretschmann in Baden-Württemberg wählen solle, sondern CDU. Merkel also sendete auch defensive Signale an ihre Kritiker.

Seehofer seinerseits reist am Freitag zu Viktor Orbán nach Ungarn. In der CSU gilt der Zaunkönig von Budapest als Verbündeter, für Merkel ist er ein wesentlicher Gegenspieler. Der CSU-Chef wird, so kurz vor dem EU-Türkei-Gipfel, ganz gewiss neuerlich Spitzen gegen Merkel setzen. Seehofer aber muss sich irgendwann einmal fragen, wie weit er letztlich zu gehen bereit ist.

Wenn er immer nur droht - Beispiel Verfassungsklage - aber nie handelt, nutzt sich seine Taktik mit der Zeit ab. Und im Hintergrund lauert schon Kronprinz Markus Söder. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nennt Seehofer bereits die "Karikatur eines Kanzlerinnenvernichters".

Merkel dagegen, diese Botschaft hat sie bei Anne Will gesetzt, ist bereit, aufs Ganze zu gehen.

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