Merkels Sommer-Pressekonferenz
Noch nicht geschafft
Deutschland steckt immer noch in der Coronakrise, das Thema dominierte Angela Merkels Sommerpressekonferenz. Dass sich ihre Kanzlerschaft dem Ende zuneigt, darüber sprach sie dagegen ungern.
Foto: Thomas Trutschel / photothek / imago images; Michael Kappeler / AFP
Sie ist pünktlich, wie immer, auf die Minute. Manche Dinge ändern sich auch in Corona-Zeiten nicht. Aber ansonsten ist Angela Merkels 15. Soloauftritt im Saal der Berliner Bundespressekonferenz, nach anderthalb Jahrzehnten ihrer Kanzlerschaft als Sommer-Pressekonferenz bekannt, auch für die Protagonistin eine Art Premiere.
Sonst ist es hier schon eine halbe Stunde vor Beginn rappelvoll, nach wenigen Minuten steht in der Regel die Luft. Diesmal spaziert die Kanzlerin in einen Saal, der gerade mal zu einem Viertel gefüllt ist. 50 statt wie üblich rund 200 Journalisten sind diesmal gekommen - und zwar nicht, weil die Kanzlerin im letzten Jahr ihrer Amtszeit nur noch auf wenig mediales Interesse stoßen würde.
Das Coronavirus, Merkel bezeichnet es an diesem Tag einmal mehr "als demokratische Zumutung", beschränkt auch den Rahmen und Ablauf dieser Veranstaltung.
DER SPIEGEL
So wie jeder Berichterstatter erst auf seinem Platz die Maske ablegen darf, gilt das auch für die Regierungschefin. Sie zelebriert den Vorgang geradezu für die Fernsehzuschauer: Hinter dem breiten Pult angekommen, nimmt Merkel noch im Stehen und damit besonders gut sichtbar ihren dunklen Mund-Nasen-Schutz ab, um diesen dann in aller Seelenruhe in einem mitgebrachten Frischhaltebeutel zu verstauen.
Als wolle sie den Bürgern demonstrieren, wie man es richtig macht.
Und der anschließende Kurzvortrag der Kanzlerin, mit dem sie auch in diesem Jahr ihren Auftritt einleitet, kommt phasenweise daher wie eine kleine Rede an die Nation. Fast ausschließlich geht es um Corona und die Angst vor einer zweiten Welle angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen und des nahenden Herbstes. "Wir werden noch länger mit dem Virus leben müssen", sagt Merkel, also "nehmen Sie es auch weiterhin ernst!". Ein Satz, mit dem sie anknüpft an ihre TV-Ansprache zur Coronakrise Mitte März und bei dem sie besonders intensiv in Richtung der Kamera hinten im Saal blickt.
Die Sorge, die Menschen im Land könnten zu leichtsinnig werden, treibt die Kanzlerin um, das hat sich schon bei den Beratungen mit den Ministerpräsidenten am Vortag gezeigt. Darum versucht sie den Menschen zu vermitteln, dass sie selbst auch genervt ist. "Dass man immer gucken muss, wie verhalte ich mich jetzt, also diese Spontaneität in Begegnungen mit anderen Menschen, die vermisse ich am meisten", wird Merkel später sagen.
"Ich konnte mir das auch nicht vorstellen", sagt die Kanzlerin zur Frage, wie sie auf Corona, diese "nie dagewesene Herausforderung", und die damit einhergehenden Veränderungen und Beschränkungen blickt. Aber nun ist es eben so.
Die Kanzlerin wirkt matt
Es ist wieder so ein unaufgeregter Merkel-Auftritt, noch unaufgeregter als in den vergangenen Jahren. Denn wenn es hier pickepackevoll und hitzig war, kippte mitunter die Stimmung auch bei der Kanzlerin, sie konnte dann auch mal scharfzüngig sein oder witzig. Diesmal sind die launigen Momente rar, bleibt sie matt im spärlich gefüllten Saal.
Vielleicht ist es einfach nicht die Zeit für Emotionen. Oder ist Merkel im 15. Jahr ihrer Kanzlerschaft doch ein wenig amtsmüde? Zur Erinnerung: Mit ihrem Satz "Wir schaffen das" brachte sie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vor genau fünf Jahren einen Teil des Landes gegen sich auf, die AfD sitzt heute als größte Oppositionsfraktion im Bundestag. Den Satz würde sie wieder sagen, betont Merkel. Dabei hat sie irgendwann aufgehört, ihn auszusprechen, weil ihre Gegner im Land ihn als Provokation auffassen.
Von Ermattung will sie nichts wissen. "Ich sitz' ja noch hier, also geschafft hat mich eigentlich nichts", sagt die Kanzlerin, die kürzlich ihren 66. Geburtstag feierte. "Aber gefordert hat mich sicherlich vieles."
DER SPIEGEL
In Corona-Zeiten gilt das auch für die Menschen im Land. Das demonstrativ anzuerkennen, ist der Kanzlerin offensichtlich ein Anliegen an diesem Freitag, immer wieder betont sie die Härten und Schwierigkeiten, die viele durch die Einschränkungen in der Corona-Zeit erlebten. Hat sie Fehler gemacht? "Die Regierung habe "bislang nach bestem Wissen und Gewissen entschieden", sagt sie. Auch deshalb sei Deutschland, glaubt Merkel, bislang relativ gut durch diese Krise gekommen. Aber vorbei ist es noch nicht: "Es wird nicht so wie früher, solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben."
Früher gab es beispielsweise nicht diese ständigen Videokonferenzen, die Merkel inzwischen durchaus schätzen gelernt hat, weil "das sehr viel besser geht, als ich mir das habe vorstellen können". Ein Nachteil aus ihrer Sicht: "Dass man nicht weiß, wer alles zuhört." Der Kanzlerin ist auch nicht entgangen, wie viel mehr Informationen dieser Tage aus Sitzungen nach außen dringen. Dafür, sagt sie in so einem typischen Merkel-Satz, könne man durch Videokonferenzen "seinen Tag mit einer sehr hohen Dichte an Aktivitäten füllen".
"Ich bin optimistisch, dass mir was einfällt."
Angela Merkel blickt auf die Zeit nach ihrer Kanzlerschaft.
Für die Kanzlerin kein gering zu schätzender Aspekt, weil ihr im wahrsten Sinne die Zeit davonrennt: Bis zur nächsten Bundestagswahl, nach der sie ihr Amt aufgeben wird, bleibt nur noch ein gutes Jahr. "Jeder Tag zählt, man will keinen verschwenden", sagt sie. Und zwar nicht nur, weil Merkels Regierung noch bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft führt.
Die weitere Integration der Europäischen Union, die Ausarbeitung der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Kurs gegenüber China - all das steht für Merkel deshalb besonders im Fokus in den kommenden Monaten. Und dann ist da die Klimapolitik, im EU- wie im nationalen Rahmen. Am Ende sei der Klimawandel genauso lebensbedrohlich wie die Corona-Pandemie, sagt sie. Wenn sie das wirklich so sieht, dann hat Merkel das zuletzt eher für sich behalten.
Kürzlich hat sie sich wieder mit Klimaaktivistinnen wie Greta Thunberg getroffen. "Ich hoffe", sagt Merkel nun, "wir lernen aus all diesen Herausforderungen auch etwas - sowohl im Umgang mit der Artenvielfalt auf der Welt als auch eben mit der Emission von klimaschädlichen Gasen."
Deshalb habe sie auch überhaupt keine Muße, sich Gedanken über die Zeit nach ihrer Kanzlerschaft zu machen, beteuert Merkel. "Ich werd' jetzt erst mal noch weiter arbeiten, und dann wird sich was finden", sagt sie. "Ich bin optimistisch, dass mir was einfällt."
Dann sind anderthalb Stunden vorbei - Merkel setzt sich ihre Maske auf und geht wieder arbeiten, pünktlich.